Goethe-Theater Bad Lauchstädt zeigt „Faust“ Verweile doch
Das ganze Schauspiel soll es sein: Im Goethe-Theater Bad Lauchstädt bietet Holk Freytag einen fordernden, aber lohnenden „Faust“-Marathon.
BAD LAUCHSTÄDT/MZ - Die Idee, im schmuck herausgeputzten Goethe-Theater Bad Lauchstädt Ende August „Faust“ auf die Bühne zu bringen, liegt in der Luft. Der 28. August ist der Geburtstag des Namensgebers und ersten Chefs des Hauses. Passgenauer wäre nur „Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“, mit dem der Auch-Klassiker Peter Hacks seinem Heroen so selbstbewusst wie amüsant auf die Pelle rückte. Der starb just an einem Geburtstag Goethes – wann auch sonst.
Aber „Faust“ ist natürlich immer eine erste Wahl. Hausherr René Schmidt hat sich dafür wieder Holk Freytag an sein Haus geholt. Der Dresdner Ex-Schauspielchef und „Faust“-erfahrene Theater-Recke des Jahrgangs 1943 schließt damit (nach „Iphigenie“ und „Tasso“ in den Vorjahren) seine kleine Goethe-Tetralogie ab. Der verfährt nach dem Motto: Wenn schon „Faust“, dann gleich der Ganze. Also der erste und der zweite Teil an einem Tag.
Ein Tag, zwei Teile
So ungefähr jedenfalls. Und das mit Lust! Der Doppelpack war eine geschickte Kombination aus einer beherzt gekürzten „Faust I“-Version und einer szenischen Lesung durch den zweiten Teil.
Bereits 14 Uhr ging es am Sonnabend auf sparsam möblierter, mit romantischen Bildhintergründen versehener Bühne in zweieinhalb Stunden hurtig durch den ersten Teil, der hier schon vor drei Jahren Premiere hatte. Selbstironisch übernimmt der Regisseur die Zueignung den „Alten“, den auch der Teufel von Zeit zu Zeit gerne sieht, wie der uns von der Galerie aus wissen ließ.
Manches fehlte schmerzlich. Der Disput mit Famulus Wagner, auch Valentin. Die Belehrung des Schülers durch einen Mephisto inkognito hat Freytag jetzt bei der Überarbeitung erfreulicherweise hinzugefügt. Es geht natürlich von einem geflügelten Wort zum nächsten. Als Faust kostet Dirk Glodde die Verzweiflung des alten Gelehrten mit einem gewöhnungsbedürftigen, so abwägend, fordernden Pathos aus, als wollte er vergangene Zeiten heraufbeschwören.
Mephisto freilich kommt gleich als Zeitgenosse. Mit dem Schalk der Dialektik auf der Zuge und mit vitalem Charisma sammelt Markus Gertken alles ein, was Goethe seinem besonderen Zweit-Helden an komödiantischen Vorlagen gegönnt hat. Wenn er Katka Kurze (unter anderem als famoser Marthe Schwerdtlein) mit „Ihr Mann ist tot und lässt Sie grüßen“ begrüßt, ist das eine von den immer funktionierenden Lachern.
Die Szene, in der Mephisto den Faust mimt und den angehenden Schüler (wunderbar in dieser und etlichen anderen Rollen: Oliver Möller) mit seinem Diskurs über die Wissenschaften aus dem Konzept bringt (oder in die Spur setzt) natürlich auch. Schade, dass die Regie dem Faust nicht eine merkliche Verjüngung gönnt.
Dem bald in Lauchstädt als Danton anrückenden Thomas Thieme genügte seinerzeit in Weimar dafür eine veränderte Körperhaltung und ein hochgeschlagener Hemdkragen. Marie Anjes Lumpp steuert ihr Gretchen so heutig wie möglich bei und glänzt dann als Homunculus und Euphorion als aparte Kunstfigur.
Beim Publikum in Bad Lauchstädt konnte man ziemlich sicher sein, dass die meisten einen nennenswerten Teil der Versanfänge hätten selbst vollenden können. Oder sich gerne daran erinnern ließen, wie viele von Goethes Pointen es doch in den noch nicht anglisierten (oder sonstwie lädierten) Teil des alltäglichen deutschen Sprachschatzes geschafft haben! Man muss zwar vor allem im zweiten Teil sehr genau hinhören, doch es macht Freude. Zumal, wenn so präzise und mit Lust gesprochen wird, wie hier.
Die Zuhör-Anstrengung ist nötig, weil Goethe hier wohl mehr sich selbst und den Bildungskanon seiner Zeit, als ein (wenn überhaupt) unterhaltungswilliges Publikum im Sinne hatte. Hier führt Holk Freytag mit einem roten Faden durch die fünf Akte bis zum Epilog, Siegfried W. Maschek und Andrea Cleven verstärken die Crew.
Als Moderator sorgt er dafür, dass man bei der Wanderung durchs Bildungshochgebirge wenigsten die Orientierung behält. So geht es vom Kaiserhof nach Griechenland und zurück in Goethes Gegenwart des aufziehenden bürgerlichen Zeitalters. Dessen Schattenseiten hat der Alte in Weimar mit verblüffend visionärer Klarheit mitgedacht und verdichtet.
Dass Freytag in seinen klug und sparsam orientierenden Kommentaren diese hervorhebt, darf man getrost als Aufforderung mitnehmen, über Fausts Freiheitsvision am Ende seines Lebens nachzudenken. Und das letzte Wort vom ewig Weiblichen, das uns hinanzieht, nicht nur als sexistischen Ausrutscher, sondern als Vision über die erlösende Kraft der Liebe zu betrachten.
Ja doch der Größte
Eins ist sicher: Erledigt ist der „Faust“, also das Gespräch mit Goethe, noch lange nicht. Günter de Bruyn sagte einmal bei einer Lesung seines „Jean-Paul“-Buches so nebenher: „Irgendwie ist Goethe der Größte ja doch!“. Recht hat er. Wie man auf die Idee kommen kann, „Faust“ aus den Lehrplänen zu streichen und damit dieses Gespräch abzubrechen, ist ein Rätsel.