Idylle zahlt keine Rechnung Idylle zahlt keine Rechnung : Viele Agrarbetriebe stellen die Milchproduktion ein

Bösenburg - Der Bauernhof von Karsten Scheffler sieht ein wenig wie im Kinder-Bilderbuch aus: Hinter einer großen Toreinfahrt stehen auf einem gepflasterten Hof zwei große Trecker und ein Mähdrescher. In einem Stall schnattern Gänse, ein Fahrrad seiner Söhne liegt am Rand. Eine Katze streunt um die Ecke. Doch im Sommer 2019 gab es eine einschneidende Veränderung, die das Bild nachhaltig verändert hat: Die Ställe im hinteren Teil des Hofes, in denen 85 Kühe und ebensoviele Jungtiere standen, sind leer.
Der Melkstand ist verwaist, um die Technik haben sich bereits Spinnennetze gespannt. 28 Jahre wurden Milchkühe gehalten. „Jetzt ging es nicht mehr“, sagt Scheffler. Die Milchviehhaltung hätte sonst die Substanz des gesamten Betriebes gefährdet.
1991 übernahm die Familie das Land von der LPG
Seine Kühe aufzugeben, das ist dem 46-Jährigen nicht leicht gefallen. Als sein Vater 1991 zwölf Fersen von der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) vor Ort übernimmt, ist Karsten Scheffler 16 Jahre alt. „Das ist damals eine spannende Zeit gewesen. Jeden Tag hatte man eine neue Idee, von denen viele - ohne große Bürokratie - umgesetzt wurden“, erzählt er. 1995 ist der Betrieb in dem Dorf Bösenburg im Landkreis Mansfeld-Südharz einer der ersten im Land, der seine Tiere auf Stroh stehen lässt.
Doch mit Bauernhof-Idylle lassen sich keine Rechnungen bezahlen. Als die Milchpreise im Jahr 2015 in den Keller rutschen, gerät Schefflers Produktion in die roten Zahlen. Damals denkt er erstmals darüber nach, Milchherstellung aufzugeben, geht dann aber einen ganz anderen Weg.
Scheffler ging besonderen Weg: Vermarktung über Milchautomaten
Der technikbegeisterte Landwirt entscheidet sich dafür, in die Selbstvermarktung einzusteigen. Er kauft sechs Milchautomaten und vermarktet einen Teil seiner Milch unter anderem in drei Edeka-Centern in Halle. 150.000 Euro investiert er, die regionale Milch ist zunächst ein Verkaufshit. Auch wenn die anfängliche Begeisterung der Kunden mit der Zeit etwas nachlässt, laufen die Geschäfte stabil - bis 2018.
„In dem warmen Frühjahr und dem heißen Sommer ist der Absatz deutlich abgesackt“, erzählt Scheffler. Zudem machte sich bemerkbar, dass die Verbraucher den Kauf von Milch-Kartons im Supermarkt dem Selbstzapfen in der Mehrweg-Glasflache vorziehen. „Die Bequemlichkeit schlägt sich da durch“, interpretiert der Landwirt das Verhalten.
Dürre gibt Milchbauern den Rest - Kein Futter für die Tiere
Zum schwer lösbaren Problem wird für ihn jedoch die Dürre: „Wir liegen im Regenschatten des Harzes und kommen seit jeher mit wenig Wasser aus. Doch gar kein Regen geht nicht“, sagt er. Von der üblichen Erntemenge beispielsweise beim Mais fährt der Betrieb nur die Hälfte ein. Ähnlich ist es beim Heu. Scheffler muss Futter teuer zukaufen. Für den Pferdehof seiner Frau fährt er mit dem Trecker bis nach Wolmirstedt nördlich von Magdeburg, um dort Heu abzuholen.
„Da haben die Menschen in Magdeburg an der Straßenbahnhaltestelle gestaunt, als ich mit meterhoch gestapelten Heuballen dort entlanggefahren bin“ erzählt er mit einem Lächeln. Als das Frühjahr 2019 ähnlich trocken beginnt wie das Vorjahr aufhörte, ist in der Familie die Entscheidung gereift, dass es Zeit ist, auszusteigen.
