Weil er nicht kirchlich ist Weil er nicht kirchlich ist: Bauer aus Warnstedt bei Thale im Harz kann Ackerland nicht mehr pachten

Warnstedt - Der Kirche laufen die Gläubigen davon: 750.000 Mitglieder zählt die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM), die sich über fast ganz Sachsen-Anhalt und Thüringen erstreckt. Am Ende der DDR waren es noch 1,3 Millionen.
Die Kirche leidet - an Überalterung und dem Wegzug junger Leute aus ländlichen Gebieten. Dennoch ist sie gerade auf dem Land immer noch eine Macht: Die EKM ist nach eigenen Angaben einer der größten Verpächter landwirtschaftlicher Flächen in den beiden Bundesländern. Rund 70.000 Hektar Acker- und Grünland hat sie verpachtet. Der Erlös fließt in die Finanzierung von Pfarrstellen und die Sanierung von Kirchengebäuden.
Auch von der Agrargesellschaft Warnstedt hat die Kirche bisher profitiert. Seit Beginn der 1990er Jahre hat der Betrieb im Vorharz - zehn Beschäftigte, 1900 Hektar bewirtschaftete Fläche - Land von der Kirche gepachtet.
Kirche beendet Pacht - weil Landwirt nicht kirchlich ist
Nun soll damit plötzlich Schluss sein. Bei einer Neuvergabe der Flächen ist das Unternehmen leer ausgegangen, es geht um fast 100 Hektar. Die Begründung: Unternehmenschef Albrecht Kloß ist nicht Mitglied der Kirche. Dabei war er das noch nie.
Kloß, 67, offenes blaues Hemd, gerötetes Gesicht, schüttelt den Kopf. „Wir sind hier doch alle Heiden“, brummt er. Draußen vorm Fenster wogen sich goldgelbe Dinkel-Ähren im Sommerwind, drinnen im Besprechungsraum herrscht dicke Luft. Der langjährige Pächter redet sich in Rage: „Die wissen nicht, was sie tun!“
Kirchenzugehörigkeit als Kriterium für die Vergabe von Pachtland - wie kann das sein?
Kirche will ihr Ackerland vorrangig an Mitglieder der Kirche geben
Christoph Hackbeil, der für den Harz zuständige Regionalbischof in Stendal, sagt: „Wir legen Wert darauf, dass die Menschen, die uns verbunden sind, unser Vermögen mit pflegen.“ Sprich: Angehörige der Kirche. „Wenn ein Landwirt aus seinen Erträgen Kirchensteuer zahlt, dann haben wir auch etwas davon“, sagt Hackbeil. Albrecht Kloß zahlt keine Kirchensteuer.
Die Kirche folgt ihrer eigenen Linie. Nicht nur die Land-Vergabe ist ein Beispiel dafür, auch der Umgang mit Beschäftigten. Für diese gelten zum Teil besondere arbeitsrechtliche Regelungen. Grundlage dafür ist das sogenannte kirchliche Selbstbestimmungsrecht.
Im Grundgesetz verankert, erlaubt es den Kirchen bestimmte Sonderwege. Hintergrund ist das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche. Hackbeil drückt es so aus: „Die Kirche regelt ihre Angelegenheiten in ihrer eigenen Rechtssetzung.“
Kirche profitiert von umstrittenen Sonderrechten
Das Sonderbestimmungen für Arbeitnehmer sind allerdings umstritten. So fordern kirchliche Einrichtungen von ihren Mitarbeitern immer wieder das Bekenntnis zur Konfession.
Im April dieses Jahres hat der Europäische Gerichtshof dieser Praxis Grenzen gesetzt: Nach einem EuGH-Urteil darf solche Loyalität nur verlangt werden, wenn die Kirchenzugehörigkeit maßgeblich für die jeweilige Tätigkeit ist - also etwa bei einem Pfarrer, der ja Gottes Wort verkündigen soll.
Auch bei der Vergabe kirchlichen Pachtlandes habe die Kirchenzugehörigkeit neben anderen Kriterien schon immer eine Rolle gespielt, sagt Regionalbischof Hackbeil.
Regeln für die kirchliche Pachtvergabe wurden geändert
Doch zum September 2017 änderte die Landeskirche die Regeln: War bisher der Anteil der Gläubigen an der Belegschaft ausschlaggebend, werden seitdem ausschließlich Geschäftsführer und Gesellschafter berücksichtigt. Bei einer GmbH, wie der Agrargesellschaft Warnstedt, betrifft das nur den geschäftsführenden Gesellschafter - also Albrecht Kloß.
Erklärt sich so, dass der Betrieb plötzlich durch das Raster fiel? Weil er den alten Regeln genügen konnte, den neuen aber nicht? Das Kreiskirchenamt Harz-Börde in Halberstadt, als kirchliche Verwaltungsstelle zuständig für das Vergabeverfahren, ließ Fragen der MZ zu dem Fall unbeantwortet. Auch Hackbeil will den konkreten Sachverhalt nicht kommentieren.
Er hält die geänderten Regeln aber für fair: Damit werde ein geschäftsführender Gesellschafter einer GmbH mit mehreren Angestellten einem für sich allein wirtschaftenden Einzelbauern gleichgestellt.
Die Änderungen waren auch auf Druck von Kleinbauern zustande gekommen, die sich von großen Unternehmen benachteiligt sahen. „Wir haben es uns nicht leicht gemacht“, sagt Hackbeil. Vor dem Beschluss in der Landessynode, dem Parlament der Landeskirche, habe es auch Anhörungen mit Landwirten gegeben.
Agrargesellschaft steht plötzlich vor Flickenteppich
Die Warnstedter Agrargesellschaft verliert nun knapp 100 von 1900 Hektar Land. Man könnte meinen, das sei zu verschmerzen. Doch weit gefehlt. Ein Blick auf ein Luftbild auf dem Tisch vor Albrecht Kloß zeigt, vor welchen Problemen der Betrieb nun steht.
Die Aufnahme von Warnstedt und den benachbarten Orten ist übersät mit mehr als 30 roten Sprenkeln - als hätte das Foto Masern. Die Punkte markieren das Kirchenland, das nun anderweitig verpachtet wird, es ist unterteilt in mehrere einzelne Flächen. Umgeben von Äckern, die Kloß und seine Leute auch weiterhin bewirtschaften werden.
Kloß ahnt, dass das zum Problem werden wird: Wie, fragt er sich, soll ein neuer Pächter auf die Flächen kommen? „Die lassen sich praktisch nicht herauslösen.“
Agrargenossenschaft könnte viel Geld umsonst investiert haben
Zudem habe sein Unternehmen viel Geld investiert - neue Traktoren, neue Technik für Bodenbearbeitung, Düngung und Pflanzenschutz. Wie viel? Kloß überschlägt: „2,5 Millionen Euro in drei Jahren.“ Man habe eine Datenbank aufgebaut für GPS-Satellitentechnik, die bei Aussaat und Düngen hilft. „Das macht man nicht aus dem Bauch.“ Im Falle des Kirchenlandes sei all das nun verloren.
Ob sich das Landeskirchenamt davon umstimmen lässt, ist unklar. Albrecht Kloß hat einen kirchlich engagierten Freund um Vermittlung gebeten. Dem Vernehmen nach bisher ohne Erfolg. Am kommenden Mittwoch will sich Kloß mit Regionalbischof Hackbeil treffen. Der sagt: „Wir verstecken uns nicht hinter Akten. Wir suchen das Gespräch.“ (mz)