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Nach drei Jahren Leipzig ohne: Buchmesse startet neu Von allem weniger

Neustart nach drei Jahren Corona-Pause: Schon nach einer Stunde sind die Hallen gefüllt. Das Angebot hingegen ist deutlich ausgedünnt.

Von Christian Eger Aktualisiert: 27.04.2023, 18:37
Schauen, was kommt: Unterwegs auf der Buchmessen-Treppe
Schauen, was kommt: Unterwegs auf der Buchmessen-Treppe (Foto: picture alliance/dpa)

LEIPZIG/MZ - +

Läuft bei ihr. Was heißt: Schon wieder. Bereits nach nur einer Stunde ist in Teilen der Leipziger Buchmesse das altbekannte Stop-and-Go-Erlebnis zu haben. S- und Straßenbahnen führen zuverlässig vor allem jüngeres Publikum zu. Immerhin!

Denn nichts ist selbstverständlich an dieser Bücherschau, die am Donnerstag um zehn Uhr morgens ihre Drehkreuze an den Eingängen in Bewegung setzte. Soll man erwähnen, dass das Akkreditierungssystem für die Journalisten nicht funktionierte? Dass die Presse, so sie denn überhaupt gekommen war, zuerst ohne Tickets einfach durchgewunken wurde?

Ist ja auch alles nicht so einfach. Drei Mal war die Messe aus Pandemie-Gründen abgesagt worden. Zum letzten Mal schon unter lautstarkem gesellschaftlichen Protest. 2020, 2021, 2022: Dreimal Leipzig ohne.

Ohne „Blaues Sofa“

Nun also wieder: Leipzig mit. Für die Erstbesucher wird alles gut und schön ausgesehen haben. Für jene hingegen, die den Laden kennen, fällt auf, was fehlt. Keine LVZ-Autorenarena. Kein „Blaues Sofa“. Zwei Formate, in denen einst im Halbstundentakt Journalisten Autoren befragten.

Das kommt nicht wieder. Wer jetzt Promis lauschen will, muss den Weg zum ARD-Forum oder zur sogenannten Literaturbühne der Öffentlichen-Rechtlichen finden, die in der großen Glashalle dort steht, wo das „Blaue Sofa“ stand. Hier kann man Journalisten beim Herstellen ihrer TV- und Radiorunden zusehen, eine Zweifachverwertung offenkundig.

Von allem weniger, das ist die Formel. Weniger, dafür breiter ausgeweitete Flächen und Gänge. Weniger Aussteller. Wurden 2019 insgesamt 2.547 Aussteller gezählt, sind es heute 2.082. Ein gedrucktes Ausstellerverzeichnis gibt es nicht. Auch kein gedrucktes Verzeichnis für das Leseprogramm. Online muss reichen. Die Antiquariatsmesse ist verkleinert in die Innenstadt ausgewandert, zu besuchen an diesem Freitag und Sonnabend im „Salles de Pologne“, Hainstraße 18.

Realismus statt Pessimismus

Dabei wurde finanziell zugeschossen. Mit insgesamt drei Millionen Euro hat der Bund die Messe gefördert. Alle Stände erhielten einen Rabatt von 15 Prozent, kleine Stände bis acht Quadratmeter sogar 30 Prozent. Nach-Corona-Hilfen für eine gebeutelte Messe. Und für ein schlechtes Gewissen der Politik nach der Messeabsage von 2022. „Es muss sich ja alles rechnen“, sagte Oliver Zille, Direktor der Buchmesse. „Wir haben überhaupt keine Zweifel, dass es am Ende ohne eine Förderung gehen wird und gehen muss.“

Aber was da künftig gehen wird, ist noch sehr die Frage. In der Buchbranche selbst ist der Pessimismus längst einem Realismus gewichen. Man arbeitet auf Sicht. Wichtiger als Live-Kontakte mit dem Publikum sind heute digitale Reichweiten. Zugespitzt: Ein Autor, der Follower mitbringt, ist schon ein halber Schriftsteller. Der einzige Trost: Die digitale Revolution erfasst die gesamte kulturelle Sphäre, tatsächlich alle.

Musste man in Leipzig einst nur einfach den Kopf bewegen, um irgendeinen Autor im Gespräch zu erleben, ist heute gezieltes Suchen erforderlich. Eigens hat die Messe das Format der „buchbar“ entwickelt. Ein von weißen aufgeblasenen Wänden umhegtes Areal in Halle 2, in der Messebesucher mit Autoren Kuchen essen können. Sieht niedlich aus und ist fast auch nur das. Welcher Autor da wartet, steht mit Kreide an einer Tafel am Eingang geschrieben. Messeformat hat das nicht, aber Publikum. Ansonsten machten etwa ein Dutzend Erfolgsschriftsteller am Donnerstag das Spiel. Eugen Ruge, Helga Schubert, Judith Hermann, sie fanden ihre Wege zum Mikrofon.

Brecht in „Bild“

Clemens Meyer gehört dazu. Der gebürtige Hallenser und Wahl-Leipziger, der seit kurzem eine Schreibwohnung in Zeitz unterhält, ist in Leipzig mit seinen bei Kiepenheuer & Witsch veröffentlichten Betrachtungen zu Christa Wolf unterwegs. Er erzählt, wie er während seiner Bauarbeiterjahre nach 1996 seine Taschenbücher von Wolf und Brecht in der „Bild“-Zeitung versteckte. Andererseits wussten die damals noch lesenden Arbeiter mit beiden Namen durchaus etwas anzufangen.

Christa Wolf ist für den 45-jährigen Meyer eine Autorin, für die er großen Respekt hegt. Für ihn ausdrücklich „keine Staatsdichterin“. Er attestiert ihr einen „Essayistischen Realismus“. Anders als „Spur der Steine“-Autor Erik Neutsch, der zwar einige „grandiose Passagen“ in seinem Werk zu bieten hätte. „Aber wenn es um Frauen geht“, sagt Clemens Meyer, „denkt man: Erik, oh Gott, was machst du denn da?“

Letzteres denkt man in Leipzig auch mit Blick auf den Schweizer Diogenes Verlag, einen der größten unabhängigen Belletristikverlage Europas: Die Firma, die mit Autoren wie Martin Suter und John Irving Bestsellergaranten führt, versteckt sich im Gemeinschaftsstand Schweizer Verlage, sozusagen ein Wal im Goldfischteich. Mehr lohnt sich nicht.

Hingegen der Mitteldeutsche Verlag aus Halle: Der zeigt seine Bücher vornehm vor schwarzem Grund. Die Stimmung? Realistisch. Das Verschwinden der alten kleinen Buchhandlungen mache Sorge. Ansonsten gilt: Nach vorne schauen. „Die Messe ist für mich das Highlight des Jahres“, sagt Verlagspressechefin Jana Krimmling. Gespräche, Begegnungen, das alles sei unersetzbar.