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Heißluftballon geklaut Heißluftballon geklaut: Worauf es die Diebe im Harz wirklich abgesehen hatten

Von Ingo Kugenbuch 31.03.2019, 06:00
Nachdem die Hülle ein paar Tage im Wald gelegen hatte, musste Winfried Borchert sie erst einmal trocknen.
Nachdem die Hülle ein paar Tage im Wald gelegen hatte, musste Winfried Borchert sie erst einmal trocknen. Daniel Dörfler

Wernigerode - Der 24. Februar ist ein perfekter Tag für Ballonfahrer: Hoch „Frauke“ sorgt für Sonne und zweistellige Temperaturen. „Wir sind von Ilsenburg aus gestartet und genau über den Brocken gefahren“, erinnert sich Ballonpilot Winfried Borchert, 49. Der höchste Harzberg liegt trotz des Frühlingseinbruchs noch immer unter einer dicken Schneedecke.

Ein majestätischer Anblick. „Die Windverhältnisse waren grandios“, sagt Borchert. Zwei Stunden und 35 Minuten ist der „Brockenballon“ aus Wernigerode in der Luft, dann landet er sanft auf einer Wiese bei Nüxei, einem Weiler in der Nähe von Bad Sachsa. Hier beginnt im Februar die Geschichte des verschwundenen Ballons. Und nur wenige Kilometer entfernt endet sie einige Wochen später auch, zumindest vorläufig.

Anhänger mit Ballon über Nacht gestohlen

Auf dem Rückweg nach Wernigerode macht der Geländewagen, der den etwa eineinhalb Tonnen schweren Hänger mit Ballon und Korb zieht, seltsame Geräusche. Borchert verabredet daher mit seiner Werkstatt, dass er das Auto gleich nach der Rückkehr vorbeibringt. „Daher haben wir den Hänger nur abgekuppelt und auf unserem Firmenparkplatz stehen lassen“, sagt Borchert. „Normalerweise kommt er über Nacht in eine Garage mit Alarmanlage.“ Borchert geht gegen Mitternacht noch mal hinaus, um alles für die Ballonfahrt am nächsten Morgen vorzubereiten: Er nimmt die Gasflaschen zum Füllen heraus, sein Netbook, das Funkgerät. „Als ich den Hänger dann am Vormittag beladen wollte, war er weg.“

Zunächst glaubt der 49-Jährige noch an ein Versehen, eine falsche Absprache vielleicht, aber langsam wird ihm an diesem Montag klar, dass der Anhänger mitsamt Heißluftballon, Korb und Brenner verschwunden ist.

Ballon weg, Existenzangst da

Hat er sich in diesem Moment um seine Existenz gesorgt? Borchert überlegt kurz. „Ja, das könnte man schon sagen“, erwidert er. „In dem Moment brummte mir ganz schön der Kopf.“ Denn er hat sich auf seine alarmgesicherte Garage verlassen - und deshalb keine Versicherung für seinen Heißluftballon abgeschlossen.

Der Schaden, der Zeitwert des Equipments: 20000 Euro. „Aber die Wiederbeschaffung wäre deutlich teurer geworden“, sagt Borchert, der seit acht Jahren Ballonpilot ist und seine Firma „Brockenballon“ seit sechs Jahren betreibt. Er macht folgende Rechnung auf. 12000 Euro kostet ein neuer Hänger, 14000 Euro Brenner und Korb, der Ventilator 3000 Euro. Am teuersten aber ist die neue Ballonhülle: Sie würde mit rund 42000 Euro zu Buche schlagen.

354258 Facebook-Nutzer erreicht

Borchert erstattet Anzeige bei der Polizei und schickt einen Hilferuf ins soziale Netzwerk Facebook. „Die Resonanz war überwältigend.“ Insgesamt 354258 Facebook-Nutzer erreicht er mit seinem Post, in dem er eine Belohnung von 1000 Euro aussetzt. „An diesem Tag klingelte sich mein Telefon heiß“, sagt er. Neben vielen nutzlosen Hinweisen bekommt Borchert auch handfeste Hilfsangebote.

