Interview Der „Goldadler“ Jens Weißflog ist zurück im Harz
Skisprung-Legende ist am Freitag, auf Einladung des Brockenlaufvereins, in Ilsenburg zu Gast. Warum er nicht unbedingt auf den Brocken laufen will und was ihn mit der Region verbindet.

Er hat gewonnen, was es zu gewinnen gibt, Gold bei den Olympischen Spielen und bei Weltmeisterschaften, die Vierschanzentournee, den Gesamtweltcup. Und er ist als Legende in die Skisprung-Geschichte eingegangen: der einstige Weltklasse-Skispringer Jens Weißflog.
Vor 25 Jahren hängte der Oberwiesenthaler seine Sprungski an den Nagel und eröffnete ein Hotel. Bis heute ist er ein gefragter Interviewpartner und gern gesehener Gast in Studios und auf Veranstaltungen. „Ist die Zeit da, dann mach ich’s“, sagt der 57-Jährige über die Anfragen, die ihn erreichen, wie die vom Brockenlaufverein. Und so kommt er am Freitag, 3. September, nach Ilsenburg. Am Vorabend des 50. Brockenlaufs wird Jens Weißflog ab 19 Uhr im Haus der Vereine über seine Laufbahn sprechen. Für die MZ sprach vorab Susanne Thon mit der Skisprung-Legende.
Sie sind zu Gast bei den Brockenläufern. Der Brockenlauf gilt als einer der schwierigsten Bergläufe. Welche Verbindung haben Sie zum Laufen?
Jens Weißflog: Das ist die Disziplin, wegen der ich Skispringer geworden bin, weil mir das Laufen nach Zeit schwer gefallen ist. Ich habe ja als Nordischer Kombinierer begonnen, da war Skilanglauf Wettkampfdisziplin. Laufen hat zum Training dazugehört. Beim Skispringen wurde es zur Regeneration genommen. Da hat es mir dann eher Spaß gemacht, weil dieser Wettkampfcharakter weggefallen ist. Aber heute laufe ich nahezu nicht mehr.
Also, wenn wir Ihnen einen Startplatz beim Brockenlauf organisieren würden …
Um Gottes Willen.
Frage an den Hotelbetreiber: Wie schwierig war es für Sie seit Ausbruch der Pandemie?
Ich glaube, kein Wirtschaftsunternehmen der Welt hat Ruhe, wenn es innerhalb eines Jahres neun Monate schließen muss. Das ist hauptsächlich eine mentale Belastung, weil die Frage immer steht, wann wird wieder geöffnet und unter welchen Bedingungen?
Mentale Belastungen und Rückschläge haben auch Sie als Sportler erlebt. Jetzt als Hotelier. Ist Rückschlag gleich Rückschlag?
Das ist nicht vergleichbar. Als Sportler kann ich viel dafür tun, dass es beim nächsten Wettkampf oder bei der nächsten Weltmeisterschaft besser läuft. Das muss nicht immer funktionieren, aber ich habe es in der Hand. Als Hotelier bin ich abhängig von der Politik und habe keinen Einfluss.

