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Mit Kleinkaliber-Waffe verletzt Nach Verletzung mit Kleinkaliber-Waffe: Katze wird in Gernrode gesund gepflegt

Von Susanne Thon 13.05.2016, 16:14
Dorina Stenicka mit Sissi. Die Katze wurde vor zweieinhalb Wochen angeschossen. Sie überlebte schwer verletzt.
Dorina Stenicka mit Sissi. Die Katze wurde vor zweieinhalb Wochen angeschossen. Sie überlebte schwer verletzt. Chris Wohlfeld

Gernrode - „Es will mir einfach nicht in den Kopf gehen. Wer macht so was? Sie hat doch keinem etwas getan.“ Dorina Stenicka schüttelt fassungslos den Kopf. Aber schon im nächsten Moment gilt ihre ganze Aufmerksamkeit wieder der kleinen Patientin, die da vor ihr auf der Decke liegt, das kahlrasierte, frisch operierte Hinterbein von sich weggestreckt: Katze Sissi.

Die 57-jährige Gernröderin überhäuft sie mit Kosenamen. Wenn Liebe Wunden heilen würde, dann könnte die „Zuckerpuppe“ jetzt mit ihren Katzenkumpeln Puppi und Salem im Garten tollen. Ja, wenn. Doch die achtjährige Sissi ist schwer verletzt, darf nicht raus - und das Bein nicht belasten.

So schlimm das für beide - Frauchen und Katze - sein mag: Im Grunde weiß Dorina Stenicka, dass „Sissi noch unwahrscheinliches Glück hatte“. Denn sie lebt. Vor zweieinhalb Wochen wurde das grau melierte Tier mit den blauen Augen angeschossen. Mitten in Gernrode. Vermutlich in der Nähe des Edeka-Marktes. Dorina Stenicka glaubt, das Gebiet so genau eingrenzen zu können, da ihre Katzen nie allzu weit wegliefen, sich meist gar in Rufweite aufhielten. Besonders dramatisch: Der Täter feuerte nicht mit einem Luftgewehr auf die Katze, sondern mit einer kleinkalibrigen Waffe, wie sie etwa Sportschützen mit einer speziellen Genehmigung besitzen dürfen. Das Geschoss wurde in einer Operation entfernt. Der Tierarzt riet Dorina Stenicka und Tochter Jasmin Wagener, Anzeige zu erstatten.

Lässt sich der Waffenbesitzer ermitteln?

Die Polizei ermittelt nun wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz. Aber auch wenn in den sozialen Netzwerken immer mal wieder Bilder von angeschossenen Katzen - wie der aus Thale - die Runde machen, spricht Uwe Becker vom Polizeirevier Harz von „absoluten Ausnahmen“, wenn es um die Zahl der Fälle geht, die dann auch tatsächlich angezeigt werden. Der Täter habhaft zu werden sei oft schwierig. Vor allem, wenn es keine Ermittlungsansätze gebe. Etwa ein Projektil, wie es Dorina Stenicka und Jasmin Wagner vorliegt. Anhand dessen könne man zunächst Rückschlüsse auf das Waffenmodell schließen und - sofern es sich um eine registrierte Waffe handele - über die Waffenbehörde den Besitzer ermitteln, so Becker.

Dass jemand auf Sissi geschossen habe, sei ihr zunächst gar nicht bewusst gewesen, „ich habe gedacht, dass das Bein gebrochen ist“, erzählt Dorina Stenicka. Es war eigentlich alles wie immer. Sissi, die kommen und gehen kann, wann sie will, war nachts auf Pirsch, brachte mal wieder ein Mäuschen mit, und verschwand danach noch einmal. Was bis zum Frühstück passierte? Unklar. Fakt ist: Sissi schleppte sich - vermutlich unter Schock stehend - noch nach Hause, quälte sich durch die Katzenklappe und brach letztlich auf der Treppe im Flur, vor Frauchens Augen, zusammen. Die ortsansässige Tierärztin vermittelte den tierischen Notfall umgehend weiter. In der Kleintierpraxis im Ascherslebener Ortsteil Westdorf wurde nach dem Röntgen das ganze Ausmaß offenbar: Die Kugel war am Oberschenkel eingedrungen und hat das Schienbein zertrümmert. Ein Titannagel und vier Schrauben wurden eingesetzt.

Dass die Sache hätte schlimmer ausgehen können, ist auch dem behandelnden Tierarzt Jürgen Krügel klar. Eine Katze, die mit einer Kleinkaliber-Waffe angeschossen wurde: So etwas sei ihm zuvor in seinem Berufsleben noch nicht unterkommen - im Gegensatz zu Katzen, die von Projektilen aus Luftgewehren getroffen wurden. Das seien über die Jahre aber deutlich weniger geworden. „Vor 20 Jahren wurde noch öfter auf Katzen geschossen. Da haben wir aus jeder dritten Diabolos geholt“, sagt Krügel. Heute seien schussverletzte Tiere - zumindest in seiner Praxis - eher Einzelfälle.

Und Sissi? Nachdem „sie in der ersten Nacht nur gejault hat“, wie Dorina Stenicka sagt, befindet sie sich auf dem Weg der Besserung. Vor drei Tagen habe sie zum ersten Mal wieder spielen wollen, sagt sie und freut sich über jeden noch so kleinen Fortschritt. Nur ihr Verhältnis Fremden gegenüber - Sissi war schon immer vorsichtig - wird wohl auch in Zukunft angespannt bleiben. (mz)

Dieses Projektil einer Kleinkaliber-Waffe steckte in der Wunde.
Dieses Projektil einer Kleinkaliber-Waffe steckte in der Wunde.
Chris Wohlfeld