So borgt ihm ein Ballonfahrer aus Magdeburg einen Hänger. Korb und Brenner kauft er gebraucht von einem Kollegen am Bodensee. Eine kleinere Ballonhülle hat Borchert in Reserve. So ist er recht schnell wieder einsatzbereit. Allerdings kann er nun nur noch vier statt fünf Passagiere mitnehmen. Pro Fahrt bedeutet das einen Einnahmeausfall von rund 200 Euro.

Wer klaut einen Ballon?

Als der Schock langsam nachlässt, kommt mit aller Macht diese Frage: Wer klaut einen Ballon? „Ich dachte, sie verticken den ins Ausland, und dann ist er weg.“ Das war Borcherts erster Gedanke. Aber dann ist ihm klar, dass das eine ziemlich dumme Idee wäre. Denn bis auf Dominica, Liechtenstein und den Vatikan sind alle Länder der Welt Mitglied der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation ICAO. Und die wacht auch darüber, ob irgendwo jemand mit einem geklauten Ballon unterwegs ist - genau wie die Ballonfahrer weltweit.

2011 zum Beispiel scheiterten Einbrecher beim Verkauf ihres Diebesgutes in Georgien. Sie hatten den drei Jahre zuvor bei Köln geklauten Ballon einem Piloten in der Kaukasusrepublik angeboten. Dieser ließ sich zum Schein auf den Deal ein und von der Polizei verwanzen - und die Diebe konnten so gefasst werden.

Ballondiebe hatten es auf Anhänger abgesehen

Dass die Harzer Ballondiebe es gar nicht auf den Ballon abgesehen hatten, sondern auf den Hänger, ahnt zu diesem Zeitpunkt niemand. Auf den Gedanken kommt Borchert erst, als ein Förster am 19. März im Wald nahe des Harz-Dörfchens Elend Korb, Hülle und Brenner findet. Ventilator und Höhenmessgerät haben die Diebe behalten. Der Ballon ist gut verpackt, aber vom Korb hatten die Diebe ein paar Seile durchtrennt sowie Teile des Brenners abmontiert.

Das muss nun alles beim Hersteller in der Nähe von Trier repariert werden. Und auch die Ballonhülle darf nicht einfach wieder in die Luft gehen. Am Mittwoch ließ der Brockenballon-Chef in einer Spezialwerkstatt in Kolkwitz bei Cottbus - einer Art Ballon-Tüv - die Kunststoffhülle untersuchen. „Sie haben sie aufgeblasen und inspiziert“, sagt Borchert. „Da ist nichts dran.“ Noch rund zwei Jahre wird er die Hülle - die für 600 Betriebsstunden zugelassen ist - nutzen können. Zuvor muss das Fluggerät aber erst wieder beim Luftfahrt-Bundesamt in Braunschweig zugelassen werden.

Mies lackierter Anhänger

Und die Ballondiebe? Die wollten eigentlich Blanko-Fahrscheine der Deutschen Bahn klauen. Und so sah ihr Plan aus: Nachdem sie den auffällig lackierten „Brockenballon“-Anhänger gestohlen hatten, besprühten sie ihn mit schwarzer Farbe aus der Dose. Sie stahlen sodann in Halberstadt Autokennzeichen, mit denen sie auf dem Weg in den Westharz noch schnell tankten - ohne zu bezahlen. In der Nacht zum 22. März zirkelten sie dann den Hänger vor die beiden Fahrkartenautomaten auf dem Bahnhof in Bad Sachsa.

