1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Landkreis Anhalt-Bitterfeld
  6. >
  7. Vergiftete Ehrmann-Joghurts: Joghurt vergiftet: Mann aus Schlaitz droht Zwangseinweisung

Vergiftete Ehrmann-Joghurts Joghurt vergiftet: Mann aus Schlaitz droht Zwangseinweisung

Von Anja Förtsch 09.10.2017, 19:20

Schlaitz/Halle (Saale) - Er wollte angeblich nur warnen - und hat sich dann aber selbst in Schwierigkeiten gebracht: In der Nacht zum Freitag hat in einem Polizeirevier im Norden Sachsen-Anhalts das Telefon geklingelt. Am anderen Ende hat sich ein Mann aus Schlaitz (Anhalt-Bitterfeld) gemeldet.

Vergiftete Ehrmann-Joghurts: 42-jähriger Schlaitzer dringend tatverdächtig

Er wolle die Beamten darüber informieren, dass in Supermärkten im Raum Halle und Bitterfeld vergiftete Joghurts im Umlauf seien. Er selbst habe die Produkte aber nicht verbreitet, hat er behauptet. Was er aber auch gesagt hat: Einzelheiten, die nur der Täter wissen kann. Und die den Anrufer so ins Visier der Beamten rücken.

Unbekannt ist der Mann am Ende der Leitung den Ermittlern ohnehin nicht. Es handelt sich laut Polizei um einen 42-jährigen Schlaitzer, auf dessen Konto weit über 100 Drohanrufe bei Polizeirevieren, Krankenhäusern und Fernsehsendern gehen. Belangt wird er für all die Taten nie, denn der Mann gilt nach Paragraf 20 des Strafgesetzbuches als schuldunfähig wegen seelischer Erkrankungen.

Schuldunfähig wegen seelischer Erkrankungen

Der Tatverdächtige will aber gar nicht der Anrufer gewesen sein, sagte er am Montag der MZ. Jemand anderes habe sich als er ausgegeben. „Ich habe nichts mit der Joghurt-Sache zu tun“, sagte der 42-Jährige der MZ.

Überhaupt habe er erst von der Polizei von dem Fall erfahren. Er wähnt hinter der Sache eine „riesige Intrige“. Die gehe auf einen Streit mit seinen Nachbarn vor gut 14 Jahren zurück.

Der Nachbar habe ihn damals angezeigt - warum genau, bleibt unklar - und er habe kein Alibi gehabt. „Also habe ich mir auf Anraten meines Anwalts den Paragrafen 20 gekauft.“

Das heißt: Ein Mediziner habe ihm für 2.000 Euro attestiert, dass er an einer seelischen Krankheit leide. Von der MZ damit konfrontiert erklärte dieser Arzt, dem Schlaitzer kein Attest ausgestellt zu haben. Der Tatverdächtige selbst konnte für seine Behauptung keine Belege liefern.

Telefonterror gegen Polizeichef

Später habe sich der Bitterfelder Polizeichef Peter Ziehm in den Streit eingeschaltet und versuche seitdem, den Mann hinter Gitter oder in die Psychiatrie zu bringen. Seitdem scheint der Schlaitzer es wiederum auf Ziehm abgesehen zu haben, betreibt Telefonterror.

Auf die Spitze trieb er es, als er im Juli 2016 im Kanzleramt anrief, sich als Ziehm ausgab und einen Schießbefehl forderte.

Als er am Freitag anrief und von den vergifteten Joghurt erzählte, haben die Beamten im Norden den Anruf an die Kollegen der Polizeidirektion Süd in Halle weitergeleitet. Die haben umgehend Polizisten zum Haus des Mannes geschickt, die die Räume durchsuchten. Außerdem haben sie in mehreren Supermärkten Joghurts überprüft. In einem haben die Beamten eine Substanz gefunden, die laut Polizeisprecher Dominique Schneegaß „gesundheitsschädlich, wenn auch nicht sofort tödlich“ ist.

Staatanwaltschaft sah keinen dringenden Tatverdacht

Die Polizisten haben den Tatverdächtigen in seinem Haus in Schlaitz festgenommen - um ihn einen Tag später wieder freizulassen. Die Staatsanwaltschaft hat keinen dringenden Tatverdacht gesehen, der eine weitere Haft rechtfertigen würde.

Ermittelt wird trotzdem gegen den Schlaitzer, sagte Staatsanwalt Klaus Wiechmann der MZ. Die Ermittlungen gingen aber „in alle Richtungen“. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Tatverdächtigen gemeingefährliche Vergiftung vor. „Das ist ein Verbrechenstatbestand, für den eine Freiheitsstrafe von einem bis zehn Jahren verhängt werden kann“, betonte Wiechmann.

Aber könnte der Verdächtige nicht ohne Strafe ausgehen, wenn er als schuldunfähig wegen seelischer Erkrankungen gilt? Ohne Strafe ja, aber nicht auf freiem Fuß: Wiechmann zufolge prüft die Staatsanwaltschaft nun auch Paragraf 63 des Strafgesetzbuches.

Danach kann ein Täter in eine psychiatrische Klinik zwangseingewiesen werden, wenn von ihm eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht oder erhebliche Straftaten zu erwarten sind. Einem Rechtsexperten der Martin-Luther-Universität in Halle nach würde die aktuelle Tat - vergiftete Joghurtbecher in den Umlauf bringen - diesen Paragrafen und damit eine Zwangseinweisung rechtfertigen.

Indes hat die Polizei die Warnung vor vergifteten Joghurtprodukten am Montag aufgehoben. Bei den Kontrollen in den Supermärkten war nur ein manipulierter Becher gefunden worden. (mz)