Aus Kenia Als Dekoration in Einrichtungshäusern: Reinhold Schabbon aus Ermsleben bearbeitet fossile Riesenmuscheln aus Kenia

Ermsleben - Reinhold Schabbon schaltet den Winkelschleifer ein und lässt ihn behutsam über die raue Oberfläche des vor ihm liegenden großen weißen Stückes gleiten. Schnell in eine Wolke feinsten Staubs gehüllt, setzt der 58-Jährige das Werkzeug ab und nach einem prüfenden Blick neu an.
„Das ist eine Auseinandersetzung mit dem Werkstück. Man muss immer wieder gucken, es wie eine Skulptur in Form bringen, damit es etwas Leichtes bekommt.“
Mit Steinmetz-Werkzeugen werden Muscheln bearbeitet
Reinhold Schabbons Arbeitsgeräte sind ganz gewöhnliche Steinmetzwerkzeuge. Ungewöhnlich aber sind die Stücke, die er bearbeitet: Es sind fossile Riesenmuscheln „Tridacna gigantea“, geborgen aus einem Kalksteinbruch in Kenia.
In seiner Werkstatt auf einem 300 Jahre alten Hof in Ermsleben schleift und poliert Reinhold Schabbon sie meist zu glänzenden Dekorationsstücken. „Ich habe aber auch schon einige Waschbecken daraus gemacht.“
Von Beruf Mineraloge und Goldschmied, hat Reinhold Schabbon, wie er erzählt, fast 20 Jahre lang in Afrika gelebt. Dort habe er im Auftrag von Unternehmen Lagerstätten erkundet. Dabei habe er auch solche Riesenmuscheln entdeckt.
Recherchen hätten gezeigt, dass diese dort zu finden seien, wo sich früher ein Korallenriff befunden habe. „Es war ein etwa 600 Kilometer langes Riff, etwa drei Meter breit und bis zu zehn Meter mächtig, das sich über 130.000 Jahre hinweg gebildet hat und mit der letzten Eiszeit trockengefallen ist“, erzählt Reinhold Schabbon.
Das Material kann gesägt und geschliffen werden
„Ich hatte vor vielen Jahren in einem Entwicklungsprogramm eine Edelsteinschleiferei in Mombasa mit aufgebaut.“ Und die fossilen Muscheln - der Muschelkalk sei „durchkristallisiert“, zu Aragonit und Calcit geworden - seien ein Material, das gesägt und geschliffen werden könne. „Das waren die ersten Gedankengänge.“
Wo sich einst das etwa 260.000 Jahre alte Riff erstreckte - von Somalia über Kenia bis Tansania -, sei heute ein „sehr, sehr dicht bebauter Küstenbereich“. So sei es sehr schwer gewesen, ein Gebiet für den Abbau der Muscheln zu bekommen.
„Gigantischer Verwaltungsakt, bis man alle Genehmigungen hat”
„Man muss ein Abbaurecht haben, ein spezielles Transportrecht, eine Handelslizenz, eine Mineralkonzession, dass man mit Naturstoffen Bescheid weiß“, listet Schabbon auf. „Das ist ein gigantischer Verwaltungsakt, bis man das alles hat. Es hat Jahre gedauert, bis ich alles zusammen und von der Europäischen Union eine Einfuhrgenehmigung hatte.“
Und natürlich, so der 58-Jährige weiter, „braucht man auch die Kompetenz“, die Muscheln zu bearbeiten. Er sei in Graz, wo er während seiner Afrika-Zeit noch einen Wohnsitz gehabt habe, zu einem Steinmetz gegangen. „Ich habe ihm die rohe Muschel gezeigt und bei ihm Unterricht genommen. Man muss das ja lernen“, sagt Schabbon.
„Ich bin jetzt gute sechs, sieben Jahre weiter und habe mittlerweile an die 200 Stück geschliffen. Ich glaube, jetzt kann ich es“, fügt er mit einem Lachen hinzu.
Die kleinsten Muscheln, die Reinhold Schabbon auf seinem Hof hat, wiegen 70 Kilogramm, die größte 230. Bis sie schimmern und glänzen, werden sie in acht Schleifgängen bearbeitet und anschließend poliert. „Dafür braucht man Formgefühl, ästhetisches Empfinden und sehr viel Erfahrung. Das Material ist ja in Lagen gewachsen, und die brechen sehr gern weg.“
Zwei Wochen Arbeit an einer Muschel
Bis eine Riesenmuschel fertig ist - bearbeitet wird sie im Inneren und am äußeren Rand auf fünf bis acht Zentimetern Breite; der Rest bleibt im ursprünglichen Zustand -, kann es bei täglich bis zu sechs Stunden Arbeit zwei Wochen dauern.
Reinold Schabbon schleift und poliert die fossilen Schönheiten meist im Auftrag gewerblicher Kunden wie große Einrichtungshäuser in verschiedenen Ländern. „Ich habe immer Bestellungen“, sagt er.
Beim Straßenfest am 25. August in der Ludwig-Gleim-Straße in Ermsleben wird Reinhold Schabbon mit einem Stand dabei sein. (mz)
Riesenmuscheln „Tridacna gigantea“
Die Riesenmuscheln „Tridacna gigantea“ werden auch „Mördermuscheln“ genannt. „Es gibt eine Legende, dass ein Taucher in die Muschel gegriffen hat, weil er eine Perle gesehen hat, die Muschel schnell zugemacht und den Taucher nicht wieder freigegeben hat“, erzählt Reinhold Schabbon.
„Das ist Quatsch.“ Bei einer größeren Muschel wiege eine Schale mehr als 100 Kilogramm. „So viel Muskeln hat ein Weichtier nicht, um ,Klapp!‘ zu machen.“ Sie schließe ganz langsam. (mz)