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Musiklegende Puhdys-Chef Dieter Birr: Der Maschine mit den großen Herzen

Vor einem halben Jahrhundert stand er auf Wunsch von Schülern aus Gardelegen zum ersten Mal in einem Plattenstudio. Dorthin ist Dieter Birr nun mit 78 noch einmal zurückgekehrt, um Lieder über Liebe, Leid und vergangene Zeiten aufzunehmen.

07.01.2023, 11:15
Maschine von den Puhdys startet wieder durch.
Maschine von den Puhdys startet wieder durch. Foto: Dana Barthel

Halle/Berlin/MZ - von Freunden Abschied nimmt und doch vor Optimismus sprüht.Von Steffen KönauDas Blatt ist immer weiß am Anfang, der Stift bereit und der Mann, der ihn in der Hand hält, ist ratlos. Dieter Birr kennt das, denn so war es immer schon. „Texten ist mir nie leicht gefallen“, sagt der Musiker, den alle nur „Maschine“ nennen. Melodien erfinden, Gitarrenakkorde, Rhythmen, das ist das eine. „Da kannst du alle Töne aneinanderreihen“, sagt Birr. Aber dazu Strophen und Reime schreiben, die „nicht nur Blabla sind, sondern etwas bedeuten“, das ist harte Arbeit, oft bis zur letzten Minute. „Manchmal glaubt man, ein Text ist gut“, sagt Birr, „aber beim Singen merkst du dann, der geht gar nicht.“

Neustart nach fünf Jahrzehnten

Dann fliegt das Blatt weg, trotz aller Mühe, trotz der schlaflosen Nächte, die auch ein Mann wie Birr noch hat, ziemlich genau fünf Jahrzehnte nach seinem ersten Abstecher in ein Tonstudio. Eine Fortsetzung war nicht geplant, bis der umtriebige Leipziger Musikmanager Steven Dornbusch Birrs Corona-Abrechnungshymne „Bessere Tage“ anstieß und anschließend den Kontakt zu einer Hamburger Plattenfirma einfädelte. „Seit ich Dieter beim Sachsen-Anhalt-Tag in Wernigerode kennengelernt habe, sind wir Freunde geworden und ich habe gemerkt, dass er noch so viel zu erzählen hat.“

Nur was? „Als ich den Vertrag unterschrieben habe, hatte ich genau einen neuen Song“, gesteht Birr. Nicht mal in Schubladen lag etwas, denn für die schreibt der frühere Puhdys-Frontmann prinzipiell nicht. Die Lieder kommen zu ihm, wenn sie gebraucht werden, das war schon so, als der erste von heute fast 300 Songs entstand: Eine Schulklasse aus Gardelegen hatte sich damals beim DDR-Fernsehen beschwert, weil ihre Lieblingsband nie gezeigt wurde. „Die vom Fernsehen sagten dann, wir dürfen da spielen, wenn wir uns die Haare abschneiden und ein Lied mit deutschem Text mitbringen.“

Debüt mit hochgestecktem Haar

Das mit den Haaren kam nicht infrage. „Das wäre Verrat an den Fans gewesen“, sagt Dieter Birr. Aber das deutsche Lied, das ging: „Türen öffnen sich zur Stadt“ bastelt Birr aus Orgel-Intro, heftigem Bass und wild jaulenden Gitarrenriffs. Die Puhdys singen es mit hochgesteckten Haaren. Es wird der erste Hit der Band, die bis zu ihrer Auflösung 19 Alben einspielt, zahllose Hits landet, 4.000 Konzerte gibt und mehr als 22 Millionen Tonträger verkauft.

Als es vorüber ist mit den Puhdys, zum zweiten Mal eigentlich schon, denn „wir hatten ja Ende der 80er schon mal beschlossen, dass wir aufhören“, denkt Dieter Birr keinen Moment daran, nur noch das zu tun, was er tut, wenn er gerade frei hat. Mit dem Hund eine Mittagsrunde gehen. Einkaufen. Bisschen Fahrradfahren. Beim ersten Mal stürzte er sich mitten im Untergang der DDR und der Abkehr der Fans von ihren alten Idolen in ein neues musikalisches Abenteuer. Mit einer jungen Band an seiner Seite bricht er auf zu neuen Ufern, in kleine Klubs.

