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Literaturhaus Halle veröffentlicht Buch zum 250. Geburtstag von Novalis War er Batman?

Neue Stimmen zu Novalis: Das Literaturhaus Halle veröffentlicht ein Buch mit Texten zum Dichter, der vor 250 Jahren geboren wurde.

Von Christian Eger 14.12.2022, 16:19
Mann aus dem Mansfeld: Novalis – Dichter und Ingenieur, Schwärmer und Polemiker. Radierung (Ausschnitt) von Sven Großkreutz zum Novalis-Buch
Mann aus dem Mansfeld: Novalis – Dichter und Ingenieur, Schwärmer und Polemiker. Radierung (Ausschnitt) von Sven Großkreutz zum Novalis-Buch (Foto: MDV)

HALLE/MZ - Ein Buch für Novalis, das auch Novalis gelesen hätte – verfasst 250 Jahre nach seiner Geburt im mansfeldischen Flecken Oberwiederstedt. Würde der Dichter alles verstehen, was ihm da heute mitgeteilt wird? Nein. Aber würde ihn alles interessieren? Das ist sehr zu bejahen.

Das hätte der Dichter des „Heinrich von Ofterdingen“ mit dem Leser gemein, der das Buch zur Hand nimmt, das jetzt den Schriftsteller feiert, der zu den herausforderndsten und anregendsten Autoren des späten 18. Jahrhunderts gehört. Dass das öffentliche Novalis-Bild nicht im Klischee der rätselhaft flüsternden Wunderblume aufgeht, hat sich herumgesprochen. Von heute aus und heutig über den Dichter zu reden, darum geht es hier.

„Wovon man spricht, das hat man nicht“ lautet der Titel der vom halleschen Literaturhaus herausgegebenen Anthologie. Ein Novalis-Zitat, das einerseits ein philosophisches Bonmot ist, das eine Natürlichkeit – die nicht eigens beredet werden muss – aller menschlichen Äußerungen behauptet, andererseits aber auch ein Witz ist – anschlussfähig zum romantischen Gelächter. Denn man hüte sich auch im Weinkeller davor, vom Wein nur zu reden, heißt es wenige Zeilen weiter im Novalis-„Dialog“ von 1798, dem das Wort entnommen ist.

Romantische Störung

Zwei Autorinnen und sechs Autoren hat Literaturhauschef Alexander Suckel gebeten, einen Text zu Novalis zu verfassen. Das sind die Journalistinnen Greta Taubert und Katrin Schumacher, die zu einer Grafik von Sven Großkreutz zwei Fragen und Antworten zu Novalis liefert, der Publizist Jens Jessen, der Drehbuchautor Eike Goreczka sowie die Erzähler Martin Becker, Clemens Meyer, Karl-Heinz Ott und Torsten Schulz. Stimmen, die dem Literaturhaus freundschaftlich verbunden sind.

Entstanden ist eine Novalis-Inventur einerseits, ein Aufnehmen von Novalis-Themen andererseits. Jeder leistet, was er am besten kann. Die Journalistinnen fragen, der philosophische Schriftsteller erörtert, der Feuilletonist spitzt zu, die Erzähler erfinden oder sortieren das Erfinden.

Letzteres unternimmt Clemens Meyer, der versucht, den Dichter in das Universum der heutigen Superhelden-Universen von Marvel und DC zu übersetzen. Wenn Goethe als Superman, Schiller als Spiderman gelten kann, wer wäre dann Novalis? In einem ersten Anlauf interpretiert Meyer den Sänger der „Hymnen an die Nacht“ als Batman, den Ritter der Nacht, „The Dark Knight“. Der Adlige, der als Batman in die Bathöhle einfährt, „weit unter Tage, dorthin, wo selbst die Fledermäuse nicht mehr hingelangen“.

Nach dem Sehnen sehnen

Aber stimmt das denn? Vielmehr, korrigiert Meyer, ist Novalis doch „einer jener Superhelden, die in Flammen aufgehen, die Kraft des Feuers in ihren Körpern tragen, die hell leuchten und dann vergehen“. Novalis, legt sich Meyer fest, ist Johnny Storm aka die Fackel. „Ein Gestaltenwandler, ein nicht greifbarer Geist, denn die blaue Blume will sich auch nicht so recht ins Feuer fügen.“

Ein Rollenwechsler, in der Tat: Dichter, Bergbauingenieur und Philosoph, Tagträumer und Journalist, Schwärmer und Polemiker. Aber, wendet Karl-Heinz Ott ein, „am Ende finden Ich und Welt nie wirklich zusammen. Alles bleibt Spekulation, alles zerrinnt in Spintisiererei. Zerrissenheit, wohin man blickt. Romantik bedeutet: bipolare Störung, in Permanenz. Und wenn alles darniederliegt, sehnt man sich nach dem Sehnen. Oder nach dem Tod.“

Jens Jessen ist da gnädiger. Der langjährige Feuilletonchef der „Zeit“ entdeckt in Novalis den Mann, der mit den Romantikern das klassische Ideal des Vernünftigen durch das Ideal des Interessanten ersetzte. Und interessant ist Novalis immer. Unter dem Schmelz des Sanften und Milden des Dichter-Bildes legt Jessen frei, wie „erstaunlich aggressiv“ Novalis gegen die Zeitgenossen der nichtromantischen Schule vorging. Vor allem gegen Goethe, dessen Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ er als „unendlich spießig“ und „korrupt“ begriffen habe, als opportunistisch gegenüber der herrschenden Kaste. Jessen ist entzückt: „Für diese Entlarvung Goethes liebe ich Novalis.“

Immer nach Hause

Nicht auf den ersten, aber auf den zweiten Blick schließen die im Buch gebotenen Gegenwartsgeschichten an Novalis an. Die „immer nach Hause“-Richtung in Martin Beckers Erzählung von der Ansiedlung einer ukrainischen Flüchtlingsfamilie in Halle. Torsten Schulz zeichnet seine musikalische Krautrock-Erweckung nach, die mit Texten der Deutschrockband „Novalis“ begann. Eike Goreczka lässt den historischen Novalis filmreif erst in der Kutsche, dann zu Fuß durch die Nacht eilen, die für ihn nicht enden soll.

Die Journalistin Greta Taubert hingegen bietet unter der Zeile „Poetisiert euch“ eine engagierte Prosa, die von der Ausrottung des Dodo aus – eines Vogels auf der Insel Mauritius – für ein neues Verhältnis zur Um- und Mitwelt wirbt. Statt das Aussterben zu befördern, sollte das Verlebendigen befeuert werden – in allen Wesen und Dingen. Nichts weniger als eine neue Liebeserklärung an die Welt wünscht sich die Autorin, und das hat dann sehr direkt mit Novalis zu tun, der genau das vom Mansfelder Land aus adressierte.

Denn, schreibt Greta Taubert: „Mit dem poetischen Blick können wir diese Liebesbeziehung wahrnehmen, sie ästhetisieren und zelebrieren – und uns damit für die bevorstehende Traurigkeitsepidemie rüsten.“ Novalis als Gegenmittel gegen die gesellschaftlich-kulturelle Depression, das ist dann doch ein schöner Gruß zum 250. Geburtstag.

Buchpremiere im Literaturhaus Halle: 14. Dezember, 19 Uhr, Großer Saal. Unter anderen mit Karl-Heinz Ott, Torsten Schulz, Katrin Schumacher und Sven Großkreutz. „Wovon man spricht, das hat man nicht. Neue Texte zu Novalis“, Mitteldeutscher Verlag, 116 S., 16 Euro