1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Landesregierung Sachsen-Anhalt: Landesregierung Sachsen-Anhalt: Jens Bullerjahn - Roter mit schwarzer Null

Landesregierung Sachsen-Anhalt Landesregierung Sachsen-Anhalt: Jens Bullerjahn - Roter mit schwarzer Null

Von Kai Gauselmann und Hendrik Kranert-Rydzy 30.09.2015, 19:45
Jens Bullerjahn Ende der 90er Jahre - schon damals mischte der Sozialdemokrat in der Landespolitik mit.
Jens Bullerjahn Ende der 90er Jahre - schon damals mischte der Sozialdemokrat in der Landespolitik mit. Wolfgang Scholtyseck Lizenz

Magdeburg - „Er hat sein helles Licht schon angezü-ü-ü-ndt“ - Fetzen des Steigerliedes wehen heraus, angestimmt von seinem Sohn Toni. Vater Jens Bullerjahn, der Bergmannssohn, steht vor der Gaststätte in Ziegelrode und schaut in die Sterne. Vielleicht ist es der Anblick unendlicher Weite über dem Mansfelder Land, auf alle Fälle ein selten leiser Moment im politischen Leben dieses lauten, poltrigen Mannes: „Man muss sich der ungeheuren Verantwortung bewusst sein“, sagt Bullerjahn sanft.

Im März 2006 war das, kurz vor der Landtagswahl. Kurz danach begann, was im kommenden März zu Ende geht - Bullerjahns Ministerkarriere. Die Verantwortung, die er meinte, war die Aussicht, Sachsen-Anhalt mit damals 2,5 Millionen Menschen zu regieren. Auf den nachdenklichen Satz von der Verantwortung folgte ein entschlossener: „Ich bin dazu bereit.“ Er konnte dann auch regieren, aber nur als Nummer zwei: Bullerjahn wurde Vizeministerpräsident und Finanzminister. Der Sozialdemokrat hat dann zehn Jahre lang dieses Land geprägt wie kein anderer. Im Guten wie im Schlechten.

Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD) gilt in Sachsen-Anhalt als der Mann, der die Kasse zusammenhält. Von immer neuen Schulden ist das Land in seiner Amtszeit abgekommen. Inzwischen werden jedes Jahr Schulden getilgt. Auch wenn Bullerjahn darin klare Rückendeckung von Regierungschef Reiner Haseloff (CDU) hat - viele Freunde hat der Sparkurs dem 53-Jährigen nicht gemacht. 2006 und 2011 trat er als SPD-Spitzenkandidat an - scheiterte damit aber jeweils am Wählervotum.

Bullerjahn wurde 1962 in Halle geboren und wuchs in Belleben bei Bernburg auf. Nach dem Studium in Magdeburg arbeitete er als Elektroingenieur im Mansfeld-Kombinat. Mit der Wende trat er in die heutige SPD ein und ist seit 1990 Landtagsabgeordneter. Seit 2006 leitet er das Finanzressort und ist auch Vize-Ministerpräsident.

Bullerjahn ist verheiratet und hat zwei Kinder. Zu seinen Hobbys zählt er das Motorradfahren und das Segeln. Politisch hat er sich für eine Sanierung des Haushalts eingesetzt, um der Politik wieder Gestaltungsmöglichkeiten zu öffnen. Angesichts von mehr als 20 Milliarden Euro Schulden räumt er allerdings ein, dass das Land zu spät auf solide Finanzen gesetzt habe. Trotzdem stehe Sachsen-Anhalt heute besser da als zum Beispiel Bremen. (dpa)

Mit dem Elektroingenieur - da hat er immer viel Wert drauf gelegt - und verheiratetem Vater zweier Jungen geht bald der umstrittenste Politiker. Denn seine größte Leistung für dieses Land hat ihm gleichzeitig die größte Kritik eingebracht: Er hat das mit etwa 21 Milliarden Euro hoch verschuldete Land stabilisiert, es werden keine Schulden mehr gemacht - und in bescheidenem Maße sogar welche zurückgezahlt. Der Preis der schwarzen Null war aber ein teils gnadenloser Sparkurs, der Sachsen-Anhalt in Aufruhr versetzte.

Der brach sich vor allem nach 2011 Bahn. Nachdem Bullerjahn das zweite Mal Spitzenkandidat war und das zweite Mal nur Zweiter wurde. Das hat ihm schwer zu schaffen gemacht, er verkroch sich tageweise im heimischen Ahlsdorf und grübelte. Finanzer bleiben oder Wirtschaftsminister werden? Der Schuster blieb bei seinen Leisten. Und er zog voll durch. Nach 2006 hatte ihn der von ihm hoch geschätzte Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU), für Bullerjahn eine politische Vaterfigur, immer wieder im Zaum gehalten. Unter dessen Nachfolger Reiner Haseloff (CDU), für Bullerjahn eine Art ungeliebter politischer Bruder, gab es kein Halten mehr.

