1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Kultur
  6. >
  7. Ende der DDR: Legendäres Silly-Album „Februar“ - Lieder vom letzten Winter

Ende der DDR Legendäres Silly-Album „Februar“ - Lieder vom letzten Winter

Vor 35 Jahren veröffentlichte die Band Silly ihr Album „Februar“, das zum Soundtrack des Untergangs der DDR wurde. Der Hallenser Uwe Hassbecker und der aus der Börde stammende Ritchie Barton erinnern sich an die Entstehungsgeschichte als deutsch-deutsches Abenteuer.

Von Steffen Könau Aktualisiert: 01.03.2024, 11:55
Für Ritchie Barton und Uwe Hassbecker (l.)  sind die Erinnerungen an die Produktion von "Februar" unvergesslich.
Für Ritchie Barton und Uwe Hassbecker (l.) sind die Erinnerungen an die Produktion von "Februar" unvergesslich. Foto: Karin Rocholl

Halle/MZ. - Die Stimme singt von verlorenen Kindern, von Gespenstern, die im Land umgehen, und von einem Kaiser, der schon lange tot ist. Die Band rockt, der Bass pumpt, die Gitarren heulen. So klingt der Soundtrack des letzten Jahres der DDR, das Album „Februar“, das die Rockband Silly vor 35 Jahren veröffentlichte. Eine Liedersammlung, die wie ein Blitz einschlägt, die Herzen erreicht und eine Ahnung von Veränderung durch das Land wehen lässt. Februar, das ist der letzte Wintermonat. Februar, das verstehen die auf Zwischentöne geeichten Hörer in der DDR sofort, ist der Moment, in dem sich unter dem Eis schon die ersten Knospen des Frühlings regen.

Die Geschichte dieser Platte, die selbst Geschichte geschrieben hat, beginnt Monate zuvor in Magdeburg. In einem Zimmer des „Interhotel“ sitzt eine Runde zusammen: Fünf Männer, eine Frau. Fünf Ostdeutsche, einer aus dem Westen. Thomas M. Stein ist Chef einer großen Hamburger Plattenfirma und ebenso großer Silly-Fan. Jahre zuvor hat er versucht, ein Album des Quintetts um die charismatische Sängerin Tamara Danz im Westen herauszubringen. „Das klappte nicht“, erinnert sich Silly-Keyboarder Ritchie Barton, „nun kam er unangekündigt in unser Konzert, war ziemlich beeindruckt und wollte uns kennenlernen.“

Silly Ende der 80er Jahre: Als erste DDR-Band durfte die Gruppe ein Album für eine bundesdeutsche Plattenfirma einspielen.
Silly Ende der 80er Jahre: Als erste DDR-Band durfte die Gruppe ein Album für eine bundesdeutsche Plattenfirma einspielen.
Foto: Karin Rocholl

Auf dem Sprung

Bis in die Morgenstunden sitzen Barton, Tamara Danz, Gitarrist Uwe Hassbecker, Basser Jäcki Reznicek und Trommler Herbert Junck mit dem Manager zusammen. Beide Seiten sehen in einer Zusammenarbeit eine große Chance. „Wir wollten mit dem nächsten Album unbedingt einen Schritt weitergehen und möglichst im Westen produzieren, wo es die technologischen Möglichkeiten gab, einen internationaleren Sound zu bekommen“, erzählt Uwe Hassbecker, einer aus der Sachsen-Anhalt-Fraktion bei Silly.

Tamara Danz von Silly ist bis heute unvergessen.
Tamara Danz von Silly ist bis heute unvergessen.
Foto: Steffen Könau

Rüdiger Barton, „Ritchie“ genannt, stammt aus der Börde, Hassbecker, genannt „Hassbe“ und Sohn der Opernsängerin Eva Hassbecker, wächst in Halle auf. Zusammen mit der aus Thüringen stammenden Tamara Danz, dem Rostocker Junck und dem Dresdner Reznicek haben beide Silly in die Oberliga des DDR-Rock gespielt. Die Alben „Mont Klamott“ und „Liebeswalzer“ sind als „Platte des Jahres“ ausgezeichnet worden, am Nachfolger „Bataillon d’Amour“ hatte mit dem Ärzte-Produzenten Micki Meuser sogar ein Spezialist von drüben Hand anlegen dürfen.

„Zur Freude aller brachte er eine ganze Menge Technik mit“, schwärmt Ritchie Barton heute noch vom „Emulator“-Sampler und dem „Lexicon“-Hallgerät, eigentlich unerreichbaren Zauberkästen für DDR-Rockmusiker. „Bataillon d’Amour“ wird zwar im Amiga-Studio eingespielt. Doch federführend bei der Produktion ist die westdeutsche Firma CBS.

