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Neues Theater Halle Premieren: Aus zwei mach eins

Eine Regisseurin und ein Regisseur, beide noch jung, gestalten am Schauspiel Halle einen aufregenden Doppelabend. Es geht um Verwirklichung, Radikalität und Schmerz.

Von Andreas Montag Aktualisiert: 12.11.2024, 15:08
Aline Bucher als Dionysos und Tristan Becker als Pentheus in „Bakkhai“ am neuen theater in Halle
Aline Bucher als Dionysos und Tristan Becker als Pentheus in „Bakkhai“ am neuen theater in Halle (Foto: Falk Wenzel)

Halle/MZ - Wir leben in einer Zeit, da sich die Notwendigkeit, Überholtes mutig zu verändern und das ängstliche Beharren auf dem Gewohnten aneinander reiben – wenn sich beides nicht sogar bis zum Stillstand ausbremst. Klima, Gleichstellung der Geschlechter, Teilhabe, Respekt und soziale Gerechtigkeit sind die Themen. Dies ist der Hintergrund für die jüngste Doppelpremiere am neuen theater Halle. Wobei das Attribut „neu“ hier noch besonderen Stellenwert hat. Mit Naemi Friedmann und Basil Zecchinel haben zwei junge Leute inszeniert, die damit ihr Studium an der Berliner Hochschule „Ernst Busch“ abschließen.

Und wer, wenn nicht jüngere Menschen, sollte aufgerufen sein, das Hergebrachte ästhetisch wie politisch infrage zu stellen? Schließlich geht es um die Zukunft, in der sie würdig leben wollen.

 Nicoline Schubert  und Annemarie Hörold in „Die zweite Sonne“ (von links)
Nicoline Schubert und Annemarie Hörold in „Die zweite Sonne“ (von links)
(Foto: Falk Wenzel)

Provokant und achtbar sind beide, jeweils 90-minütigen Inszenierungen ausgefallen – wobei „Bakkhai“ (von Anne Carson nach Euripides neu erzählt) als zweiter Teil des Abends stimmiger und glanzvoller war als „Die Zweite Sonne“, geschrieben von der jungen zeitgenössischen Dramatikerin Svenja Viola Bungarten und von Naemi Friedmann in Szene gesetzt. In „Bakkhai“, der Regiearbeit von Basi Zecchinel, erhält und nutzt Aline Bucher als verführerischer, rachsüchtiger Gott Dionysos, der die Stadt Theben in eine Tragödie stürzen lässt, die Chance groß aufzuspielen. Wie sie den Regenten Pentheus (Tristan Becker hervorragend als „junger weißer Mann“) in seiner machtgeilen, anachronistischen Eitelkeit in die Katastrophe schlittern lässt, ist großes Theater-Kino. Auch Sybille Kreß als Pentheus’ Mutter Agave, die im Sinnenrausch ihren Sohn tötet, sowie Andrej Kaminsky als tumber Wachmann und erschütterter Hirte spielen fabelhaft. Enrico Petters und Andreas Range überzeugen ebenfalls.

Wie radikal darf man seinen Lust- und Freiheitsanspruch leben, wieviel Schmerz Anderer ist als Preis dafür angemessen? Darum geht es in „Bakkhai“ wie in „Die Zweite Sonne“. Hier sind es Mütter, die verschwinden, ihre Kinder und Männer zurücklassen, um ein alternatives Gemeinwesen zu gründen und von einer Reporterin aufgespürt werden. „Im Theater haben wir die Freiheit, radikal neu zu denken“, sagt Naemi Friedmann. Ein großes Thema, das hier allerdings unentschieden bleibt zwischen großem Denk-Anspruch und witziger Komödie. Gelungenes Ensembletheater ist es aber allemal – unter anderem mit Annemarie Hörold, Nicoline Schubert und Nils Thorben Bartling. Spannender Abend.

Nächste Aufführungen: „Bakkhai“ am 13.11. um 18 Uhr und am 30.11. um 21 Uhr; „Die zweite Sonne“ am 14.11. um 19.30 Uhr und am 30.11. um 19 Uhr. Alles im nt-Saal.