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Jamaika gescheitert Jamaika gescheitert: Was sagen hiesige Politiker, Wirtschaftsvertreter und Bürger dazu?

Von Frank Schedwill 21.11.2017, 07:00
Am 24. September konnten über 200.000 Bürger im Wahlkreis 74 ihre Stimme für die Bundestagswahl abgeben. Müssen sie nun, nachdem eine Jamaika-Koalition nicht Zustande kommt, noch einmal an die Urne?
Am 24. September konnten über 200.000 Bürger im Wahlkreis 74 ihre Stimme für die Bundestagswahl abgeben. Müssen sie nun, nachdem eine Jamaika-Koalition nicht Zustande kommt, noch einmal an die Urne? Schumann

Sangerhausen/Eisleben/Hettstedt - Das war’s also mit Jamaika: Nach intensiven Wochen sind die Sondierungsgespräche zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen gescheitert. Die Liberalen um ihren Parteichef Christian Lindner brachen am Sonntag die Gespräche ab. Wie aber bewerten hiesige Politiker, Wirtschaftsvertreter und Bürger den Abbruch? Was bedeutet das für die Region? Und wie sollte es nun weitergehen?

Uda Heller schüttelt fassungslos den Kopf. „Das habe ich nicht für möglich gehalten“, sagt die ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete aus Roßla angesichts der gescheiterten Sondierungsgespräche über eine Regierungsbildung aus CDU/CSU, FDP und den Grünen in Berlin.

Da eine Große Koalition aus CDU/CSU und der SPD „nicht dem Wählerauftrag entspricht“, plädiert Heller für Neuwahlen - auch auf die Gefahr, dass das Ergebnis nicht anders aussieht.

Nach der gescheiterten Jamaika-Sondierung spricht Uwe Stieberitz, Vorstand der Romonta Bergwerksholding AG, von verlorener Zeit.  Das Unternehmen brauche   Planungssicherheit für seine Projekte innerhalb des Strukturwandels. Das könne nur eine arbeitsfähige Regierung gewährleisten. Die Diskussion um den Kohleausstieg sieht er ganz entspannt. „Wir gehören mit unserer Montanwachsproduktion zur chemischen Industrie.“  Trotzdem:  2030  sei bei Romonta die Kohle alle.

Auch Helmut Schmidt (BOS), der Ortsbürgermeister von Riestedt, plädiert für Neuwahlen. „Jamaika ist es nicht geworden. CSU und Grüne passen halt nicht zusammen“, sagt er. Und: „Eine Minderheitsregierung wäre Blödsinn.“ Allerdings müssten alle Parteien mit neuem Personal antreten, fordert er. Das betreffe auch die CDU mit der Kanzlerin.

Für den CDU-Kreisvorsitzende Danny Kavalier war das Scheitern absehbar. „Signale der letzten Tage habe ich mit Beunruhigung gesehen“, meint er. Die Frage nach dem Wie-geht’s-weiter sei schwierig. „Alle demokratischen Parteien, insbesondere auch die SPD, sollten sich ihrer staatspolitischen Verantwortung bewusst sein.“ Schließlich könnte im Ergebnis von Neuwahlen die   Entscheidung wieder so lauten, dass Jamaika das einzig mögliche Bündnis neben der großen Koalition ist.

Auch auf der Straße beschäftigt die Menschen das Scheitern der Sondierungsgespräche. Und die Reaktionen fallen   unterschiedlich aus. „Es wurde höchste Zeit, dass die Gespräche beendet wurden. Ich verstehe die Reaktion von Herrn Lindner“,  sagt der Eisleber Roland Schinko. Kanzlerin Merkel sei während der Gespräche nicht als Führungskraft aufgetreten. Wie es nun weitergehe, sei ungewiss. „Ich glaube jedoch, dass es bei Neuwahlen Verschiebungen geben würde. Lindner jedenfalls hat sicher gepunktet. Er hat dem Theater ein Ende bereitet.“