In der DDR kam "Februar" erst im März vor 35 Jahren in die Läden. Die genauen Gründe sind unklar.
In der DDR kam "Februar" erst im März vor 35 Jahren in die Läden. Die genauen Gründe sind unklar.
Peter Endig/dpa-Zentralbild/dpa

Verkehrte Welt. Im Normalfall haben Bands kein Mitspracherecht bei der Verwertung ihrer Musik durch die einzige Plattenfirma der DDR. Amiga hat einen Pauschalvertrag mit der Plattenfirma Teldec geschlossen. Das Unternehmen darf jede Amiga-Scheibe in der Bundesrepublik veröffentlichen. „Für einen Appel und ein Ei“, sagt Barton. Tamara Danz habe das immer als heimliche Veröffentlichungen beschrieben: „Die hatten ein günstiges Produkt, gaben sich aber keine Mühe damit, sondern hofften, dass sie wie bei ,Am Fenster’ oder ,Sieben Brücken’ Profit zum Nulltarif kassieren.“

Der Fotograf Jim Rakete, in Westberlin auch Manager von Nena und Nina Hagen, ist es, der Tamara Danz und ihren Männern klar macht, „dass wir auf diese Weise verbraten werden“, wie Ritchie Barton sagt. Zwar sei jede DDR-Band glücklich gewesen, wenn ihre Musik auch im Westen erschien, „um fast jeden Preis“. „Aber wir wollten das nicht mehr.“ Silly marschieren also zum Amiga-Chef und erklären dem unumschränkten Herren der DDR-Musik, „dass wir ein Mitspracherecht wollen“. Ein bisschen naiv sei das wohl gewesen, findet Ritchie Barton heute. Und doch geschieht das Wunder: „Erstaunlicherweise ging er darauf ein.“

Uwe Hassbecker wuchs in Halle auf.
Uwe Hassbecker wuchs in Halle auf.
imago/Jan Huebner

Es beginnt die Geschichte des ersten echten deutsch-deutschen Albums der Rockhistorie. „Wir wollten raus aus den eingefahrenen Gleisen bei Amiga, hin zu einem internationaleren Sound, und wir kannten Uwe Hoffmann, den Produzenten der Ärzte“, erinnert sich Uwe Hassbecker. Hoffman ist Besitzer der Preußenton-Studios in Westberlin. „Die boten all die Möglichkeiten, die wir uns erträumten.“

Uwe Hassbecker und Tamara Danz beim rocken.
Uwe Hassbecker und Tamara Danz beim rocken.
Foto: Lutz Winkler

Den finanzkräftigen Partner im Westen, der bereit ist, sich auf das Abenteuer einer Ost-West-Koproduktion einzulassen, finden die Silly-Musiker in Thomas M. Stein, der einer breiten Öffentlichkeit Jahre später als Juror bei „Deutschland sucht den Superstar“ bekannt werden wird. Stein führt Verhandlungen mit Amiga, und am Ende steht ein Kooperationsvertrag zwischen dem VEB Amiga und dem Unterhaltungsgiganten Bertelsmann Ariola, „den es so bis dahin in der DDR-Musikbranche noch nicht gegeben hatte“, wie Uwe Hassbecker beschreibt.

Die klassische Besetzung mit Tamara Danz
Die klassische Besetzung mit Tamara Danz
picture-alliance / dpa

Drei Wochen lang feilen Silly im Amiga-Studio an ihren neuen Songs, sechs Wochen im Preußenton-Studio in Westberlin folgen. „Wir haben uns auf dieser Spielwiese gebadet und alles ausgekostet“, erinnert sich Hassbecker. Wie immer vor einer Plattenproduktion ist zwar eigentlich alles fertig, „sonst hätte die Zeit nie gereicht“. Doch diesmal explodiert die Kreativität angesichts der technischen Möglichkeiten. „Was da nicht alles für Chöre angeflogen kamen, gespielte Drums wurden mit programmierten gemischt und vieles mehr.“

Öfter schläft die Band gleich auf Sofas im Studio, schon allein, um die zeitraubende Grenzpassage zu sparen. Westgeld ist rar, „also haben wir Lebensmittel von der Eberswalder Wacholdersalami bis zum Kasten Bier, aber vor allem auch Brot und Brötchen aus dem Osten mitgebracht“. Bei der Studiomannschaft, schmunzelt Hassbecker, sei das alles gut weggegangen. „Nur Rosenthaler Kadarka und Stierblut kamen nicht so gut an.“

