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Morbide Schönheit Morbide Schönheit: Harzklub gibt das Haus nicht auf

Von Bianca Müller 19.12.2016, 11:31
Horst Schöne mit einer Aufrisszeichnung vom 30. Dezember 1892.
Horst Schöne mit einer Aufrisszeichnung vom 30. Dezember 1892. Chris Wohlfeld

Alexisbad - Die Atmosphäre vergangener Tage, als der Gebäudekomplex in der Alexisbader Kreisstraße noch Betriebsferienheim der Reichsbahndirektion Magdeburg war, ist dem reizvollen, aber gefährlichen Charme des Verfalls gewichen. „Tagtäglich stirbt hier Zeitgeschichte“, erkennt Horst Schöne, Vorsitzender des Harzklub-Zweigvereins Harzgerode, wehmütig.

Nach der Wende übernimmt die Deutsche Bahn die Einrichtung zwar erstmal, doch im Herbst 1997 schließen sich ihre Türen. Für immer? Schöne und seine Mitstreiter hoffen nach wie vor, „den Gebäudekomplex in die Sanierung zu überführen.“

Ferienheim gehört einem Franzosen

Als Hochbauingenieur ist er sicher, dass die Bausubstanz das hergibt, auch wenn es mit jedem Tag Leerstand schwieriger wird. Seit einer Versteigerung 2004 gehört das Ferienheim einem Franzosen. Doch auch damit rückt ein zweiter Frühling nicht in greifbare Nähe: Der Besitzer ist lange nicht erreichbar, besucht das Areal erst 2011 – nach sieben weiteren, untätigen Jahren. Seine Ambitionen sind fraglich, mindestens aber unbekannt.

Zu dieser Zeit reagiert der Verein geistesgegenwärtig, lässt sich eine Vollmacht ausstellen, um regelmäßig „nach dem Rechten sehen zu können“ – ehrenamtlich versteht sich. „Uns geht es erstmal darum, hier alles über die Zeit zu retten“, erklärt Schöne.

Kein leichtes Unterfangen: Wasserschäden, Inventardiebstähle und Hausfriedensbrüche sorgen immer mal wieder für Bauchschmerzen. Dagegen ist der Grünschnitt noch das kleinere Übel, dennoch füllen sich allein 2012 drei Container zu je 24 Kubikmetern.

Das Schicksal ist immer gleich

Alexisbad, seinerzeit erster Badeort Anhalts, als Freizeit- und Erholungsraum beherbergt von jeher solche Quartiere, sogar das Ministerium für Staatssicherheit unterhält hier eine Urlaubsunterkunft.

Die meisten von ihnen, auch deutschlandweit betrachtet, teilen in der Nachwendezeit das gleiche Schicksal: Schließung, Besitzerwechsel, Verfall.

Als der amphitheatralische Gebäudekomplex aus Kursaal, Post, Logier-, Bade- und Kurhaus in Alexisbad - ursprünglich übrigens nach dem goldenen Schnitt - 1811 fertig gestellt wird, fehlen viele der Merkmale, die ihm im 19. Jahrhundert seine markante, zuletzt sogar morbide Schönheit verleihen.

Mit Treugott Wenzel, dem auch die Eisenhütte Mägdesprung gehört, hält 1892 die entstehende Bäderarchitektur Einzug: das Logierhaus bekommt dreiseitig angeordnete Veranden und seine vier auffälligen Ecktürme, die das Straßenbild bis jetzt prägen.

Schöne ist überzeugt, „dass hier Architekturgeschichte geschrieben wurde.“ Noch heute trägt die Südseite die dunklen Jugendstil-Schmuckziegel, oben verziert mit der besonderen Tropfenform. Während 1930 die Berliner Müllabfuhr als Pächter auftritt, dient das Ferienheim zum Ende des Zweiten Weltkrieges als erste Harzer Bleibe für zahlreiche Flüchtlinge aus dem heutigen Polen, ehe die Reichsbahn es für ihre Mitarbeiter nutzt.

Fast wie im Film „Titanic“

Schlendert man durch die Räume, ist es ein bisschen wie im Film „Titanic“, wenn man den vornehmen Ballsaal erst belebt und Jahrzehnte später verwaist sieht. Die rund 40 Zimmer sind nur noch hohle Räume, im kleinen Café des Logierhauses fällt es jedoch leicht, sich seine lebhafte Version vorzustellen.

Für einige Gebäudeteile kommt indes jede Rettung zu spät: der Saal mit seiner asiatisch anmutenden Dachform wurde 1972 abgerissen und während es gelang, das Badehaus zu erhalten, war das Kurhaus mit seinen Zwiebeltürmen 2004 dem Untergang geweiht.

Zwei Jahre lang und in 250 Schreiben an die verschiedensten Instanzen versuchte der Harzklub das zu verhindern – vergebens. „Ohne Not!“, sagt Horst Schöne. Es fehle an Befürwortern des Erhaltes, auch politisch.

„Manchmal habe ich das Gefühl, alle haben nur den Abriss im Kopf.“ Viele Kontakte zu potentiellen Investoren, die er über die Jahre immer mal ins Spiel brachte, ließ man mehr oder weniger desinteressiert im Sande verlaufen.

Schöne zeigt sich dennoch kämpferisch, glaubt weiterhin, dass „hier nochmal was entstehen kann – das lässt sich auch wunderbar in das touristische Konzept von Alexisbad integrieren.“ (mz)

Der Zustand des früheren Eisenbahnerferienheimes, um das sich der Harzklub-Zweigverein Harzgerode so gut es geht kümmert, ist schlecht.
Der Zustand des früheren Eisenbahnerferienheimes, um das sich der Harzklub-Zweigverein Harzgerode so gut es geht kümmert, ist schlecht.
Wohlfeld