Walter Scheidt (69), Rentner aus Sangerhausen, hat es gleich gewusst, als er „Jamaika-Koalition“ gehört hat. In seinen Augen war so ein Ansinnen eine Totgeburt. „Nehmen wir einmal die Grünen und die FDP. Die Parteien können unterschiedlicher nicht sein und werden nie einen Kompromiss finden.“ Er geht sogar so weit zu sagen, dass die CDU-Vorsitzende Angela Merkel keine Macht mehr hat. Scheidt: „Wenn es zu Neuwahlen kommen sollte, werden AfD, Linke und die FDP als Sieger hervor gehen.“ Die Grünen werden seiner Ansicht nach in der Bedeutungslosigkeit verschwinden.

Tobias Kuhnert sind die gescheiterten Sonderungsverhandlungen dagegen egal. „Das interessiert mich so sehr, als wenn in China ein Sack Reis umfällt, also überhaupt nicht“, sagt der 36-jährige Gaststättenbetreiber und Fußballschiedsrichter aus Brücken. „Ohnehin habe ich den Eindruck, dass der kleine Mann immer der Gelackmeierte ist. Sollte es Neuwahlen geben, werde ich aber wieder wählen gehen“, betont er.

Auch für Markthändler Frank George alias „Sancho“ ist es nebensächlich, ob Deutschland von schwarz, rot, gelb oder blau regiert wird. Deshalb sei ihm auch das Aus für die Sondierungsgespräche, wie er sagt, schnuppe. „Ich muss meine Socken ohnehin weiter auf dem Markt verkaufen“, sagt der 56-Jährige.

Dieter Klostermann wiederum sieht die Dinge  anders. „Dass das so gelaufen ist, finde ich nicht gut“, sagt er. „Dass sie sich überhaupt nicht gefunden haben, ist erschreckend.“  Und wie geht es   weiter? Klostermann vermutet, dass es  Neuwahlen gibt. Eine Minderheitsregierung hält er für unwahrscheinlich. „Ich glaube nicht, dass Frau Merkel das macht.“

Christian Lindner habe „das geliefert, was er versprochen hat“, sagt der Sangerhäuser Liberale  Harald Oster über seinen Parteichef. Der Ausstieg aus den Sondierungsgesprächen habe ihn nicht überrascht. Das sei die Konsequenz, „wenn jemand das tut, was er versprochen hat“. Die FDP sei keine „Umfaller-Partei“ und habe sich erneuert, „deutlicher kann’s gar nicht werden“, findet Oster. Ob Neuwahlen kommen? „Ich weiß nicht, was passieren wird“, sagt er.

SPD-Urgestein Hans Dieter Grützner aus Allstedt hofft darauf, dass die SPD bei ihrem Nein zu einer Großen Koalition bleibt. „Wären wir in den vergangenen Jahren in der Opposition gewesen, hätten wir bei der letzten Bundestagswahl besser abgeschnitten.“ Eine Jamaika-Koalition hätte seiner Ansicht nach die Legislaturperiode nicht überstanden.

Norbert Jung, der Kreisvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, sprach von einem Paukenschlag: „Ich habe aber erwartet, das jemand von unseren Leuten das Scheitern der Verhandlungen verkündet. Wir Grünen sind bis an die Schmerzgrenze gegangen, von den anderen ist wenig gekommen.“

Jung fände eine Minderheitsregierung sympathisch, aber: „Realistischer sind nun Neuwahlen“, meint er. Er habe die Befürchtung, dass die dann der AfD nützen.

Heiko Koschmieder, Geschäftsführer des Schaltanlagenbauers Feag in Sangerhausen plädiert für ein stabile Regierung. „Die Wirtschaft braucht verlässliche Partner“, sagt er. Angesichts der aktuellen Konstellation hält er jedoch Neuwahlen für den schlechtesten Weg, dies würde die Randgruppen aus dem rechten und linken Spektrum stärken. „Dann doch lieber eine Minderheitsregierung.“ (mz)