Prinz von Anhalt Ein Tag in Raguhn: Prinz von Anhal auf Tuchfühlung mit dem Volk

Raguhn - Ein Prinz kommt in die Stadt. Hochoffiziell, redselig und bereit, mit den Einwohnern einen ganzen Tag zu verbringen: Das hat Raguhn noch nicht erlebt. Zumindest nicht in den letzten 100 Jahren.
Dabei spielt der Ort eine große Rolle im Leben derer von Anhalt. In einer auf Burg Libehna erstellten Urkunde ist zum ersten Mal vom Fürsten in Anhalt die Rede. 1215 war das. Heinrich I. hieß der Regent.
Ein großer Name ohne eigenes Land
Das weiß Eduard Prinz von Anhalt. Der Mittsiebziger ist seit mehr als fünf Jahrzehnten Chef des Hauses Anhalt. Eines Hauses, das zwar über einen großen Namen, gut 1.000 Jahre Geschichte, allerdings im Stammland über keinerlei Besitz verfügt. „Du bist Chef des Hauses. Ja. Die Tragik ist: Wo ist das Land? Wo ist das Haus?“
Der Sohn des letzten Herzogs hat seinen Frieden gemacht mit dem Land. Er lebt heute in Dessau und geht auf die Leute zu. Das Volk darf nah ran an Hoheit. So einfach ist das.
Als der Raguhner Ortsbürgermeister Steffen Berkenbusch dem Prinzen die Ehrennadel der Stadt überreicht, wird er in die Pflicht genommen. Nicht überreichen, anstecken. Berkenbusch heftet den Orden ans Revers, drückt von Anhalt die Hand. Alles ist so selbstverständlich.
Mit der Kutsche durch die Stadt
Eduard Prinz von Anhalt verteilt Komplimente. „Ich will viel von der schönen Stadt sehen.“ Er darf später in der Kutsche zum Schloss Libehna fahren, das heute Sitz der Schützengilde ist.
Er freut sich dort übers Ehrensalut. Bei den Schützen ist Protokoll angesagt. Einige Zeit vorher sah das ganz anders aus. „Hallo Hoheit“, begrüßt Silvan Dorn vom Pfadfinderstamm „St. Georg Mulde-Fuhne“ den Prinzen. Vor der Kirche gibt es ein Ständchen. Die Welt ist in Ordnung.
Zumal der Spross der einstigen Herrscherfamilie das Heimspiel genossen und im Gotteshaus geradeheraus aus dem Leben seiner Familie und über persönliche Befindlichkeiten geplaudert hatte.
„Das hat mich beeindruckt, dass er einfach so über ganz bewegende Dinge redet“, stellt die Dessauerin Reinhild Schwanitz fest.
„Talk mit Hochadel“
Sie hatte vom „Talk mit Hochadel“ gehört und war eigens deshalb nach Raguhn gekommen. Jörg Mantzsch, gebürtiger Raguhner, Journalist, Heraldiker und Kenner der Landesgeschichte, plauderte mit dem Prinzen über das Leben. Man kennt sich, ist Anhalter und kann mit Anhaltinern.
Zeit für den feinen Unterschied muss sein. Das Volk sind die Anhalter. Mitglieder der Fürstenfamilie sind Anhaltiner. Eduard Prinz von Anhalt ist Öffentlichkeit gewohnt. Gleichwohl er zunächst „das Leben eines Prinz Harry“ führte.
„Man ist als Nachgeborener nicht so wichtig“, sagt von Anhalt, der nach dem Unfalltod seines Bruders Chef des Hauses wurde und immer noch an der Aufarbeitung der Geschichte interessiert ist.
Die tragischste Figur der Familie
Er schreibt über seinen Vater, den letzten Herzog und die wohl tragischste Figur der Familie. Herzog Joachim Ernst muss 1918 als nicht einmal Volljähriger abdanken.
Als Gegner der Nazis landet er im KZ Dachau, altert dort in wenigen Monaten um 20 Jahre. „Ich habe meinen Vater nicht wiedererkannt“, sagt der Sohn. Nach dem Krieg kommen die Russen und der Geheimdienst NKWD.
Diesmal ist es eine Reise ohne Wiederkehr. 1947 stirbt der zuvor geschlagene Herzog in einer kalten Februarnacht. Symbolisch wird er Jahrzehnte später in Ballenstedt beigesetzt. Die Urne ist gefüllt mit Erde aus dem Massengrab in Buchenwald. Der Herzog ruht in heimischer Erde. Sein Sohn ist ebenso angekommen.
Die Anhaltiner existieren weiter. Eduard Prinz von Anhalts älteste Tochter Julia Katharina wird einmal Chefin des Hauses werden. „Sie ist gut vorbereitet“, sagt der Prinz. Dann schüttelt er Hände, bedankt sich für den netten Empfang. Er will wiederkommen. (mz)