Ende der Milchkühe - sechs Mitarbeiter werden entlassen
Betroffen davon sind sechs Mitarbeiter, die im Kuhstall gearbeitet und die Milch ausgefahren haben. „Wir mussten sie entlassen“, sagt Scheffler. Die Tiere habe er an Landwirte im Allgäu (Baden-Württemberg und Bayern) verkauft. „Es ging nicht anders, wir befanden uns in einer Spirale nach unten.“
Als am 29. Juli der Tiertransporter auf dem Hof stand, löste die rationale Entscheidung bei Scheffler aber ein „komisches Gefühl aus“, wie er es heute beschreibt. „Wir haben mit den Tieren ja irgendwie zusammen gelebt.“ Zweimal am Tag wurde gemolken. Um sechs Uhr und um 17 Uhr, die Kühe bestimmten den Tagesablauf.
Scheffler ist überzeugt, dass es „im Endeffekt der richtige Schritt gewesen ist“. Nach seinen Worten hätten viele Berufskollegen ihm „Respekt gezollt“. Auch von seinen Kunden habe es Zuspruch gegeben: „Natürlich bedauern treue Stammkunden die Einstellung, einige sind vielleicht auch enttäuscht. Doch ich habe nur aufbauende Post erhalten.“ Lediglich in einigen Beiträgen in Sozialen Netzwerken wurde seine Entscheidung herablassend kommentiert.
Ende der Milchviehhaltung - Wie geht es weiter?
Auch die Molkerei Frischli aus Weißenfels (Burgenlandkreis) hat sich laut Scheffler sehr fair verhalten. Als er die Einstellung der Produktion bekannt gab, war die einzige Frage der Molkerei: „Ab wann sollen wir keine Milch mehr abholen?“ Um Kündigungsfristen musste er sich nicht kümmern.
Dass es sein Betrieb nicht geschafft hat, die Milchviehhaltung erfolgreich fortzuführen, macht ihn auch nachdenklich: „Die Verbraucher wünschen eigentlich überschaubare Höfe wie unseren, die regional ihre Milch vermarkten.“ Das derzeitige System führe jedoch zu einer Konzentration bei den Milchviehbetrieben und den Molkereien. „Wer nicht wächst oder sich spezialisiert, wird verdrängt“, sagt der Bauer. Doch zum Wachsen fehlte ihm der Platz und die Spezialisierung mit den Milchautomaten nützte auch bei großen Ernteverlusten wenig.
Scheffler stellt Hof auf andere Agrar-Zweige um
Künftig wird sich Scheffler auf die Bewirtschaftung von 250 Hektar Ackerland und Lohnarbeit für andere Betriebe konzentrieren. In dem Stall will er ein kleines Sägewerk installieren. Hilfe benötigt zudem seine Frau auf ihrem Pferdehof, der auch Wanderungen mit Alpakas anbietet. Die aus den südamerikanischen Anden stammende Kamelart lockt viele neue Besucher an. Der Hof der Schefflers wird sich daher verstärkt auf touristische Angebote konzentrieren. „Wir bieten bereits seit einiger Zeit ein sogenanntes Farmers Barbecue an“, berichtet er. Dabei grillt Scheffler für bis zu 50 Personen und vermittelt Wissenswertes zu Rindern.
Ob seine Söhne, die noch im Kindes- und Jugendalter sind, den Hof später einmal übernehmen wollen, weiß der Landwirt noch nicht. „Ich würde sie dabei auf jeden Fall unterstützen, es aber nicht verlangen oder darauf drängen.“ Scheffler ist sich sicher, dass er noch ausreichend Ideen haben wird, um seinen Hof und die Landwirtschaft zu erhalten. Milchkühe wird es aber in Zukunft in Bösenburg, wie schon in vielen anderen Dörfern Sachsen-Anhalts, nicht mehr geben. (mz)
