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Findelkind in Osterwieck Findelkind in Osterwieck: Strafmaß für Mutter ist noch unbekannt

Von Max Hunger und Anne Köhler 11.07.2019, 11:58
In sogenannten Babyklappen können Mütter ihre Neugeborenen anonym in einer Klinik abgeben.
In sogenannten Babyklappen können Mütter ihre Neugeborenen anonym in einer Klinik abgeben. DPA

Osterwieck - Es ist eine Tat, die vielerorts Bestürzung verursachte: In der Nacht zum Dienstag hatte eine Frau ihr neugeborenes Kind nackt und schutzlos vor einem Mehrfamilienhaus in Osterwieck ausgesetzt. Ein 36-jähriger Anwohner hatte den Jungen kurz nach Mitternacht vor dem Hauseingang gefunden und die Polizei alarmiert.

Nach Zeugenbefragungen konnten die Beamten noch am selben Tag die Identität der Mutter ausfindig machen. Laut Polizei handelt es sich um eine 30-Jährige aus dem Harz. Gegen sie ermittle nun die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts eines versuchten Tötungsdeliktes, teilte Oberstaatsanwalt Hauke Roggenbuck am Mittwoch mit.

Findelkind in Osterwieck: Zustand des Jungen ist stabil

Das Kind war stark unterkühlt aufgefunden worden. Laut Polizei hat seine Körpertemperatur zu diesem Zeitpunkt nur 29 Grad betragen. Der Junge wurde umgehend in ein Krankenhaus gebracht. Sein Zustand sei stabil, sagte ein Polizeisprecher am Mittwoch. Die Mutter sei weiterhin auf freiem Fuß. „Da das Kind noch lebt, reden wir von einem versuchten Tötungsdelikt“, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft.

Findelkind in Osterwieck: Strafmaß unbekannt

Angaben zu dem zu erwartenden Strafmaß könnten derzeit jedoch nicht gemacht werden, so Roggenbuck weiter. Zuvor müsse die Staatsanwaltschaft ein psychologisches Gutachten in Auftrag geben. Auch weitere persönliche Hintergründe wie das soziale Umfeld und die Lebenssituation der 30-Jährigen seien zu berücksichtigen.

„Wir haben die Akte erst heute auf den Tisch bekommen. Es ergibt keinen Sinn, jetzt über eine Strafe zu sprechen“, sagte der Oberstaatsanwalt am Mittwoch.

Findelkind in Osterwieck: Verwandte sollen ermitteln werden

Das Kind bleibe zunächst in der Obhut des Jugendamtes, teilte die Kreisverwaltung mit. Anschließend setze das Familiengericht einen Vormund als gesetzlichen Vertreter ein. Alle weiteren Schritte könne man derzeit noch nicht absehen.

Allgemein versuche das Amt in solchen Fällen Verwandte zu ermitteln. Auch die Suche nach einer Pflegefamilie käme theoretisch in Betracht. Den Vormund stelle meist das Jugendamt, sagte ein Sprecher des Landkreises. Der könne grundsätzlich auch über den Namen und den weiteren Lebensweg des Kindes entscheiden.

Findelkind in Osterwieck: Psychologische Bewertung derzeit schwierig

Es bleibt die Frage, was eine junge Frau dazu bewegt, ihr neugeborenes Kind schutzlos zurückzulassen. Eine psychologische Bewertung eines solch schwerwiegenden Ereignisses sei aus der Ferne nicht möglich, sagte Jens Gregor, Leitender Oberarzt in der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Harzklinikum.

Allgemein sei zu vermuten ist, dass die Frau eine schwere Krisensituation erfahren habe, aus der sie keinen anderen Ausweg gesehen hat. „Da wir gar nichts von dieser Frau und über sie wissen, kann eine seriöse Antwort auf die Frage nach den Ursachen nicht gegeben werden“, sagte Gregor.

Findelkind in Osterwieck: Zwei anonyme Geburten hat es in 13 Jahren gegeben

Im Harzklinikum können Geburten auch anonym begleitet werden. In diesem Fall muss die Mutter ihre Identität nur einer schweigepflichtigen Beraterin preisgeben. Nach Angaben der Klinik ist das seit 2006 bisher erst zweimal geschehen.

Der Landkreis führt nach eigener Aussage keine Statistik über Findelkinder. Nach Recherchen des Kinderhilfswerks Terre des hommes wurden in Deutschland im vergangenen Jahr insgesamt 15 Kinder ausgesetzt - 11 von ihnen konnten nur tot gefunden werden.

Laut der Organisation befinden sich Schwangere, die an die Aussetzung ihres Kindes denken, häufig in einer persönlichen Krise - etwa aufgrund mangelnder Reife. Werden diese Frauen unerwünscht schwanger, seien sie häufig schlicht nicht in der Lage, eine Beratung anzunehmen. Oft verdrängten sie dann ihre Schwangerschaft und würden davon „überrascht“. Die Konsequenz sei dann Panik, in deren Folge die Betroffenen keine Alternativen in Betracht zögen. (mz)