Zur falschen Zeit gestartet

Sein Solo-Unternehmen „Maschine und Männer“ startet zur falschesten Zeit. „Die Leute hatten alles andere im Kopf“, sagt er über die Zeit, die er nicht die schwerste nennen will, aber eine der „großen Ungewissheit“. Niemand habe gewusst, was kommt, wie es weitergeht, was man tun solle. Dieter Birr aber entscheidet sich für „das einzige, was er kann“, wie seine Frau Sylvia sagt. Nun sind eben weniger Leute da. Dafür ist der Spaß zurück. „Wir haben vor 20 Leuten gespielt als ob es tausend wären.“ Nach vorn schauen, weitermachen, auf das Beste hoffen, weil man das Beste gibt. „Ich bin kein religiöser Mensch, der an einen Gott glaubt“, sagt Dieter Birr, „aber ich glaube an den Menschen und daran, dass alles gut wird.“

So hat der Mann mit der unverwechselbaren Stimme, der Hitparaden regiert und ganze Stadien dirigiert hat, später den dicken Streit am Ende von 47 Jahren Puhdys weggesteckt und eine Krebserkrankung überstanden. Steven Dornbusch stellt den Kontakt zur Bitterfelder Punkband Goitzsche Front her. Und Dieter Birr fest, dass da draußen eine Generation neuer Fans nachgewachsen ist. So jung, dass sie seine Enkel sein könnten. „Da stehst du auf der Bühne und alle singen mit und du denkst, hey, meinen die mich wirklich?“ Dieter Birr, der alles erlebt hat, was ein Rock’n’Roll-Leben zu bieten hat, war erstaunt. „Die Fans, alle in Schwarz, aber so liebe Mädchen und Jungs.“ Ein Video, in dem die Enkel, der Großvater des Ostrock und das Publikum das von Renft-Texter Gerulf Pannach vor 30 Jahren geschriebene „Was bleibt“ singen, steht im Internet bei mehr als einer Million Abrufe. „Das ist Wahnsinn“, sagt Dieter Birr.

Lieder für Generationen

Lieder für Generationen, aus seiner Feder. „Der große Virtuose am Instrument werde ich nie sein“ sagt er, „aber der beste Musiker ist für mich auch der, der Gefühle vermitteln kann, in einer Rockhymne oder mit drei Akkorden und Gitarre.“ Mit 78 hat sich Dieter Birr in diesen Tagen ein Programm verordnet, das manchen halb so alten Künstler an seine Grenze bringen würde. Ein neues Album, Videos, Autogrammstunden, Solo-Auftritte, Konzerte mit dem Silly-Gitarristen Uwe Hassbecker. Kaum ein Tag Pause. Der Antrieb? „Ich kann das nicht erklären“, sagt er, „das kommt von innen.“ Anstrengend ja, anstrengend ist das. „Aber dann haue ich mich zwischendurch mal aufs Ohr.“

Musik ist die Konstante in einem Künstlerleben, das eigentlich anfing, als Birr mit 16 ein Lied namens „Oh Mary“ schrieb, nach Feierabend, denn damals lernt er noch in einer Fabrik. „So richtig an der Werkbank“, wie er sagt. Uwe Hassbecker, der seit Jahren mit Maschine unterwegs ist, beschreibt seinen Kollegen und Freund als „bodenständigen, sehr herzlichen, aber auch verletzlichen und sensiblen Menschen“, der ehrgeizig und fleißig sei, vor allem, wenn es um Musik gehe. „Die ist es, die ihn jung hält, und der Kontakt zum Publikum ist für ihn ein Lebenselixier“, sagt der gebürtige Hallenser. „Maschine ohne Konzerte, ohne Öffentlichkeit – für mich undenkbar.“

Neues Album, neue Fans

Auch für Dieter Birr wäre die Art Rockerrente, von der die Puhdys mit Mitte 40 träumten, heute ein Alptraum. Für sein neues Album „Große Herzen“ war er fleißig wie nie, er hat geschrieben, Bass und Gitarren eingespielt, er hat im Studio gehockt und den alten Zauber beschworen, der sich einstellt, wenn Maschine singt.

Wie das Buch eines Lebens blättern die neuen Lieder die Geschichte des Dieter Birr auf, vom Abschiedslied für János Kóbor, den Omega-Sänger, der nicht nur ein Freund war, sondern ein Vorbild, über die Ballade an die „Sternenkinder“ bis zum Song über einen Freund aus Kindertagen, der mit dem Mauerbau auf der anderen Seite verschwand. Klingt nach Lebensreise und Konzeptalbum, sollte aber keines werden. „Man sucht nach Sachen, von denen man denkt, die könnten die Menschen emotional erreichen.“

Madchine will es mit 78 Jahren noch einmal wissen.
Madchine will es mit 78 Jahren noch einmal wissen.
Dana Barthel

Kein Blick zurück im Zorn, nicht einmal auf das letzte Kapitel mit den Puhdys, das mit einem Streit um die Rechte an Birrs Songs endete. „Das war doch die schönste Zeit in meinem Leben.“ Das Verhältnis zu den Ex-Kollegen nennt Birr heute „neutralisiert“. Man sehe sich nicht, würde aber, geschähe es doch, „normal miteinander reden“. Das ist vorüber, aber für Dieter Birr ist nichts vorbei. Abschied heißt bei ihm immer weitergehen, „Weiter, weiter“, wie es in einem seiner neuen Lieder heißt. Dieter Birr hat noch viel vor. Im Grunde hat der Mann mit dem großen Herzen eben erst angefangen.

Maschine live: 14. Januar Steintor Halle, 25. Februar Altes Theater Magdeburg, 22. April Schlosstheater Ballenstedt; www.dieter-maschine-birr.de