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Park als ZeitmaschinePark als Zeitmaschine: Barockes Sommerfest als Spektakel in Altjeßnitz

Von Frank Czerwonn 10.07.2016, 15:57
Die höfische Gesellschaft mit Reichsgraf von Wackerbarth (l.) und Gemahlin hatte ebenso wie Gastgeber Baron von Ende eine Festtafel. Doch auch fürs Volk gab’s Porzellangeschirr.
Die höfische Gesellschaft mit Reichsgraf von Wackerbarth (l.) und Gemahlin hatte ebenso wie Gastgeber Baron von Ende eine Festtafel. Doch auch fürs Volk gab’s Porzellangeschirr. Thomas Ruttke

Altjessnitz - Im aktuellen Kinofilm „Smaragdgrün“ können nur Auserwählte mit besonderen Genen durch die Zeit reisen. Ganz anders in Altjeßnitz. Hier ist am Samstag der ganze Gutspark zur Zeitmaschine geworden. Er schickt die zahllosen Gäste fast 300 Jahre zurück auf ein spektakuläres Barocksommerfest, das der charmante Hausherr Baron Hans Adam Freiherr von Ende gibt.

Und der begrüßt nicht nur die in einem eindrucksvollen Zug durch den Park flanierenden adeligen Herrschaften des Hofes, sondern auch das gemeine Volk: „Gott zum Gruße, meine lieben Altjeßnitzer und ihr aus der Umgebung“, schwabuliert er in breitestem Sächsisch, so dass seine Gemahlin sich genötigt sieht, die Dolmetscherin zu spielen.

1694 hatte der Freiherr von Ende   das Rittergut erworben und  fünf Jahre später mit dem Bau eines   Schlosses und der Parkanlage im Stil des späten Barock begonnen. Für den heutigen Förderverein Irrgarten Altjeßnitz um Ortsbürgermeisterin Gudrun Dietsch Anlass, alljährlich dieses Fest zu zelebrieren.

Gefeiert wird auf Augenhöhe

Dabei sticht die höfische Gesellschaft in ihren prachtvollen Kleidern, den goldbestickten Roben, mit Federschmuck und kunstvollen Perücken natürlich optisch heraus. Auch in Sprache und Verhalten unterscheidet man sich von den herbeigeströmten modernen Untertanen.

Doch gefeiert wird auf Augenhöhe. Volkstümlich streift der Baron durch die Reihen der Kaffeetische und plaudert. Weiße Leinentischdecken, Porzellangeschirr, Sitzkissen gibt es für alle - es sind solche Details, die zum gelungenen Ambiente des Spektakels beitragen und es wohltuend abheben von den üblichen Volksfesten mit Biertischgarnituren.

Das lobt auch Christoph August Reichsgraf von Wackerbarth, der erste Oberlandesbaumeister und Stadtkommandant von Dresden, welcher mit seiner Gemahlin erstmal den Weg nach Altjeßnitz gefunden hat. „Es ist wunderbar provinziell-ländlich hier und angenehm zu flanieren“, meint er.

Man müsse nicht so auf die Etikette achten wie am Dresdner Hof. Im bürgerlichen Leben heißt das Paar Manuela und Henry Kuntze und fühlt sich auf diesem Fest ebenso wohl wie Stammgast Regina Schwabe vom Traditionsverein Dresdener Barock. 

„Wir haben keine Chance, die Einladung hierher auszuschlagen“, meint sie im Kostüm der Hofsängerin Regina Baronesse de Moretti, das sie als Betreiberin eines Kostümverleihs selber genäht hat. „In Altjeßnitz macht die ganze Bevölkerung mit. Das ist wunderbar, da fühlt man sich geborgen.“ Nur deshalb sei der höfische Zug dieses Mal so lang wie nie zuvor.

Publikum aus Leipzig, Dessau, Halle oder Delitzsch

Denn erstmals sind auch die Barockleute des Fördervereins als adelige Gäste dabei. Zum Beispiel der achtjährige Tamino Geist im Musketierkostüm und seine fünfjährige Schwester Milena.  „So lernen sie spielerisch etwas über die Tradition“, sagt ihre Mutter Anja Geist.

Nein, überreden musste sie ihre Kinder dazu nicht. „Meine Tochter liebt Prinzessinnenkleider und war begeistert, eins anziehen zu können“, erzählt sie, während ihr Sohn sich an einem Kugel-Balance-Spiel versucht.   Kompliziert? „Nö, eigentlich nicht“, so der Junge. „Aber man braucht Geschick.“ Die  riesigen, historischen Vorbildern nachempfundenen Holzspiele machen Alt und Jung Spaß.

Dagegen haben es die preußischen Soldaten vom Regiment von Hülsen als Anwerber vor allem auf junge Kerls abgesehen. „Das hat nichts mit Militarismus zu tun“, betont Heinz Behrens von der Nordharzer Altertumsgesellschaft.  Es gehe darum, die damalige Zeit darzustellen - in der Musik, den Standes-Gepflogenheiten, der Militärgeschichte.  Der achtbare Stand des Soldaten habe so manchen Landburschen aus der Knechtschaft der Gutsbesitzer geholt.

Derweil parliert auf der Bühne der Maître de Plaisier des Barock- und Tanztheaters „Les danseurs de Sans,  Souci“ aus Dresden von den abenteuerlichen Reisen an den englischen Hof, während die Mitstreiter Tänze wie vor 270 Jahren aufführen.

Das belohnt das Publikum, das laut der Autokennzeichen sogar aus Leipzig, Dessau, Halle oder Delitzsch angereist war, ebenso wie die Falkner-Vorführung oder das Abendkonzert des Mitteldeutschen Salonorchesters. Und vorbei an vielen passenden Händlern trauen sich manche sogar in den berühmten Irrgarten und finden trotz ausladender Kostüme tatsächlich das Ziel. Welch ein Gaudi.  (mz)