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Jubiläum bei Vetter-Omnibusbetrieb Jubiläum bei Vetter-Omnibusbetrieb: Alter Laster als Startkapital

Von Silke Ungefroren 05.03.2016, 15:44
Manfred Pietrowsky von der IHK übergibt auf dem Verkehrshof die Urkunde an Wolfdietrich Vetter, Hans-Joachim Faatz, Birgit Vetter, Günter Hamann und Hans-Jürgen Wolf (von links).
Manfred Pietrowsky von der IHK übergibt auf dem Verkehrshof die Urkunde an Wolfdietrich Vetter, Hans-Joachim Faatz, Birgit Vetter, Günter Hamann und Hans-Jürgen Wolf (von links). André Kehrer

Salzfurtkapelle - 19 Jahre jung ist Wolfgang Vetter und gerade aus russischer Kriegsgefangenschaft gekommen. Da fasst er den Entschluss, sich selbstständig zu machen. Wie seine Eltern. Mit einem Lkw aus deren ehemaligem Kolonialwarenladen gründet er ein Fuhrunternehmen. Holzbänke werden eingebaut und Arbeiter von Düben zur Wolfener Farbenfabrik gefahren. Bald schon kommen ein Hänger dazu und der erste Bus - ein umgebautes Sanitätsfahrzeug. Der Vetter-Omnibusbetrieb - damals noch in Raguhn - beginnt zu laufen.

70-jähriges Jubiläum

70 Jahre ist das jetzt her. Und aus der kleinen Firma, mit der Wolfgang Vetter 1950 auf ein Grundstück nach Salzfurtkapelle zieht, ist ein Verkehrsverbund mit heute rund 800 Beschäftigten entstanden. Für die Industrie- und Handelskammer (IHK) Halle-Dessau ist das Jubiläum ein würdiger Anlass, die unternehmerische Tätigkeit der Vetter GmbH zu würdigen.

„Es gibt viele kleinere Unternehmen mit eindrucksvollen Entwicklungsgeschichten in unserer Region“, sagt Manfred Piotrowsky, Geschäftsführer der IHK-Geschäftsstelle Dessau. Zu deren Bereich gehören die Landkreise Anhalt-Bitterfeld und Wittenberg, die Stadt Dessau-Roßlau und der Altkreis Bernburg. „Der Vetter-Verbund ragt dabei heraus, zählt er doch zu den zehn beschäftigungsstärksten Unternehmen in diesem Bereich.“

Und besteht noch heute als Familienunternehmen: Nach dem Seniorchef übernimmt nach der Wende Sohn Wolfdietrich Vetter die Geschäftsführung, dessen Frau Birgit gründet die Reiseverkehrsgesellschaft Vetter-Touristik - und leitet sie heute gemeinsam mit Tochter Kristin. Und auch der zweite Enkel des Firmengründers, Thomas Vetter, ist in die Fußstapfen von Vater und Opa getreten und seit vielen Jahren einer der Geschäftsführer. Die Urkunde, mit der Piotrowsky auf den Verkehrshof nach Salzfurtkapelle gekommen ist, hätte er gern an den Seniorchef übergeben. Doch diese Aufregung will sich der 89-Jährige nicht mehr zumuten. Und er trauert um seine Frau, die vor kurzem gestorben ist. Jedoch gibt es würdige Vertreter, die die Ehrung stellvertretend gern entgegennehmen. Hans-Joachim Faatz zum Beispiel, der hier seit 41 Jahren Bus fährt. „So lange es geht, mache ich noch mit“, sagt der 66-Jährige. Er hat den Reiseverkehr mit aufgebaut und hinter dem Buslenker viel von der Welt gesehen.

Heute gehören zu dem Vetter-Verkehrsverbund, der sich nach der Wende aus dem Omnibusbetrieb entwickelt hat, mehrere Firmen der Verkehrsdienstleistung, aus dem Bereich Werkstatt sowie aus dem Reisesektor. Vetter-Busse sind in den Landkreisen Anhalt-Bitterfeld, Wittenberg, Nordsachsen, im Saalekreis, in Halle sowie in drei Städten in Polen unterwegs.

