Ab ins Grüne! Wie zwei Eichhörnchen bei Degenershausen ausgewildert werden
Tierschützer hatten die beiden aufgepäppelt. Warum es am Ende ganz schnell geht - und was Finder von Jungtieren vermeiden sollten.

Degenershausen - Fünf Menschen stehen in Degenershausen um einen Baum herum. Neugierig und gespannt blicken sie auf den Stamm der Eiche: Gleich ist es so weit. Doch „Little Lucky“ bekommen sie nicht wirklich vor ihre Kameras, er bleibt ein Schatten. Die Fotoausbeute: Viel Laub auf den Bildern, auf manchen ist ein heller Punkt im dichten Grün zu sehen. „Little Lucky“?
„Das ist ein Teenager, der geht auf den Baum und ist weg“ - Marion Spieß, die bei der Auswilderung des jungen Eichhörnchens hilft, hatte es vorausgesagt. Die Tierfreundin aus Sondershausen kümmert sich mit Walter Theiß, der dort einen mobilen Tierservice betreibt, seit 24 Jahren um junge Eichhörnchen, die noch zu klein sind, um selbst durchs Leben zu kommen.
„Das ist ein Teenager, der geht auf den Baum und ist weg.“
Marion Spieß
„Little Lucky“ wurde am 18. Mai in Bad Frankenhausen gefunden, erzählt Marion Spieß: Ein Pärchen, das dort mit seinem Hund spazieren ging, hatte beobachtet, wie Krähen mit etwas „Fangen“ spielten, es immer wieder in die Luft warfen, und vermuteten, dass die Vögel einen Frosch attackierten. „Der Hund hat die Krähen verscheucht, und dann sahen sie, dass es kein Frosch, sondern ein Eichhörnchen war. Das ist sofort bei der Frau in die Kapuze geklettert und nicht mehr herausgekommen. Eichhörnchen suchen Hilfe beim Menschen.“
Über den Eichhörnchen-Notruf in Kleinmachnow bei Berlin wurde Marion Spieß in Sondershausen informiert. Sie machte sich auf den Weg. Das junge Eichhörnchen, schätzungsweise fünf, sechs Wochen alt, sei bei der Krähenattacke erstaunlicherweise nicht sehr verletzt worden: eine Wunde am Schnäuzchen, die der Tierarzt mit einem Antibiotikum und Schmerzmittel behandelte.
Im Wald um Degenershausen soll das junge Tier eine neue Heimat bekommen. Marion Spieß hat es am Samstag ins Selketal gebracht. Zunächst hält es wenig davon, seine kuschelige Hängematte im Transportkäfig gegen einen Baumstamm zu tauschen.

Doch dann geht alles ganz schnell. In Sekunden ist das Tier in der Baumkrone verschwunden. Alle sind glücklich. Die Tierschützer aus Sondershausen, aber auch Elisabeth Finke aus Degenershausen, hinter deren Café-Garten und Pension die „Eichhörnchen-Eiche“ steht. Ihr Stamm war schon für einige Tiere Startpunkt in ein neues Leben.
„Das ist hier wie ein kleines Tierparadies, aber dafür muss man etwas tun. Das ist mir wichtig“, sagt Elisabeth Finke, die für Spieß und Theiß ein fester Ansprechpartner geworden ist. „Wir geben den Eichhörnchen eine zweite Chance und wissen nicht, ob sie über den Winter kommen.
Aber wir hätten gerne gewusst, ob sie es schaffen“, erklärt Marion Spieß. „Hier erfahren wir das von Elisabeth, sie sagt uns, dass sie die Tiere gesehen hat. Hier sind Leute, die nach den Tieren sehen.“ Dabei können sie sicher sein, dass Elisabeth Finke auch von den richtigen Tieren berichtet, denn sie kennt sie alle, weiß, wer besonders lange Ohrpinsel hat, wessen Fell etwas struppiger geraten ist. Sie erkennt sie auch am Gesicht.
Von „Nüsschen“ ist die Tierfreundin in Degenershausen am Samstag besonders angetan. Auch dieses Eichhörnchen soll ausgewildert werden. Es war einem Pärchen in der Nähe von Sömmerda hinterhergelaufen „und hat sich nicht mehr abhängen lassen“, berichtet Marion Spieß.
Sie sieht damit die These bestätigt, dass die Tiere menschliche Hilfe suchen. „Nüsschen“ habe schlecht getrunken und gefressen, musste tierärztlich behandelt werden. Eine Woche war sie in Marion Spieß’ Obhut, „aber sie ist fit und groß und kann raus“.
Und sie lässt sich nicht lange bitten: Sie vollführt ein paar wilde Sprünge im Transportkäfig, als Marion Spieß ihr Versteck unter einigen Tüchern enttarnt, findet den Ausgang nicht. Die Tierfreundin hilft nach – und weg ist sie. Marion Spieß hatte so etwas vermutet:
„Wer ein junges Eichhörnchen findet, sollte warten, vielleicht kommt die Mutter wieder.“
Marion Spieß, Tierfreundin aus Sondershausen
„Jedes Hörnchen ist anders. Ich vermute, dass sie auf den Baum klettert und weg ist. Manche kommen aber noch mal herunter und gucken, als wollten sie sich verabschieden.“ Am Ende werden auch „Little Lucky“ und „Nüsschen“ noch einmal den Stamm herunterklettern, ehe sie in den grünen Weiten des Waldes verschwinden.
Wie sie in Not geraten sind, darüber lässt sich nur spekulieren. Oft seien es übermütige Jungtiere, die den Weg zurück in den Kobel nicht mehr finden, oder das Muttertier ist weg und sie fangen an, es zu suchen, sagt Marion Spieß. Oder die Mutter verliert sie, wenn sie ihre Jungen bei Gefahr von einem Kobel in einen anderen bringt, der sicherer ist.
„Wer ein junges Eichhörnchen findet, sollte warten“, sagt Marion Spieß. „Vielleicht kommt die Mutter wieder. Die meisten, die uns anrufen, machen das auch so: Sie gucken, schildern die Situation, und wenn wirklich nichts passiert, dann nehmen sie das Tier mit. Gerade junge Leute sorgen sich da unwahrscheinlich.“ Die Finder können auch entscheiden, ob die Tiere einen Namen bekommen. So wie „Little Lucky“, der „kleine Glückliche“, der eine zweite Chance bekommen hat. (mz)