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Kunstgewerbe Kunstgewerbe: Räuchermänner im Stress

Von PETER GÄRTNER 18.12.2008, 18:25

SEIFFEN/MZ. - Mit Dreh- und Flacheisen wird der Holzring so profiliert, dass sein Querschnitt die Grundform eines Tieres hat. Danach wird der fertige Ring wie ein Kuchen in 40 bis 60 "Tortenstücke" aufgespalten. Die Schafe, Kühe oder Hirsche werden schließlich mit dem Schnitzmesser noch kurz bearbeitet und dann getaucht und bemalt.

Werner ist Reifendreher. Eher beiläufig erzählt er den staunenden Besuchern, dass dieses Kunsthandwerk noch weltweit zehn Leute beherrschen. Das Geheimnis seiner Arbeit ist simpel: "Die Form muss man sich vorstellen können. Deshalb braucht man einen guten Lehrmeister." Doch dies allein würde heute nicht mehr reichen, um am Markt bestehen zu können. Denn Reifentiere gehören nicht nur in Kinderzimmern zu einer vom Aussterben bedrohten Art. "Als kleiner Handwerksbetrieb muss man sich rasch umorientieren können." Als kürzlich im Erzgebirge ein Elch auftauchte, hat ihn Werner sofort produziert und auf Anhieb 400 Exemplare verkauft.

In der Weihnachtszeit finden an manchen Tagen hunderte Besucher den Weg zu dem Reifendrehwerk, das Andreas Werner mit seinem Vater und mehreren Mitarbeitern betreibt. Das langgestreckte Örtchen kurz vor der tschechischen Grenze platzt in diesen Tagen aus den Nähten; Busse aus allen Winkeln der Republik bringen Besucher in das Zentrum der sächsischen Holzspielzeugindustrie.

"Man hat hier einfach gelernt, mit wenigen Mitteln viel zu machen", sagt Werner. Dicht an dicht schieben sich die Touristen an den zahlreichen Volkskunst-Läden, den Bratwurst- und Glühweinbuden vorbei. Die Auslagen kennen nur ein Thema: Weihnachtsengel, Pyramiden, Nussknacker, Lichterbögen, Räucher- und Weihnachtsmänner - wer sein Zuhause weihnachtlich schmücken möchte, der wird hier fündig. Doch die überwiegend in mühevoller Handarbeit gefertigten Stücke haben ihren oft stolzen Preis, der manchen Besucher erst einmal abschreckt. Das bleibt nicht ohne Folgen. Reifendreher Werner erzielt inzwischen gut 70 Prozent seines Umsatzes im Ausland, vor allem in den USA.

Im Büro von Knuth Neuber hängt ein Werbeplakat für einen Weihnachtsmarkt in Japan, auf dem Holzfiguren abgebildet sind. "Der Weihnachtsmann ist von uns", sagt der Seiffener Holzspielzeugmacher nicht ohne Stolz. In der Familie Neuber wird seit 1895 gedrechselt, aber erst seit der Wende in der DDR steht der Weihnachtsschmuck im Mittelpunkt. "Mit Schneidebrettern und Holzautos konnte man kein Geld mehr verdienen." Jetzt ziert unter anderem ein vereinfachtes Modell der Dresdner Frauenkirche die Bögen und Kerzenhalter.

"Wir sind selbst überrascht: alle reden von der Krise, aber diese Sachen, die eigentlich keiner braucht, finden reißenden Absatz." 90 Prozent der hier gefertigten Pyramiden, Lichterbögen und Miniatur-Dörfer werden in Deutschland verkauft. Im Gegensatz zu Reifentieren, die nicht industriell gefertigt werden können, konkurrieren die Neubers dabei mit Produktionen aus Fernost. "Die Chinesen haben schon eine billigere Schiene", sagt Neuber. "Aber von unseren Mustern habe ich noch keine Kopie gesehen." Damit das so bleibt, haben sich viele Kunsthandwerker und Spielzeughersteller der Kampagne "Original statt Plagiat" angeschlossen. Siegel sollen "Deutsche Handwerkskunst" und "Erzgebirgische Volkskunst" garantieren.

Ines Reichmann ist nicht nur gelernte Holzspielzeugmacherin, sondern arbeitet auch in einem Laden, den manche im Ort für das Böse schlechthin halten. Denn "Kunsthandwerk aus aller Welt" bietet neben einheimischer Ware auch Nussknacker, Berg- und Räuchermänner aus China an, die oft nicht einmal die Hälfte ihrer im Erzgebirge gefertigten Holz-Kollegen kosten. Mit dem Geschäft der Firma Schulte Kunstgewerbe mit Sitz in Haren / Emsland kam vor zwei Jahren die Globalisierung in die ostdeutsche Hochburg der Schwibbögen. Das Feindbild Wessi mit geklonten Holzfiguren, die viele Seiffener nur verächtlich "Chinamanneln" nennen, führte geradewegs zu den "Original statt Plagiat"-Aufklebern. Der unscheinbare Laden ist für Einheimische bis heute eine ständige Provokation.

Vor allem die Verkäuferinnen bekommen dies zu spüren. "Nach einer Runde um die Glühweinstände steht schon mal ein Gruppe Jungmänner hier im Laden und mokiert sich lautstark über den angeblichen Schund", berichtet Reichmann. Die Kunden scheint dies jedoch wenig zu stören. In der Weihnachtszeit brummt das Geschäft, das am Jahresende dennoch geschlossen wird. Das sei keine Kapitulation vor den Anfeindungen, versichert Roman Schulte. Trotz der gegenwärtigen Besucherströme rechne sich hier der Verkauf über das Jahr nicht. Auch heimische Firmen räumen ein, dass der Umsatz vor Ort eine immer geringere Rolle spielt. Das sehen auch Reifendreher Werner und Drechsler Neuber so. Die Globalisierung ist in den alten Werkstätten angekommen.