„Um 3.10 Uhr ging ein stiller Alarm bei der Polizei ein“, sagt Detlef Lenger, Sprecher der Bundespolizeiinspektion Hannover, die für Straftaten auf Bahnhöfen zuständig ist. Als der Streifenwagen am Tatort eintraf, hatten die Täter mit einem Trennschleifer bereits zwei der vier Befestigungsbolzen an dem einen Fahrkartenautomaten durchtrennt und einen an dem zweiten. Ihr Plan sah vor, dass die Automaten von den Ausmaßen eines großen Kühlschranks und mit dem Wert eines VW Golf nach dem Durchflexen direkt im Ballonanhänger landen. Doch als die Polizei auftauchte, mussten die Täter die Automaten - von denen laut Lenger nun einer kaputt ist - und den Hänger zurücklassen.

Wie Lenger berichtet, interessieren sich Fahrkartenautomatenknacker nicht für das wenige Bargeld in der Ticket-Maschine, sondern für die dicken Rollen mit Blanko-Fahrkarten. „Die kann man mit einem speziellen Drucker bedrucken und den Fahrschein dann im Internet verkaufen“, sagt der Polizeisprecher. „Die Fälschung kann auch ein Zugbegleiter nicht erkennen. Es ist nicht absehbar, wie hoch am Ende der Schaden ist.“ Auf eine volle Rolle könnten mehrere Hundert Fahrscheine gedruckt werden.

Flucht mit Tempo 150

So weit ist es in Bad Sachsa nicht gekommen. Die Polizei hängt sich mit ihrem Bulli an die erfolglosen Automatenknacker, und die rasen mit bis zu 150 Kilometern pro Stunde durch den nächtlichen Harz. „Bis nach Wieda konnten die Kollegen den Pkw verfolgen“, sagt Nadine Sünnemann, Sprecherin des Polizeireviers Harz in Halberstadt. „Dann haben sie den Sichtkontakt verloren.“ Wieda ist knapp zehn Kilometer vom Tatort entfernt.

Dort ist den Verfolgern im Bulli das Auto einfach zu schnell. „Man darf nicht jede Gefährdungssituation in Kauf nehmen“, sagt Jasmin Kaatz, Sprecherin der Polizeiinspektion Göttingen, die auch für Bad Sachsa zuständig ist. Einen schweren Unfall hätten die Polizisten wegen eines vergleichsweise harmlosen Delikts nicht riskieren dürfen.

„Das sind Leute, denen jeder Geschmack fehlt“

Die Täter bleiben also zunächst verschwunden. Wie Sünnemann berichtet, konnten allerdings insgesamt sieben Spuren - von möglicher DNA bis hin zu einer weggeworfenen Zigarettenkippe - im Wald bei Elend gesichert werden. Das Landeskriminalamt in Magdeburg werde sie jetzt auswerten, sagt Sünnemann. „Da es sich aber nur um einen einfachen Diebstahl handelt, wird das zwei bis drei Monate dauern.“ Winfried Borchert wird dann mit seinem „Brockenballon“ längst wieder über den Brocken oder das Harzvorland fahren.

Vielleicht bis nach Bad Sachsa. „Ich bin sehr froh, dass die Ballonhülle wieder da ist. Ich habe da auch eine gewisse emotionale Bindung“, sagt er. „Sie hat mich stets sicher durch die Luft getragen.“ Wenn die Täter gefasst seien, werde er natürlich Schadenersatzansprüche anmelden. „Aber wahrscheinlich werde ich mich dann hinten anstellen müssen.“ In zwei Jahren wird er das Ganze vermutlich komplett vergessen haben. Winfried Borchert wird sich dann mit Unterstützung seines Sponsors - einer Krankenkasse, für die er mit seinem Ballon Werbung macht - eine neue Hülle anschaffen.

Empfindet er Wut auf die Diebe oder gar Hass? „Nein, überhaupt nicht“, sagt der 49-jährige Ballonpilot, „mich interessiert aber, was die geritten hat.“ Einzig das Umlackieren seines Anhängers wird Borchert den Tätern wohl nicht verzeihen. „Das nehme ich ihnen wirklich übel“, sagt er. „Das sind Leute, denen jeder Geschmack fehlt.“ (mz)