Kann man denn inzwischen schon wieder von einer gewissen Normalität sprechen?
Nein, noch nicht. Was die wirtschaftliche Situation betrifft, schon. Da sind wir glücklich, dass wir weitermachen können, wo wir aufgehört haben - mit einer sehr guten Auslastung. Aber dem gegenüber steht der Arbeitskräftemangel. Die Situation in der Gastronomie und ähnlich gelagerten Branchen ist noch schlechter geworden nach sieben Monaten Lockdown. So viele sind raus. Und die kehren nicht zurück. Sodass wir jetzt zwar eine super Nachfrage haben, aber wir können die Gäste nicht mehr so bedienen, wie es eigentlich nötig wäre. Also wir bedienen sie, aber riskieren den Verschleiß der restlichen Arbeitskräfte.
Umso schöner ist, dass Sie sich in dieser angespannten Situation die Zeit nehmen und nach Ilsenburg kommen. Was verbindet Sie mit dem Harz?
Ich bin früher auch in Wernigerode gesprungen (1989 stellte Jens Weißflog auf der Zwölfmorgentalschanze mit 69,5 Metern den Schanzenrekord auf. Er hatte bis 2001 Bestand, Anm. d. Red.). Unser jährlicher Auftaktwettkampf in die Sommersaison fand dort statt. Und mit der Nationalmannschaft waren wir dort in den 1980er Jahren im Trainingslager. Ich verfolge auch nach wie vor, was Wernigerode im Nachwuchsbereich treibt und was mit den Schanzen passiert. Die sind ja nach wie vor sehr engagiert.
Wie nah sind Sie denn generell noch am Skisprunggeschehen dran?
Da unsere Tochter springt, haben wir Bezug zum Nachwuchs in dieser Altersklasse, weil wir das regional auch unterstützen. Aber über alles andere, was den Weltcup betrifft, da muss ich mich wie jeder andere übers Internet informieren.
Auch 25 Jahre nach ihrem Rücktritt ist Ihre Popularität ungebrochen. Woran, glauben Sie, liegt das?
Die heutige Zeit heute ist schnelllebiger, die Medienvielfalt größer. Da fällt es schwerer, für sich Helden zu platzieren. Die Halbwertszeit von erfolgreichen Sportlern ist viel kürzer. Die Olympischen Sommerspiele sind zwei, drei Wochen her. Aber wenn man die Leute fragt, wer Sieger geworden ist, wer heraussticht, kommt nichts. Mir fallen gerade drei Sachen ein. Positiv: Zverev im Tennis (Er ist der erste deutsche Olympiasieger im Herren-Einzel, Anm. d. Red.), er hat im Halbfinale den Weltranglisten-Ersten besiegt. Und dann kommt gleich das Negative: Moderner Fünfkampf (Zwischenfall beim Springreiten) und der Radfahrtrainer (Rassismus-Eklat). Das hätte es früher so nicht gegeben. Auf solche Geschichten wurde kein Wert gelegt, auch, weil sie anders eingeordnet wurden. Im Mittelpunkt aber stand das sportliche Ergebnis. Und das ist mein Glück, dass ich in einer Zeit gesprungen bin, in der es zwar schon gefühlt 100 Fernsehsender gab, die Leute aber intensiver geschaut haben, Dinge hängengeblieben sind.
Apropos: Checken die Leute bei Ihnen ein, weil Sie das Erzgebirge oder sie Sie kennenlernen wollen?
Der Name ist nach wie vor ein Türöffner. Aber er ist auch mit einer Erwartungshaltung verbunden. Die Herausforderung ist, das normale Arbeitspensum zu bewerkstelligen. Da muss man sich auch mal ins Büro verziehen. Weil es nicht nur mein Job ist, Geschichten zu erzählen, auch wenn das jeder Gast gern hätte. Und jeder, der mich nicht sieht, denkt gleich, ich bin nicht da. Aber ich bin immer da, und es ergeben sich tagtäglich genügend Möglichkeiten mich anzusprechen und zu sagen: Hallo, Herr Weißflog, können wir ein Foto machen? Und wie war das denn damals …?
Und mit dem Publikum in Ilsenburg wollen Sie ähnlich ins Plaudern kommen?
Es ist eigentlich als Buchlesung gedacht. Aber am Ende sind es ja die Geschichten, die im Buch stehen, die ich erzähle.
Zum Beispiel?
Über die Fahrt nach Sarajevo (dort fanden 1984 die Olympischen Spiele statt, Anm. d. Red.); da fragen viele: Was, da seid ihr wirklich mit dem Zug hingefahren? Und über Schlagzeilen, die es so gab, über die man heute lacht, die damals aber todernst waren. Da stand man halt auch mal als Brathuhn in der Zeitung. Aber im nächsten Jahr dann wieder als Goldadler.

Brockenlauf
26,2 Kilometer, 12,1 Bergauf, 14,1 bergab, Höhenunterschied: 890 Meter - der Brockenlauf gilt als einer der schwierigsten Bergläufe. Das ist aber nicht der einzige Superlativ, den er für sich beansprucht. Er ist auch der älteste. Der erste fand bereits am 12. Juni 1927 statt. Der ausbrechende Zweite Weltkrieg bescherte der sportlichen Tradition 1939 ein vorläufiges Ende. Viele der Athleten, die damals ihre Laufschuhe gegen Stiefel tauschen mussten, kamen auf den Schlachtfeldern ums Leben. Gegen alle Widerstände wurde der Brockenlauf 1954 - da waren Sperrgebiet und Schutzstreifen schon eingerichtet - wiederbelebt. Seine Popularität wuchs mehr und mehr. Aber nach der 20. Auflage war bedingt durch die Grenzschließung Schluss. 30 Jahre währte die Zwangspause, bis am 8. September 1990 endlich wieder Läufer auf die Strecke gehen konnten.
Nach einjähriger coronabedingter Zwangspause geht es nun am Sonnabend, 4. September, weiter. Mit dabei ist auch Peter Bech von der dänischen Berglauf-Nationalmannschaft. Den letzten Brockenlauf vor zwei Jahren hat er in 1:39:32 Stunden mit mehr als 8 Minuten Vorsprung souverän gewonnen.