Naturschutz Witteanger-Wehr an Selke in Reinstedt: Sohlengleite erleichtert Fischen bald das Laichen

Reinstedt - Unterhalb des Wehres am Witteanger in Reinstedt ist die Selke derzeit zweigeteilt. Dabei lässt sich gut erkennen, wie der Fluss hier künftig fließt und wie es bisher war. So plätschert das Wasser hinter der Spundwand zwischen großen und kleinen Steinen hindurch.
Bauarbeiten im Auftrag des Landesbetriebes für Hochwasserschutz
Wer genau hinschaut und mit der Uferböschung vergleicht, sieht, dass die Sohle des Flusses ganz allmählich - einer langgestreckten Rampe ähnlich - abfällt. Dieser Flussbereich ist in den vergangenen Wochen im Auftrag des Landesbetriebes für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft (LHW) bereits neu gestaltet worden.
Im Bereich vor der Spundwand, die das Wasser fernhält, stehen die Bagger noch ein ganzes Stück tiefer im Flussbett, ist die neue Sohle gerade am Entstehen. Ziel der Arbeiten am Witteanger-Wehr: Die Selke soll hier für Fische und andere Tiere durchgängig und damit die europäische Wasserrahmenrichtlinie, die das für Fließgewässer fordert, umgesetzt werden.
Wehr wurde vor Jahrhunderten aus Eichenpfählen gebaut
Das Wehr am Witteanger ist sicher schon Jahrhunderte alt, sagt Ute Enders, Sachbearbeiterin beim LHW und Projektkoordinatorin. Gebaut wurde es aus zwei Reihen Eichenpfählen, dazwischen Feldsteine - und viel später mit Beton überkront -, um den Mühlgraben in Reinstedt mit Wasser zu versorgen.
Vor dem Wehr fließt die Selke mit je nach Wasserstand mal mehr, mal weniger Zentimetern Tiefe auf das Bauwerk zu. Dahinter aber fiel das Wasser bislang rund 1,80 Meter hinab. „Fische“, sagt die LHW-Mitarbeiterin, „suchen sich den Lebensraum, der ihnen je nach Witterung am ehesten zusagt.“
Für Fische war das Wehr bisher unüberwindbar
Doch für Fische wie auch im Flussbett, im Sediment lebende Tiere, die Lebensräume flussaufwärts aufsuchen wollten, war das Wehr bislang ein unüberwindbares Hindernis.
„Wir haben hier einen Kleinfischbestand von streng geschützten Arten“, erläutert Mario Martin. Der Naturschutzbeauftragte des Landkreises Harz, der speziell für den Bereich Fische zuständig ist und das Bauvorhaben von Anfang an begleitet, nennt beispielsweise Elritzen, Neunaugen oder Äschen, die auf der Roten Liste stehen.
Und: Hier gibt es einen autochthonen, sich selbst reproduzierenden Bachforellenbestand, so der Naturschutzbeauftragte weiter. Die jetzt laufende Umgestaltung des Flussbetts soll den Fischen künftig ermöglichen, flussaufwärts über das Wehr schwimmen zu können: über die neue Rampe, eine so genannte Sohlengleite, die auf einer Länge von rund 67,6 Metern gebaut wird.
Ruhepunkte für Fische mit flachen und tiefen Stellen
Mit flacheren und tieferen Stellen und Steinen, hinter denen Fische Ruhepunkte finden, wird sie naturnah gestaltet. Hat die Selke genügend Wasser, können die Fische so über das Wehr hinweg, dessen Betonaufbau abgebrochen und durch neue Steine ersetzt wurde, in den Oberlauf schwimmen.
Ist der Wasserstand zu niedrig, führt der Weg durch die Niedrigwasserrinne, die derzeit ebenfalls gebaut wird. „Das ist knifflig“, so die Projektkoordinatorin. „Da wird fast jeder Stein von Hand gesetzt.“ Die Sohle der Rinne liegt 45 Zentimeter tiefer als die der Rampe. An der tiefsten Stelle 35 Zentimeter breit, führt die Rinne in einem Bogen auf das Wehr zu, um den Höhenunterschied für die Fische überwindbar zu machen.
Gebaut wird mit Granit und Grauwacke aus dem Harz
Verwendet werden für die Arbeiten übrigens Granit und Grauwacke, „alles im Harz vorkommende Steine, die auch in der Selke zu finden sind“, so die LHW-Mitarbeiterin. Insgesamt erfolgen die Arbeiten im Fluss auf rund 106 Metern Länge. Im Anschluss an die Rampe werden ein sogenanntes Tosbecken und ein Nachbett mit Gegengefälle gebaut. Sie sollen die Energie des über die Sohlengleite abwärts fließenden Wassers auffangen.
Start für die Arbeiten war im April mit dem Einrichten der Baustelle und dem Abfischen im Baubereich. Bis „allerspätestens Mitte November“ sollen sie abgeschlossen sein, so die Projektkoordinatorin. Insgesamt werden 600.000 Euro investiert, komplett finanziert von der Europäischen Union über das Förderprogramm „Eler-Wasserrahmenrichtlinie“.
Als günstig für das Bauvorhaben erweist sich dabei der derzeit niedrige Wasserstand der Selke. Der lag Ende Juli am Pegel Meisdorf bei 8 Zentimetern, ein Jahr zuvor waren es 67. (mz)
