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639 Stunden statt 639 Jahre Hedersleben: Elektronik-Bastler spielen as slow as possible von John Cage in 639 Stunden statt 639 Jahren

Von Andreas Bürkner 18.06.2017, 07:45
Initiator Falk Eichmann (M.) genießt in Hedersleben die ersten Töne des Cage-Projektes mit seinen Schrauber-Kollegen Torsten und Wolfgang (r.).
Initiator Falk Eichmann (M.) genießt in Hedersleben die ersten Töne des Cage-Projektes mit seinen Schrauber-Kollegen Torsten und Wolfgang (r.). Chris Wohlfeld

Hedersleben - Gespannt wartet ein Teil der knapp 100 Bastelfreunde auf den ersten richtigen Ton. Als er aus selbst gebauten Lautsprechern und einem eigentümlich anmutenden Gerät nach rund 14 Minuten endlich erklingt, gibt es spontan Beifall. „Das ist eine Orgel aus 80 Oszillatoren mit 160 russischen Röhren, welche die erforderlichen Töne erzeugt“, erklärt Frank Eichmann.

Er gehört zu den Initiatoren des jährlichen Treffens von studierten Elektro- und Elektronik-Ingenieuren im Hederslebener Kloster St. Gertrudis, das sich „Frickelfest“ nennt. Das Wort „Frickeln“ stammt aus dem Norddeutschen und beschreibt das Finden von technischen Problemlösungen. „Wir entwickeln und bauen Musikgeräte, die es noch nicht gibt“, ergänzt Wolfgang Nickl aus Bayern, der „Lautsprecher-Spezialist“.

Bastler aus Deutschland, Schweiz, Holland und Frankreich

Die kreativen Köpfe und Bastler sind nicht nur aus ganz Deutschland, sondern auch aus der Schweiz, Holland und Frankreich angereist, um sich ein Wochenende lang ihre neuesten Erfindungen zu guter Musikwiedergabe vorzustellen und sich gegenseitig zu inspirieren. „Es geht um selbst gebaute Reproduktionsgeräte der etwas anderen Art“, erklärt Mitorganisator Holger Barske, um zu betonen: „Sie sind aus Sicherheitsgründen für die Öffentlichkeit aber nicht geeignet.“

Im Vorjahr entstand nach dem Besuch in Halberstadt die Idee, für ihr zehntes Frickelfest das Orgel-Projekt der Halberstädter John-Cage-Stiftung „As Slow as Possible“, zu deutsch „So langsam wie möglich“, in ganz anderer Form umzusetzen. „Was dort auf 639 Jahre angelegt ist, machen wir in 63,9 Stunden“, erläutert Frank Eichmann, der seit einem Jahr im amerikanischen Silicon Valley (Kalifornien) lebt. „Dies passt genau in den Zeitrahmen des Frickelfestes.“

„Wir machen es, weil es geht und wir es können“

Zu diesem zieht es die Tüftler unter dem Motto „Wir machen es, weil es geht und wir es können“ erst seit 2012 in den Vorharz. „Hier haben wir den idealen Standort gefunden“, so Nickl. Um die Komposition „As Slow as Possible“ von John Cage (1912 bis 1992) im Vergleich zum Original in Halberstadt 87.658,1-mal schneller zu machen, hat ein knappes Dutzend Leute ein Jahr daran gewirkt. „Von Berechnungen über die Computerprogrammierung und den Bau der Technik bis zum Design haben wir uns meist nur online ausgetauscht“, beschreiben Eichmann und Nickl die Vorbereitungen.

Erfolgen Tonwechsel auf der Orgel in Halberstadt nur aller Jahre, selten mal zwei in einem, gelingt das den Fricklern in kürzerer Zeit. „Da aber Cage nur das Rauschen des Blasebalgs an den Anfang gesetzt hat, blieb es bei uns auch so lange still“, erklärt Eichmann das lange Warten bis zum ersten lauten Ton. Der letzte wird erst am Sonntag zu hören sein. „Danach folgt noch die Zweistunden-Fassung - ein Nebenprodukt“, ergänzt er.

Ein Lautsprechersystem für einen einzigen Ton

„Es ist eine tolle Idee, unser Orgel-Projekt in dieser Form umzusetzen“, sagt Rainer Neugebauer, der Vorsitzende des Halberstädter John-Cage-Stiftungs-Kuratoriums. Er war zum Start dabei und freute sich, dass „sich so viele Menschen von John Cage inspirieren lassen“. Schnell waren sich er und die „Nachnutzer“ einig, dass an dieser interessanten Variante des Themas auch der Meister der Töne, Geräusche und Pausen „bestimmt seinen Spaß gehabt hätte“.

Nickl hatte dafür sogar speziell für einen einzigen Ton des Komponisten ein entsprechendes Lautsprechersystem konzipiert. „Damit sich der Aufwand gelohnt hat, wird er wiederholt“, versprach Eichmann.

Was mit der „Spezial-Orgel“ nach der einmaligen Präsentation wird, blieb offen. Doch ein starkes Interesse der Halberstädter war unverkennbar. Neugebauer hofft: „Vielleicht können wir sie in unser Projekt integrieren.“ (mz)