Bildung Was die Schüler in Harzgerode in „BO“ lernen
An der Gemeinschaftsschule ist Berufsorientierung seit dem vergangenen Schuljahr Unterrichtsfach. Was damit bezweckt wird.

Harzgerode/MZ - Um Freiwilligendienste geht’s. Jenny Wendrich, Lehrerin an der Gemeinschaftsschule in Harzgerode, hat ihren Platz Munise Lehmann überlassen. Die arbeitet beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) und zeigt den Neuntklässlern jetzt auf, welche Möglichkeiten nach der Schule bestehen, wenn sie sich noch nicht entschieden haben, was sie einmal werden wollen. Oder: wenn noch Zeit bis zum Ausbildungsbeginn ist und die sinnvoll überbrückt werden soll oder mancher erst mal die eigenen Stärken ausloten, praktische Erfahrungen sammeln und sich schlicht und ergreifend sozial engagieren möchte. FSJ, BFD, IJFD - die wenigsten können ad hoc etwas mit den Abkürzungen anfangen. Vor der Stunde zumindest.
Aber genau deshalb ist Munise Lehmann in den Unterricht gekommen. Sie erklärt den Schülern, was es mit dem Freiwilligen Sozialen Jahr, mit dem Bundesfreiwilligendienst und dem Internationalen Jugendfreiwilligendienst auf sich hat und wie die Einsätze beim DRK ablaufen.
Einblick in die Arbeitswelt
An der Gemeinschaftsschule ist Berufsorientierung nicht nur im Unterricht verankert: Seit dem vergangenen Schuljahr steht sie als eigenes Schulfach auf dem Stundenplan. Unterrichtet wird es gegenwärtig in der neunten Klasse. Für eine Stunde pro Woche. In der bekommen die Schüler einen Einblick in die Arbeitswelt und viele nützliche Informationen an die Hand, beispielsweise zu Ausbildungsinhalten und Berufsvoraussetzungen. Dazu kommen Vertreter ausbildender Unternehmen in die Schule. Eine Kooperation besteht mit den Berufsbildenden Schulen „Geschwister Scholl“ in Halberstadt. Und auch eine Berufsberaterin der Agentur für Arbeit war schon im Unterricht, unter anderem um Vorstellungsgespräche zu üben. Das Bewerbungsverfahren ist ebenfalls Teil des Teil des Unterrichtsstoffes. Und auch da wird’s ganz praktisch, werden die Bewerbungsunterlagen erstellt.
„Es gibt Schüler, die gehen nach der neunten Klasse raus, da möchte ich, dass sie alles fertig haben“, erklärt Jenny Wendrich, die unter anderem auch noch Sport und Geografie unterrichtet, „ich sag’ immer: Dann habt ihr’s da und braucht es nur noch zu aktualisieren. Das erleichtert Schülern und Eltern die Arbeit.“
Der erste Eindruck zählt
Von der Bewerbungsmappe hängt viel ab. „Der erste Eindruck muss stimmen“, sagt sie. Und dabei gibt es so viel zu beachten. Wie sollte sie aussehen, die Mappe? Was muss alles rein? Wie formuliert man das Anschreiben am besten? Was steht im perfekten Lebenslauf? Vor allem: Wie formatiert man ihn richtig? „Die Schüler kennen sich alle bestens mit Social Media aus, mit Instagram und Facebook“, sagt Jenny Wendrich, aber mit einem einfachen Textverarbeitungsprogramm habe so mancher seine Schwierigkeiten.
Was ihr noch auffällt: „Vielen fällt es nicht leicht, sich selbst einzuschätzen, ihre Stärken, ihre Schwächen zu benennen.“ Sich überschätzen, sich unterschätzen - beides komme vor, „die meisten stapeln aber eher tief“, sagt die Berufsorientierungslehrerin. Bevor Berufsorientierung Schulfach wurde, gab es an der Schule schon eine Arbeitsgemeinschaft. Die Teilnahme war freiwillig. Bewerbungen seien erstellt und zum Schluss auch abgeschickt worden, erzählt Jenny Wendrich.
Den Berufsorientierungsunterricht kann man in gewisser Weise auch als Coaching betrachten: „Wir möchten den Schülern auch Mut machen“, ihnen die Wertschätzung entgegenbringen, die sie verdienten, sagt Schulleiterin Christiane Hempel. Zu oft habe sie noch das Gefühl, dass Schüler, die kein Gymnasium besuchten, „abgestempelt“ würden, dabei „stehen ihnen alle Wege offen“.
Weil Berufsorientierung kein offizielles Schulfach sei wie Mathematik oder Englisch, stehe auf dem Zeugnis am Ende auch keine Note, sondern nur ein Teilnahmevermerk, so Christiane Hempel. Dennoch gebe es, wie sie sagt, Zensuren. Je nach Aufgabenstellung fließen die in die dazu passenden Fächer ein: Deutsch, Sozialkunde, Geschichte.
Ziel: Berufswahl-Siegel
Christiane Hempel sieht aber noch mehr Potenzial in der Richtung. „Mein Ziel ist, dass unsere Schule das Berufswahl-Siegel des Landes bekommt“, erklärt sie, „dafür muss man viel vorweisen. Wir stehen noch am Anfang.“ Das Berufswahl-Siegel ist ein Zertifikat für Schulen, die ihre Schüler in vorbildlicher Weise auf die Berufswahl und die Arbeitswelt vorbereiten. Gegenwärtig sind landesweit 68 Schulen zertifiziert, darunter 40 Sekundar- und Gemeinschaftsschulen, 18 Förderschulen, vier Gesamtschulen und sechs Gymnasien. Im Landkreis Harz gibt es bereits fünf Schulen mit Berfufswahl-Siegel: die Pestalozzischule in Wernigerode, die Petri-Sekundarschule in Schwanebeck, die Marianne-Buggenhagen-Schule in Darlingerode, die Albert-Schweitzer-Schule und das Käthe-Kollwitz-Gymnasium in Halberstadt.