Die Pilzeberater Die Pilzeberater: Neugierig auf jeden Korb

Güntersberge - Dafür brauchen Barbara und Hartmut Grzyb aus Güntersberge keines ihrer vielen Pilz-Bestimmungsbücher. „Das ist ein echter Steinpilz“, sagt das Paar, „den uns unser Sohn mal aus Steinen gebastelt hat.“ Ansonsten wissen sie, dass der Steinpilz einen Doppelgänger hat, der gallebitter ein ganzes Pilzmahl verderben kann: den Gallenröhrling mit seinen rosa Röhren.
Die 1942 Geborene und der Fast-Achtziger sind seit knapp 35 Jahren Pilzberater. Im Jahr der Tschernobyl-Katastrophe, die bis heute ihre Spuren in den Pilzen hinterlässt, legten die Güntersbergerin und der ehemalige Magdeburger ihre Prüfung ab. Dafür musste man schon 200 Arten sicher kennen, Blätter-, Baum- und Röhrenpilze, besonders die giftigen. „Heute kennen wir 400, aber in Mitteleuropa gibt es allein 3.500 Arten.“
Schon mit vier Jahren im Wald unterwegs
Barbara Grzyb war schon mit vier Jahren an der Seite ihrer aus der Provinz Posen stammenden Oma im Wald und auf Wiesen unterwegs. „Da habe ich die Pflanzen, Beeren und Pilze des Harzes kennengelernt.“
Das Ehepaar lässt kaum eine Möglichkeit aus, sich weiterzubilden: Pilzexkursionen, Seminare des Landesverbandes der Pilzsachverständigen und Wanderungen in Pilzgebiete zwischen Arendsee und Zeitz. Auch nach Jahrzehnten sagt Barbara Grzyb, die früher in der Tourismusinformation des Ortes arbeitete: „Ich bin neugierig auf jeden Pilzkorb. Wenn wir hier an unserem Beratungstisch am Bäckerplatz stehen, muss der ausgekippt werden bis auf den Boden!“
Karbolegerlinge statt Wiesen-Champions
Immer wieder stößt sie dabei auf ungenießbare oder gar tödlich-giftige Pilze. „Fliegenpilze kennt jedes Kind, aber wer auf den Wiesen riesige Mengen Champignons sammelt, kann schnell statt Anis- oder Wiesen-Champignons Karbolegerlinge eingesackt haben oder den Rosablättrigen Egerlingsschirmling.“
Barbara und Hartmut Grzyb wissen, es gibt Menschen, die essen keinen Pilz, der nicht durch ihre Kontrolle gegangen ist.
Wie vielen von ihnen sie durch ihr ehrenamtliches, unbezahltes Wirken schon das Leben gerettet haben?
Sie wissen es nicht. Selbst Krankenhäuser läuten bei ihnen an, wenn es um einen Vergiftungsverdacht geht. Bei den Grzybs, der Name aus dem Polnischen bedeutet kurioserweise Pilz, gibt es keine Ferndiagnose. „Bei uns wird alles in der Hand betrachtet. Wir erklären das den Ratsuchenden, ohne zu schulmeistern.“
Sie wissen, die alten Pilzgründe sind längst keine mehr, der Klimawandel, die sterbenden Harzbäume, man muss sich neue Reviere an Nordhängen oder Bachläufen suchen.
Nicht an der Straße sammeln
Sie selbst gehen natürlich auch in die Pilze und sind für gute Pilzrezepte zu haben. Doch als Profis wirken sie am Pilzreport des Landes mit und messen die Radioaktivität, die aus dem Boden ins Myzel strahlt: 108 Becquerel pro Kilo Frischpilz beispielsweise an der Plessenburg, anderswo nur 0,5, in Güntersberge dagegen 12. Der EU-Grenzwert liege bei 600.
„Wo ich nicht sammeln würde: An Straßen, weil die Schwermetall-Kontamination dort weiter zunimmt“, erläutert die Pilzberaterin, die mit ihrem Mann am Sonntag, 27. September, ab 10 Uhr am Waldhof Silberhütte mit Interessenten auf die jährliche Pilzwanderung geht. Dabei freue sie sich nicht auf Pilzmassen, „sondern auf eine Vielfalt an Sorten“. (mz)