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Hallescher Arzt Rudolf Zuckermann Spanienkämpfer, Mielke-Opfer, Herzspezialist

Dieter Schwartze erzählt das Leben des jüdischen Mediziners Rudolf Zuckermann, der nach 1955 mehr als drei Jahrzehnte in Halle wirkte.

Von Kai Agthe 27.11.2023, 11:08
Rudolf Zuckermann während einer Besprechung
Rudolf Zuckermann während einer Besprechung (Foto: Archiv Dieter Schwartze) SCHWARTZE

Halle/MZ. - Rudolf Zuckermann kam Anfang 1955 erstmals nach Halle. Nach einer ersten Stadtbesichtigung lautete das Fazit des Mediziners kategorisch: „Hier bleibe ich nicht.“ Aber das Leben wollte es anders: „Es sollten 41 Jahre werden“, weiß Dieter Schwartze, einst Medizinstudent bei Zuckermann, der jetzt unter dem Titel „Der blockierte Mensch“ eine kompakte Biografie des verdienstvollen Kardiologen vorlegt.

Bis zu dessen Übersiedlung in die Saalestadt liest sich die Biografie des 1910 als Sohn jüdischer Eltern in Wuppertal-Elberfeld geborenen und 1995 in Berlin gestorbenen Zuckermann wie ein Roman, in dem sich das 20. Jahrhundert mit seinen extremen Ideologien wie in einem Brennglas bündelt.

Frühe Flucht nach Paris

Bereits 1933, nach vier Jahren des Medizinstudiums in Bonn und Berlin, floh Zuckermann nach Paris, wo er seine Studien fortsetzen, aber kein Examen ablegen konnte, da seine in der Heimat erworbenen Abschlüsse nicht anerkannt wurden. Er wich in die Schweiz aus, wo er 1937 zum Dr. med. promoviert wurde. Da für ihn als Juden eine Rückkehr nach Deutschland unmöglich war, schloss er sich den Internationalen Brigaden in Spanien an.

Nach deren Rückzug 1938 ging er illegal nach Frankreich, wurde dort erst für Monate interniert, dann Assistenzarzt in Paris. Einige Zeit nach der deutschen Besetzung Frankreichs konnte er mit seiner Frau Henny 1941 über Marokko nach Mexiko emigrieren, wo sich Zuckermann am ersten kardiologischen Institut der Welt in Mexiko-Stadt zum Herzspezialisten ausbilden ließ. Das fand unter anderem in der Publikation eines Lehrbuchs über Elektrokardiografie seinen Niederschlag, das auch außerhalb der spanischsprachigen Welt bald zum Standardwerk avancierte.

Von der Stasi verhaftet

Angesichts dessen, was Zuckermann bis zur Emigration nach Mexiko an Drangsal und Verfolgung erduldet hatte – und was der Mediziner nach der freiwilligen Übersiedlung in die DDR 1953 an ideologischen Repressalien noch erleben sollte –, nennt sein Biograf Dieter Schwartze Zuckermanns mexikanische Jahre mit Recht dessen glücklichste Lebenszeit.

Die Hoffnung, als Arzt am demokratischen Aufbau der jungen DDR mithelfen zu können, zerschellte indes mit Zuckermanns Einreise: Anstatt mit offenen Armen wurde der Arzt in Ost-Berlin mit Untersuchungshaft begrüßt, die von Januar bis August 1953 währte. Obwohl es keine Beweise gab, ermittelte das Ministerium für Staatssicherheit wegen des Verdachts der Agententätigkeit. Mit Nazi-Methoden, zu denen etwa verschärfte Einzelhaft, endlose Verhöre und auch eine Scheinerschießung zählten, sollte Zuckermann zu Geständnissen gezwungen werden. Unterschrieben war der Haftbefehl und auch der Entlassungsbeschluss von Erich Mielke, der 1957, als Nachfolger Ernst Wollwebers, Minister für Staatssicherheit wurde.

Rudolf Zuckermann hätte wissen können, worauf er sich mit seinem Umzug in die DDR einließ – wenn er nur die politische Entwicklung in dem Land verfolgt und, mehr noch, das Schicksal seines zwei Jahre älteren Bruders als Zeichen der Zeit gedeutet hätte.

Der Fall seines Bruders Leo

Leo Zuckermann (1908-1985) war Jurist und 1947 aus dem mexikanischen Exil in die Sowjetische Besatzungszone gekommen, wo er es als SED-Funktionär bis zum Leiter der Kanzlei des Präsidenten der DDR, Wilhelm Pieck, brachte.

Wegen seiner Westemigration und seiner jüdischen Herkunft wurde Leo Zuckermann 1950 – ähnlich wie sein Weggefährte, der jüdische SED-Politiker Paul Merker – kaltgestellt, floh mit seiner Familie 1952 nach West-Berlin und ging dann wieder nach Mexiko, wo Leo als Professor für Soziologie lehrte. Rudolf Zuckermann wählte indes den umgekehrten Weg, anfänglich mit den obengenannten Konsequenzen. Das Bittere an beider Schicksal: Die Brüder haben sich nie wieder gesehen.

Ein König ohne Land

Seinem erklärten Wunsch, ein Institut für Kardiologie in Halle aufzubauen, schien sich für Rudolf Zuckermann im Lauf der 1950er Jahre zu erfüllen. Höhepunkt auf seiner spät betretenen Karriereleiter war 1962 die Ernennung zum Professor für Kardiologie – das war er schon seit 1957, nun mit Lehrstuhl, aber ohne eigene Klinik. Zur Gründung einer solchen sollte es auch nicht mehr kommen. Zuckermann blieb, wenn man so will, ein König ohne Land.

Und spätestens 1970 war die Expertise des als unbequem geltenden Herzspezialisten, der 1962 als erster in Halle eine Operation am offenen Herzen vorgenommen hatte, gar nicht mehr gefragt. Zuckermann wurde auf eine poliklinische Tätigkeit abgeschoben, die er bis 1979 ausübte. Trotz beruflicher Angebote aus der Bundesrepublik blieb er in der DDR und kommentierte sein Bleiben mit dem Hinweis: „Ich bin drei Mal emigriert, nun nicht noch einmal.“

Der Arzt als Kunstsammler

Der Mediziner war auch, wie Dieter Schwartze erinnert, ein leidenschaftlicher Kunstsammler, der in seiner Wohnung in Halles Mozartstraße vor allem Selbstbildnisse zeitgenössischer Künstler zusammentrug. Mehr noch: Werner Tübke in Leipzig wurde von Rudolf Zuckermann, der selbst ein zeichnerisches Talent besaß, mit der Schaffung eines Triptychons beauftragt und von Willi Sitte in Halle ließ er sich gleich zwei Bilder malen, darunter ein Porträt Franz Kafkas. Eine weitere Passion Zuckermanns war zumindest in den 1960er Jahren sein französischer Kleinwagen der Marke Simca.

Das kann indes nicht davon ablenken, dass der Spanienkämpfer, Westemigrant und Jude für die DDR ein weltanschaulich unsicherer Kantonist blieb und deshalb um sein Lebenswerk als Herzspezialist betrogen wurde.

Dieter Schwartze: Der blockierte Mensch. Das Schicksal des Arztes Rudolf Zuckermann, Mironde-Verlag, 84 Seiten, zahlr. Abb., 17,50 Euro