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Kunstblumen Kunstblumen: Östlich von Dresden blüht die Phantasie

Von ELKE RICHTER 08.04.2011, 18:34

Wallroda/MZ. - Deutschlands exotischster Garten liegt mitten in Sachsen. Ein bisschen versteckt hat er sich. Auf einem Vierseithof im 500-Seelen-Dorf Wallroda, östlich von Dresden. Hier blüht es hinter sanierten Mauern auf einer Fläche von rund 1 000 Quadratmetern überaus prächtig. Und das nicht nur im Frühling und Sommer, sondern rund ums Jahr. Lilafarbene Veilchen und dunkelrote Rosen recken ihre Blüten dem Betrachter entgegen. Zarte Stiefmütterchen kokettieren in der Nachbarschaft von tellergroßem Klatschmohn. Und schneeweiße Kamelien, die Klassiker im Sortiment, heben sich edel vom bunten Blühen ringsum ab.

Alles sieht lebensecht aus, was da aus den reichlich bestückten Vitrinen in der Schauwerkstatt leuchtet. Ist es aber nicht. Denn jede Ansteckblüte ist ein Kunstprodukt, hergestellt in der Kunstblumenmanufaktur Steyer in Wallroda. Und per Hand gefertigt aus Samt und Seide, Bast und Bambus, Federn und Alpaka-Loden, Leinen und Leder, Holz und Metall. Die niemals welkenden Natur-Kopien sind so attraktiv, dass sie namhafte Hutmacher und internationale Modefirmen gern kaufen und ihre Kollektionen damit aufhübschen. Auch die europäischen Königshäuser sind verrückt nach der Blumenkunst aus Wallroda. Sogar die Queen trägt die farbenprächtigen Modeblumen aus Sachsen gern an ihren kapriziösen Kopfbedeckungen.

Auch bei der anstehenden Hochzeit von Prinz William und Kate Middleton am 29. April werden wohl an den Hüten etlicher Damen, die zur Feier geladen sind, Blütenträume made in Ostdeutschland prangen. Denn Philip Treacy, einer der königlichen Hutmacher, hat für seine Kundinnen allerlei dekorative Blüten im sächsischen Unternehmen gekauft. Dieser Tage schickte der "König der Hüte" per Express noch ein paar Stoffproben von London nach Wallroda, damit in der Manufaktur schnell noch Blumen für die Festhüte passend zu den Roben eingefärbt werden können.



Das alles erzählt Unternehmerin Heide Steyer, während sie zufrieden auf all das Blühen um sie herum schaut. "Das hier ist unser Lebenswerk", sagt die 66-Jährige stolz und ihr Arm beschreibt einen weiten Bogen über all die Pracht in den Vitrinen. Seit 40 Jahren, ist von der gebürtigen Oldenburgerin zu erfahren, betreibt sie gemeinsam mit ihrem Mann die kleine Manufaktur. Dabei beackert die gelernte Bankkauffrau, die eine überaus blühende Phantasie auszeichnet, das Design-Feld. Sie züchtet eine Neuschöpfung nach der anderen. Insgesamt 30 pro Saison. Ehemann Gerald ist fürs Geschäftliche zuständig und kümmert sich um die Kunden. "Die kommen vor allem aus England, aber auch aus Spanien, Frankreich, Italien, den Emiraten, Japan und Deutschland", zählt der 67- Jährige auf. "Unsere Blumen haben sogar schon mal ein Escada-Kleid bei einer Oscar-Verleihung in Hollywood geschmückt, waren in Filmen wie 'Titanic' zu sehen oder bei Fotoproduktionen für Modemagazine dabei. Und sie lassen die traumhaften Kleider eines renommierten Brautmodenherstellers aus Rom noch romantischer erscheinen", erzählt der Geschäftsmann, während er in einem Exemplar der "Vogue" blättert. Darin ist Claudia Schiffer zu sehen, fotografiert von Karl Lagerfeld. Im Haar trägt die Model-Ikone Blüten aus Wallroda.

"Eher zufällig erfahren wir durch Fotos in Zeitschriften oder durch Fernsehberichte, an welchen Hüten oder Dekolletés unsere Blumen landen", lacht Gerald Steyer, der mit seiner Frau die royale Trauung am TV verfolgen wird. "Da werden wir garantiert die eine oder andere Blume von uns entdecken", freut sich der Unternehmer schon und mag nun auch ein paar Worte zur Firmengeschichte sagen. Die begann 1970, als die Steyers die Blumen- und Federnfabrik Curt Morgenstern - 1925 in Sebnitz gegründet und 1952 nach Westberlin ausgelagert - übernahmen und dann als "Berliner Blumenfabrikation" versuchten, sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen. Damals gab es in der Bundesrepublik noch 100 Kunstblumenhersteller mit jeweils fünf bis zehn Angestellten. In der DDR beschäftigte der VEB Kunstblume bis 1990 etwa 3 000 Mitarbeiter und galt als größter Kunstblumenhersteller Europas. "Sebnitz hatte gut ausgebildetes Personal, aber als Hemmnis auf dem Markt zwei Jahre Lieferzeit und im Angebot nur Standardware", blickt Heide Steyer zurück.

Dann kam die Wende. Der Wunsch, einen Teil des VEB Kunstblume zu übernehmen, scheiterte. Weil Gerhard Steyer als gebürtiger Sachse in seiner Heimat die Blumenproduktion wieder aufblühen lassen wollte, erwarb das Ehepaar in Wallroda einen Vierseithof. Nach Sanierung und Umbau lief 1998 die Produktion am neuen Standort an. Nun fertigen zehn Mitarbeiter, darunter die Kunstblumenfacharbeiterinnen Petra Rothe, Gisela Findeisen und Angelika Reinhardt, die florale Fashion-Mode auch für Haute-Couture-Häuser.

Blütenkreationen aus Wallroda schmücken Hüte, Taschen, Schuhe, Roben und Hochzeitskleider. "Unsere aktuelle Kollektion umfasst etwa 450 Modelle, eingefärbt in vier bis fünf Farben. Die Blüten kosten im Schnitt 30 Euro. Wir bieten welche für fünf Euro an oder die Pfingstrosenranke für 450 Euro", sagt Heide Steyer, die mit ihrem Mann vier Mal im Jahr zu den Messen nach Paris fährt. "Auf Kundenwunsch machen wir sogar karierte Maiglöckchen", lacht die Hobby-Klavierspielerin, die neben dem Design auch für das Färben zuständig ist. Dabei sind die Zeiten, sagt sie, alles andere als rosig für die Wallrodaer "Gartenbau"-Experten, die in Deutschland nur noch einen Mitbewerber haben. Denn Billigprodukte vor allem aus Fernost überwuchern den Markt. Bisher hat den Steyers ihr Motto geholfen. "Wir wollen nicht billiger werden, als die anderen. Wir wollen besser sein", betont Heide Steyer und zeigt in einen Musterkarton. Darin sind randgerollte Blüten. "Wir sind wohl weltweit die einzigen, die so was anbieten", erklärt die 66-Jährige. Doch auch die raffiniertesten Kreationen können nicht verhindern, dass die manuelle Herstellung von Seidenblumen in Deutschland ein vom Aussterben bedrohtes Kunsthandwerk ist. Noch halten die Steyers aber dagegen in ihrem exotischen Gartenreich.