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KZ-Außenlager bei Halberstadt KZ-Außenlager bei Halberstadt: Schicksal im Tunnel des Todes

Von Antonie Städter 01.09.2008, 17:50

Langenstein/MZ. - Es dauert gut einen Monat, bis Andries Gerrits Gort, Häftling Nummer 93299, am Ende seiner Kräfte ist. Im Oktober 1944 im KZ Langenstein-Zwieberge - einem Außenlager Buchenwalds - angekommen, meldet sich der niederländische Häftling Ende November im Krankenbau des Lagers. Der 30-Jährige leidet an Infektionen. Später kommen Durchfall, Nieren- und Lungenentzündung sowie eine Harnvergiftung hinzu. Gort stirbt. Wie mehr als 2 000 andere der 7 200 Gefangenen. Es sind nicht nur das dürftige Essen und die mangelnde medizinische Versorgung, die ihnen die Kraft rauben. Es ist vor allem die Arbeit in dem Stollen zwei Kilometer vom Lager entfernt, bis zu zwölf Stunden am Tag. Zwieberge bei Halberstadt ist berüchtigt als Todeslager.

Jeden Tag müssen die Gefangenen durch einen kleinen Wald, vorbei an einer ehemaligen Ausflugsgaststätte, die von der SS in Beschlag genommen wurde. Vorbei an einem Schießstand, wo anfangs jene ermordet werden, die versucht haben zu fliehen. Manche zitieren auf dem Weg Gedichte, um das Gehirn wach zu halten, wie später ein ehemaliger Häftling berichtet.

Angekommen an den Halberstädter Thekenbergen, beginnt die Knochenarbeit. Das 13 Kilometer lange Stollensystem müssen die Häftlinge in knapp einem Jahr selbst errichten: Sie sprengen den Sandstein mit Druckluftbohrern, täglich arbeiten sie sich bis zu 17 Meter in den Berg hinein. Dann müssen die Gesteinsbrocken abtransportiert werden. Sicher vor Bombenangriffen wollen die Nazis dort Jagdflugzeugteile herstellen. Zur Produktion kommt es jedoch nie.

"Die Nazis haben die Häftlinge wie leblose Gebrauchsgegenstände benutzt: Wie einen Lappen, der bei der Arbeit irgendwann schmutzig wird, dann löchrig und zerschlissen - und schließlich auseinander fällt", sagt Ellen Fauser. Sie leitet seit Anfang der 90er Jahre die Gedenkstätte Langenstein-Zwieberge im Landkreis Harz. Die Lebenserwartung der Gefangenen habe im Durchschnitt sechs bis acht Wochen betragen. Viele wurden durch Unfälle im Stollen tödlich verletzt.

In der Gedenkstätte wird heute mit Mahnmalen an den Massengräbern sowie mit einer Ausstellung auf dem ehemaligen Lagergelände der Toten gedacht. Zudem können Besucher seit drei Jahren 110 Meter des Stollensystems besichtigen (siehe "Feste Termine für Besichtigungen"). Seit diesem Sommer gibt es dafür regelmäßig Termine.

"Das Interesse ist sehr groß", sagt Fauser, "an einem August-Wochenende hatten wir etwa 2 600 Besucher". Es ist ihr sehr wichtig, die Verbindung zwischen Lager und Stollen deutlich zu machen. "Dann wird noch klarer, unter welch unmenschlichen Bedingungen die Häftlinge hier gefangen gehalten wurden", sagt die Gedenkstättenleiterin.

Zu Fuß können die Besucher den rund zwei Kilometer langen Leidensweg bis zum Stollen nachgehen. Dort erwartet sie ein mächtiger Tunnel, der ins Dunkle führt. Am Ende der 110 begehbaren Meter gewähren Scheinwerfer einen Blick in einen Querschlag, der nicht ausgebaut wurde - und so einen Eindruck von der gefährlichen Arbeit der Häftlinge gibt.

Andries Gerrits Gorts Neffe, der in Erinnerung an den Verstorbenen denselben Namen trägt, hat dessen Geschichte recherchiert und aufgeschrieben. Sein Onkel hatte Cartoons für eine niederländische Widerstandszeitung gezeichnet und war deshalb verhaftet worden. "Ich wollte genau wissen, was mit ihm passiert ist", sagt der 61-jährige Niederländer. Im Januar hat er Langenstein-Zwieberge erstmals besucht, nun möchte er wiederkommen - viele Dokumente im Gepäck. Besonders für die 92-jährige Witwe seines Onkels sei es "fast eine Erlösung" gewesen, mehr über dessen letztes Lebensjahr zu erfahren.

So geht es vielen Angehörigen, erzählt Ellen Fauser. Sie wollen die Ungewissheit überwinden, die so sehr zermürben kann. Auch mit etwa 50 Überlebenden stehe sie in Kontakt. Es sind unzählige Schicksale, von denen sie in ihrer Arbeit erfährt. Vieles kann sie aufklären, die Angehörigen zu den Gräbern begleiten oder einfach nur zuhören. Eines indes könne sie kaum: trösten. "Es gibt keinen Trost für das Unrecht, das den Menschen angetan wurde."