Theater Naumburg Mit Jesus Christus durch den Naumburger Dom
Der Theaterspaziergang führt in diesem Jahr durch das Weltkulturerbe.
Naumburg/MZ. - Ein Theaterspaziergang, der als Stationendrama durch eine Kirche führt, wird unweigerlich zur Prozession. Umso mehr, wenn Jesus es ist, der unter dem Ausruf „Folgt mir!“ vorangeht. Der Theaterspaziergang ist eine Veranstaltungsform, mit der das Theater Naumburg seit Jahren neue Spielorte entdeckt. Im vergangenen Jahr etwa wandelte man auf den Pfaden von Turnvater Jahn durch Freyburg. Jetzt lädt das Ensemble um Intendant Stefan Neugebauer in den Naumburger Dom ein, um einen Politiker (Paul Maximilian Schulze), einen Pazifisten (Sebastian Zumpe) und eine Klima-Aktivistin (Ruth Weingarten) mit Jesus (Barbara Elisabeth Bühl) zu konfrontieren.
Im Anfang war das Wort. Hier gehört es den drei Akteuren. In der Marienkirche am Dom dürfen sie ihre Standpunkte vortragen. Der Politiker in geschmeidiger Rhetorik, der Pazifist in flehendem Ton und die Klima-Aktivistin mit aggressiver Lautstärke. Als die Eingangsreferate gesprochen sind, wird auf der Empore Odettas „Sometimes I Feel Like a Motherless Child“ angestimmt. Es ist Jesus, der abermals erschienen ist, um die Menschheit zu versöhnen.
Mit Blick in die Ferne
Dass er im Stück „Auf den Spuren von Jesus Christus“ (Text und Regie: Stefan Neugebauer) von einer Schauspielerin dargestellt wird, ist zeitgemäß; dass er von den Beteiligten dennoch „er“ genannt wird, historisch angemessen. Ebenso, dass der wiedergekehrte Messias nicht mit den Akteuren kommuniziert, sondern, den Blick stets in die Ferne gerichtet, vor allem in biblischen Gleichnissen spricht.
Während der Weg von der Marienkirche über den Kreuzgang in den Dom führt, bleibt Zeit, über die Positionsbestimmungen nachzudenken, die die drei Akteure vorgenommen haben. Mit dem Ergebnis, dass man dem Politiker wie dem Pazifisten und der Aktivistin wenig vertrauen mag – wie die drei Protagonisten demjenigen, der sich Gottes Sohn nennt.
Der Politiker ätzt, dass er der Kaiser von China sei, wenn sein Gegenüber Jesus Christus sein sollte. Später meint die Klima-Aktivistin in Jesus einen Scientologen zu erkennen, während der Pazifist überzeugt ist, dass es sich bei diesem Kerl um einen Zeugen Jehovas handeln müsse.
Unberührt von derlei Häme hält Jesus ihnen ein triftiges Argument entgegen, das – im ersten Kapitel des Johannes-Evangeliums nach Luther – so lautet: „Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht begriffen.“
Ergreifend ist, was folgt: Derweil der Weg der Theaterpilger von der Domvorhalle durch das Langhaus in den Westchor führt, erklingt aus diesem – die gesamte Kathedrale sanft wie ein archaisches Stück Gregorianik ausfüllend – das „Ubi Caritas“ des Norwegers Ola Gjeilo (45), vorgetragen vom vorzüglichen Naumburger Domchor unter Leitung von Jan-Martin Drafehn. Das Ensemble steht hinter dem Altar von Michael Triegel und direkt unter den Stifterfiguren. Es singt auch leise weiter, als Jesus aus jener Rede von Martin Luther King zitiert, die mit den Worten beginnt: „Ich habe einen Traum.“
Entführung des Politikers
Der sehr irdische Konflikt zwischen den drei Figuren spitzt sich indes zu. Der von der Kanzel im Langhaus agierende Richter (Sebastian Zumpe) – vor den die Klima-Aktivistin durch den Polizisten (Paul Maximilian Schulze) geführt wird – kann kein strafrechtlich relevantes Handeln bei ihr erkennen. Die greift in der Folge zu schärferen Mitteln, um ihrem Kampf mehr Nachdruck zu verleihen: Mit Hilfe des Pazifisten entführt sie den Politiker.
Der Ort des kriminellen Geschehens: Die romanische Krypta, deren Kapitelle ebenso kunstgeschichtlich bedeutsam sind wie das ebenfalls aus dem 12. Jahrhundert datierende Kruzifix und die Leuchter des Magdeburger Künstlers Heinrich Apel (1935-2020), dessen Handläufe („Der schmale Pfad ins Paradies“ und „Der heilige Franziskus und die Tiere“) das Prozessionspublikum zuvor bereits – hinauf zum und hinab vom Ostchor – berührt hatte.
Diesen Theaterspaziergang ein Stationendrama zu nennen, ist angebracht, da es sich auch hier um eine dramatische Form handelt, in der Szenen und Bilder durch die Protagonisten nur lose miteinander verbunden sind. Ein Verfahren, das besonders im Expressionismus gepflegt wurde. So etwa vom Magdeburger Dramatiker Georg Kaiser (1878-1945), dessen Bruder Bruno Kaiser (1872-1953) – so schließt sich der Kreis – Direktor des Naumburger Domgymnasiums und auch Verfasser zahlreicher Studien zur Geschichte des Naumburger Domes war.
Am Ende steht ein Wort des Trostes: „Fürchte dich nicht!“, sagt Jesus und geht – gesetzten Schrittes die Krypta verlassend – ins grelle Licht. Ein stimmiges Bild.Nächste Aufführungen: am 18, 19., 21. und 28. April, jeweils 19.30 Uhr