Von den etwa 800 Mitarbeitern, die der gesamte Verkehrsverbund zählt, sind 500 als Fahrpersonal im Einsatz. 400 Fahrzeuge legen pro Jahr insgesamt rund 14 Millionen Kilometer zurück.

Günter Hamann - mit seinen 70 Jahren ebenfalls schon Rentner - ist bereits dabei, als Mitte der 1970er Jahre schrittweise der Stadtverkehr im Neubaugebiet Wolfen-Nord eingerichtet wird. Einige Jahre vorher gehört der Betrieb zu jenen 11 000 in der DDR, die enteignet werden - nun schon zum zweiten Mal. Bereits Mitte der 1960er Jahre war aus der Firma eine Kommanditgesellschaft mit 49 Prozent staatlicher Beteiligung geworden. Doch nach der völligen Verstaatlichung 1972 zum volkseigenen Betrieb hat Wolfgang Vetter Glück im Unglück: Er bleibt nicht nur Betriebsdirektor, sondern schafft es sogar, die Selbstständigkeit der Firma zu retten - als einziger selbstständiger ehemaliger Privatbetrieb im Verkehrssektor der DDR.

Dessen Zukunft wird nicht zuletzt durch den Aufbau des Stadtverkehrs in Wolfen-Nord, der mit neuen Bussen und Arbeitskräften verbunden ist, um einiges gesichert. „Das Großwerden des Betriebes war letztlich die Voraussetzung dafür, dass er überlebt hat“, sagt Geschäftsführer Wolfdietrich Vetter. Ein Verkehrsschwerpunkt ist Wolfen-Nord über die Jahre geblieben - wenn heute auch in weitaus geringerem Ausmaß als damals. „Das waren Gründe dafür, uns als Familie dort zu engagieren“, sagt Vetter. „Wir fühlten uns den Menschen verbunden und verpflichtet.“ So errichtet die Vetter GmbH Ende der 1990er Jahre den „Nordstern“ - ein Gebäude an der Dessauer Allee, in dem Geschäfte und Firmen Heimstatt finden. Da hat sich das Unternehmen schon weit über die Region hinaus etabliert.

Erinnerungen an Anfänge der Firma

Wolfdietrich Vetter, der 1990 mit seiner Familie aus Thüringen zurückkommt, um die väterliche Firma fortzuführen, denkt aber oft auch an seine Anfänge hier. „Wir hatten Glück, dass der Laden durchgehalten hat - dank der unermüdlichen Arbeit meiner Eltern.“ Und er spricht von einer Aufbruchstimmung, von einer Belegschaft, die mitgezogen hat beim Neuaufbau. „Was gemacht werden musste, wurde gemacht.“ Von solchen Leuten wie Hans-Jürgen Wolf, der heute stellvertretender Betriebsleiter ist, oder eben jenen Fahrern wie Günter Hamann, der sich beim Stichwort Wende auch an eine lustige Episode erinnert.

„Wir hatten die ersten neuen Busse aus Mannheim geholt“, erzählt er. „Als ich mit einem solchen zur Haltestelle kam, wollten die Leute erst gar nicht einsteigen. Sie sagten, sie würden auf den Stadtverkehr warten.“ Dabei war er doch der Stadtverkehr - nur eben nicht mehr mit dem Ikarus-Bus, in den die Leute am Tag zuvor noch eingestiegen waren.

Groß gefeiert werden soll der 70. Geburtstag des Unternehmens eher nicht. Die Aufgaben seien nicht leichter geworden, sagt Vetter, der Wettbewerbsdruck zwinge zu vielen neuen Entscheidungen und zum schnellen Handeln. „Doch wir glauben auch an die Zukunft und sehen weitere Chancen, auch wenn der Mittelstand bei weitem nicht den Stellenwert erfährt, der gern deklariert wird.“ Und man werde auch eine geeignete Möglichkeit finden, allen Mitarbeitern anlässlich des Jubiläums ein herzliches Dankeschön zu sagen. (mz)

Der Stadtverkehr in Wolfen-Nord kommt ins Rollen.
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Privat
In Salzfurtkapelle entstehen 1991/92 eine Bushalle und ein Verwaltungsgebäude.
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Privat
Ein Sanitätswagen wird zum Bus.
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