Bullerjahn erklärte früh den Verzicht auf eine dritte Spitzenkandidatur, rüstete sein Ministerium mit Zuständigkeiten wie Hochbau zur zweiten Staatskanzlei auf. Und spitzte den Rotstift. Der Spitzenpolitiker Bullerjahn hat auch immer die Anerkennung gesucht. Wenn er schon nicht Chef vom Ganzen sein konnte, wollte er wenigstens der Erfinder der schwarzen Null im Land sein. Und bis zum Herbst 2013 konnte er seine Vorstellungen von radikalem Stellenabbau und Kürzungen bei Wissenschaft und Kultur komplett durchsetzen. Seine Ministerkollegen hatten ihm nichts entgegen zu setzen - und anders als Böhmer ließ Haseloff ihn nicht nur gewähren, er unterstützte ihn vorbehaltlos.

Lesen Sie auf der nächsten Seite mehr zum Thema.

Was folgte, wurde letztlich zum Grund, warum Bullerjahn nun keine politische Zukunft hat: Im Sommer 2013 begehrte das Land mit Massendemos auf - der brachiale Sparkurs von Bullerjahn und Haseloff war politisch nicht mehr durchsetzbar. Nicht einmal mehr in der eigenen Partei: Deren Chefin, Fraktionschefin Katrin Budde, der Bullerjahn seit Jahren in einer merkwürdigen Art Hassliebe verbunden ist, hatte den Mansfelder schon 2011 kurz nach der Wahl gebremst, als der sich anschickte, die defizitären Unikliniken zu verhökern. Schon damals waberte ein Rücktritt des als ebenso schnell aufbrausenden wie wieder um Harmonie suchenden Bullerjahn durchs politische Magdeburg - während der sich in Ziegelrode in der Schmollecke verkroch. 2013 waren es aber nicht nur die Unikliniken, die Bullerjahn zur Disposition stellte, sondern gleich die gesamte Kultur- und Hochschullandschaft des Landes. Nebenher presste er der Verwaltung - allen voran der Polizei und den Schulen - eine Stelle nach der nächsten ab.

Er sprach viel von mittelfristiger Finanzplanung, Personalentwicklungskonzept und Ländervergleichen - und verlor auf dem Weg zur schwarzen Null den politischen Kompass aus den Augen. Man könne ein Land nicht nur mit Excel-Tabellen regieren, lautete der griffige Vorwurf an den Zahlmeister. Peu á peu musste er von seinen Maximalforderungen abrücken; mehr Personal bei Polizei und Lehrern bewilligen. Das traf ihn hart.

Als Haseloff von ihm abrückte und die Hochschulen aus der von Bullerjahn verhängten Knechtschaft entließ, fehlten dem Finanzminister die Worte. Hinzu kam der Ärger mit dem Koalitionspartner CDU und der eigenen Partei. Die Union hatte Bullerjahn in der Frage, ob er seinem Parteifreund, dem Ex-Bundestagsabgeordneten Klaas Hübner, eine Steuergeschenk bereitet habe, scharf attackiert. Die eigenen Genossen kommen nicht besser weg, mit Blick auf die bevorstehenden Landtagswahl lässt Bullerjahn schon mal verlauten, dass die SPD friedlich in der Ecke schlummere, das Wahlprogramm nichts tauge und er nicht wisse, was die Spitzenkandidatin eigentlich wolle. Solche Ausbrüche sind allerdings auch Teil seiner Persönlichkeit; Bullerjahn schwankt mitunter wie ein Blatt im Wind. Man kann seine Tiraden ernst nehmen, sich wundern - oder warten, bis sich die Laune des Mansfelders wieder in Richtung gezuckerte Kondensmilch bewegt.

Bullerjahn lief sich so über die Jahre wund - gestern bekannte er, dass er eigentlich schon viel früher ans Aufhören gedacht habe: „Wenn die Themen Asyl und Nachtragshaushalt nicht gekommen wären, wäre das Thema Rückzug schon lange durch für mich.“ 26 Jahre als Berufspolitiker habe er für die Erkenntnis gebraucht, „dass es jetzt reicht, ich sage das ganz ohne Verbitterung“. Der Zeitpunkt zu gehen sei immer ungünstig, aber wenn er es sich jetzt nicht selbst vornähme, müsste man ihn wohl aus dem Ministerium tragen: „Ich würde mich in den nächsten Jahren nur noch um mich selbst drehen.“

Stattdessen will er nun was anderes, außerhalb der Politik machen. Was? Weiß er angeblich noch nicht. „Ich habe nicht vor, meinen Krokussen beim Wachsen zuzusehen.“ Fest steht nur eines: Segeln gehen will er. Und zwar mal richtig lange. Bullerjahn, der seit Jahren einen Seglerschein nach dem anderen macht, plant einen mehrwöchigen Turn in der Biskaya. Rau und stürmisch ist es da. Das passt. (mz)

Gemeinsam auf der Regierungsbank: Jens Bullerjahn und Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) im Sommer 2007.
Gemeinsam auf der Regierungsbank: Jens Bullerjahn und Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) im Sommer 2007.
dpa Lizenz
Jens Bullerjahn unterhält sich während einer Landtagssitzung mit Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU).
Jens Bullerjahn unterhält sich während einer Landtagssitzung mit Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU).
dpa Lizenz