Momentaufnahme der Zeit

Dass „Februar“ nicht nur musikalisch ein großer Wurf wird, sondern auch inhaltlich eine stimmige Momentaufnahme aus den letzten Monaten eines Zeitalters und eines Landes, das von seinem nahenden Ende selbst noch nicht weiß, verdankt sich auch den Texten der zehn Lieder, die diesmal nicht Silly-Stammlyriker Werner Karma schrieb. „Da steckte die Zusammenarbeit fest, manchmal ging es um einzelne Textzeilen oder Worte, manchmal um ganze Texte, die Tamara so nicht singen wollte“, schildert Uwe Hassbecker. Es habe dann „irgendwann gewaltig gekracht“ und übrig blieben nur „Über ihr taute das Eis“ und „Alles wird besser“. Und das mitten in der Studioarbeit.

Jäcki Reznicek, Uwe Hassbecker und Rüdiger "Ritchie" Barton haben Silly mit dem Album "Instandbesetzt" zuletzt wieder in die Hitparade geführt
Jäcki Reznicek, Uwe Hassbecker und Rüdiger "Ritchie" Barton haben Silly mit dem Album "Instandbesetzt" zuletzt wieder in die Hitparade geführt
Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/

„Wir brauchten von jetzt auf gleich neue Texte“, erzählt Hassbecker, „Tamara hatte Ideen und Textfetzen, aber alles selbst zu schreiben, hat sie sich noch nicht zugetraut.“ Silly fragen selbst bei Rio Reiser um Hilfe, doch erst Amiga-Chef René Büttner hat die rettende Idee: Warum nicht Gerhard Gundermann? Der Liedermacher aus der Lausitz gilt als wortgewandt, kritisch und originell. „Wir lernten ihn kennen, wir sprachen die gleiche Sprache.“ Gundermann nimmt unbezahlten Urlaub im Tagebau, in dem er als Baggerfahrer arbeitet. „Er wohnte bei uns und schrieb mit Tamara neue Texte für die Songs, die wir gerade einspielten.“

Dass ihnen gerade etwas Großes gelingt, spüren die Musiker. Dass es die Veröffentlichung in der DDR nicht einfacher machen wird, ist ihnen klar, als eben jener René Büttner im Studio auftaucht, um nach dem Stand der Dinge zu schauen. „Tamara hat gerade ,S.O.S.’ eingesungen − danach war kurz Stille im Raum und Büttner sagte: ,Also Leute ... mit dem Text, das geht so nicht’.“ Tamara Danz habe nur kurz geantwortet „Bütti, det Lied is fertig!“

Uwe Hassbecker und Jäcki Rezniczek von Silly bei einem Konzert in Halle.
Uwe Hassbecker und Jäcki Rezniczek von Silly bei einem Konzert in Halle.
Foto: Steffen Könau

Durch den Vertrag mit der Westfirma kann die DDR-Seite nicht mehr eingreifen, nur verzögern: „Februar“ erscheint in der Bundesrepublik tatsächlich im Februar, in der DDR aber erst im März. Seinen Namen verdankt das Album Bartons Erinnerung nach dem Vorschlag eines Mitarbeiters von BMG Ariola. „Februar sei gut, weil die Platte ja in dem Monat erscheine“, hatte der in einer Diskussionsrunde ganz sachlich angemerkt. Tamara Danz habe die Metapher für das Ende der kalten Zeit und den Beginn von etwas Neuem sofort erkannt, sagt Ritchie Barton. „Das hätte kein anderer Titel so bündeln können.“

Live in der Region

Als Silly-Sängerin Tamara Danz 1996 mit nur 43 Jahren starb, mussten ihr die anderen Bandmitglieder versprechen, weiterzumachen. Das tun Uwe Hassbecker (Gitarre), Ritchie Barton (Keyboard) und Jäcki Rezniczek (Bass) bis heute, auch nach dem frühen Tod von Herbert Junck (Drums), der 2005 starb.

Den Platz am Mikro übernahm zuerst Anna Loos, inzwischen singen Julia Neigel und Ex-City-Chef Toni Krahl. Das letzte Album „Instandbesetzt“ sprang bis auf Platz 7 der Charts. Live spielen Silly am 17. August in Halle, am 14. September in Ilsenburg im Harz und am 28. Dezember in Magdeburg.

Termine und Infos: www.silly.de