Leichathletik Leichathletik: Weltmeisterin hängt Spikes an Nagel
THALE/QUEDLINBURG/MZ. - Das letzte Haus in der Thalenser Walpurgisstraße ist das Elternhaus von Gisela Seifert. Die Morgensonne scheint in den parkähnlichen Garten mit hohen Eichen. Auf dem Gartentisch funkeln drei Medaillen. Eine Goldmedaille und zwei bronzene hat Gisela Seifert bei den Leichtathletik-Europameisterschaften der Senioren im belgischen Gent als Starterin des USV Halle gewonnen. Doch es werden ihre letzten sein. Die 55-Jährige will keinen Wettkampf mehr bestreiten.
Dabei hat sie in den letzten Jahren viele Erfolge feiern können. Sie wurde dreimal Dreisprung-Weltmeisterin in der Halle. Bei fast jedem Lauf in der Region, zu dem sie antrat, stand sie am Ende auf dem obersten Podestplatz ihrer Altersklasse. Die Liste ihrer Landesrekorde über 100 Meter bis zehn Kilometer und die Sprungdisziplinen ist lang. Für vier deutsche Bestleistungen und sogar einen noch gültigen Weltrekord in der vier mal 200-Meter Staffel der Altersklasse 50 ist die Thalenserin mitverantwortlich.
Leider sind manche Erfolge im Harz kaum noch bekannt geworden, weil sie diese als Starterin für den USV Halle erreichte. Damit konnte die frühere Seriensiegerin bei der Wahl der Sportlerin des Jahres im Kreissportbund Quedlinburg und Harz zuletzt auch nicht mehr ganz oben stehen, da nur noch Erfolge für die TSG GutsMuths Quedlinburg berücksichtigt werden. Obwohl die Grundlagen für die Erfolge nicht in Halle, sondern beim Training auf Moorberg mit Lothar Fricke und Christine Krügel gelegt wurden.
Sie wollte Spaß am Sport haben und dennoch stets alles aus sich herausholen. Dafür trainierte sie dreimal in der Woche. "Leichtathletik sollte leicht sein. Wenn es einem schwer fällt und die Leistungen nicht mehr so sind, wie man sich das vorstellt, dann sollte man aufhören." Unter vier Meter beim Weitsprung und weniger als neun Meter in Dreisprung kann sie nicht mehr akzeptieren. Nach sechs Jahren Leistungssport hat sie andere Ziele. Nun will sie mehr Zeit für ihre drei Enkel, ihren Mann und den großen Garten haben.
1,71 Meter im Hochsprung mit 14
"In der Schule habe ich jeden Crosslauf gewonnen." Gisela Seifert trainierte unter Leitung von Helmut Gierak beim SV Stahl Thale. Auch auf Bezirksebene war sie erfolgreich. In der sechsten Klasse interessierte sich die Hallenser Sportschule für das talentierte Mädchen. Nach einigen Testtagen entschied sie - "jeden Tag rennen kann ich mir nicht vorstellen." An die Sportschule ging sie dennoch ab der 7. Klasse. Der Hochsprung-Trainer Ortwin Schulze nahm Gisela Seifert und sie übersprang 1,71 Meter als 14-Jährige.
Nach Problemen mit Schere und Wälzer war der aufkommende Flop ihre Technik. Die gleichaltrige Ulrike Meyfarth brachte in der BRD ähnliche Leistungen wie sie. Doch als Gisela Seifert einen Wettkampf im "kapitalistischen Ausland" bestreiten sollte, durfte sie plötzlich nicht. Sie sei zu dick, habe es geheißen, den wahren Grund kennt sie bis heute nicht. So schnelle Leistungssprünge, wie sie Trainer planten, schaffte die Thalenserin später nicht mehr und sie gab das Hochspringen in der zehnten Klasse auf. "Ich habe dem keine Träne nachgeweint, dass ich nicht so ganz groß im Hochsprung geworden bin." In der zehnten Klasse wechselte sie zum Basketball und spielte beim KPV Halle. Dabei blieb sie auch bis zum Abitur an der Sportschule.
Gisela Seifert studierte schließlich Pädagogik und wurde Sportlehrerin. Ihren späteren Mann Harald lernte sie schon als 15-jährige Neuntklässlerin an ihrer Schule kennen. Der Quedlinburger sollte Zehnkämpfer werden. 1978 wurde er Weltmeister - allerdings nicht als Zehnkämpfer, sondern im Viererbob - und Europameister im Zweierbob.
Vier sportbegeisterte Kinder
Gisela Seifert hatte mit der Geburt ihrer Tochter Sandra 1978 den aktiven Sport aufgegeben. Die sportliche Ader erbten alle vier Kinder von Gisela und Harald Seifert. Sie entschieden sich, auch eine Sportschule zu besuchen. Sandra ging zum Rudern und spielte später als Basketballerin in Halle in der Bundesliga. Auch Bruder Raiko ging als Zehnkämpfer an die Sportschule, spielte als Basketballer des MBC in der 2. Bundesliga und heute in der 2. Regionalliga für den HSC. Der jüngere Bruder Stefan wurde Speerwerfer bei Maria Ritschel (62 Meter Bestmarke), wechselte dann aber wie die Geschwister zum Basketball. Der jüngste Bruder Vico wollte seinen Geschwistern nicht nachstehen und wurde Sprinter.
Freunde in vielen Stadien
Bei Quedlinburger GutsMuths Sportfest 1998 schnürte Gisela Seifert das erste Mal wieder ein paar geborgte Spikes. Sie war mit ihren Schülern am Moorberg und wurde gefragt, ob sie nicht in der 4x200-Meter-Staffel einspringen könnte. Anschließend machte sie beim Weitsprung mit. "Das hat Spaß gemacht und ist schließlich ausgeartet. Ich wollte das eigentlich nicht", meint sie heute schmunzelnd. Durch das regelmäßige Training wurden die Leistungen besser. Erst war sie beim SV Stahl Thale, dann wechselte sie zur TSG GutsMuths, wo leistungsorientierter trainiert wurde und sie eine tolle Gemeinschaft vorfand. Von ihren alten Schulkameradinnen aus Halle wurde sie schließlich angesprochen, ob sie nicht eine Mannschaft bilden könnten. So kam es, dass sie seit 2005 für den USV Halle startete.
Die schönsten Erinnerungen hat sie an die Deutschen Mannschaftsmeisterschaften, bei denen im Team mitgefiert wurde. Aber auch die Begegnungen mit Sportlern aus vielen Ländern, aus denen mitunter Freundschaften wurden, das Kennenlernen von fremden Orten und Ländern sei es wert gewesen, so hart zu trainieren, weit zu reisen und die hohen Kosten für das Hobby zu tragen.
Sportlich betätigen will sich Gisela Seifert auch weiterhin. "Ich bin am Sonntag durch das Bodetal gelaufen, fahre Fahrrad, gehe Schwimmen und mit meinem Mann in die Sauna. Ich fahre auch noch ab und zu nach Quedlinburg rüber. Nur Wettkämpfe mache ich keine mehr mit." Der TSG GutsMuths wird sie die Treue halten.