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Welterbe-Streit am Naumburger Dom: Wird der Triegel- zum Trage-Altar? Heute hier, morgen dort

Wird der Triegel- ein Trage-Altar? Eine Tagung suchte Wege aus dem Dauerstreit um den Welterbe-Status des Westchors.

Von Christian Eger 27.11.2022, 16:03
Umstrittener Cranach-Triegel-Altar im Westchor des Naumburger Domes: Noch bis zum vierten Dezember ist das Kunstwerk im Dom zu sehen, dann wird es für ein halbes Jahr im Diözesanmuseum Paderborn gezeigt.
Umstrittener Cranach-Triegel-Altar im Westchor des Naumburger Domes: Noch bis zum vierten Dezember ist das Kunstwerk im Dom zu sehen, dann wird es für ein halbes Jahr im Diözesanmuseum Paderborn gezeigt. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

NAUMBURG/MZ - Ganz am Ende geschah dann doch noch Unerwartetes. Gerade hatte Holger Kunde, Direktor der Domstifter, ein Sieben-Punkte-Papier verlesen, das als „Naumburger Erklärung“ in die Welt geschickt werden sollte. Ein Aufruf dazu, dass sich die „zuständigen Instanzen“ nicht weiterhin der Ablehnung des Cranach-Triegel-Altars im Westchor des Naumburger Domes anschließen sollen. Eine Ablehnung, die im Sommer von den deutschen Gutachtern der die Unesco beratenden Denkmalorganisation Icomos auf den Weg gebracht worden war und die seitdem Sachsen-Anhalt um den Welterbe-Titel des Naumburger Domes bangen lässt.

Kaum also war der Angriff geritten, da eilte Karin von Welck ans Mikrofon. Die Dechantin der Domstifter ergriff das Wort und erklärte, dass man auf die Erklärung verzichte. Man wolle, überraschte sie das schon zum Kulturkampf sprungbereite Publikum, jetzt doch lieber auf eine Lösung statt auf Konflikt setzen.

Debatte ohne Gegner

Das war eine Kehrtwende um 180 Grad. Und in journalistischer Hinsicht die eigentliche Neuigkeit des am Donnerstag in der Marienkirche des Naumburger Doms veranstalteten Vortragsreigens zur Streitsache. Kurz zuvor hatte der Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp sein Erschrecken darüber mitgeteilt, dass die „Erklärung“ in einem Ton verfasst worden sei, als ob es die Diskussionen gar nicht gegeben hätte, an denen er gerade mitgewirkt hatte. Dass es nicht um die Fokussierung auf Icomos gehen könne, sagte er, sondern darum, die Debatte „sachlich“ zu führen.

Durchweg sachlich, wenn auch mit aktivistischen Spitzen, ging es zu bei dem Kolloquium, das ganztägig von den Domstiftern unter dem Titel „Kirchliche Nutzung und Denkmalpflege im Welterbe – ein Gegensatz?“ veranstaltet worden war. Bei Lichte besehen nicht wirklich der Kern des Konfliktes, der eher so lautet: Private Kunstbegeisterung und Denkmalpflege im Welterbe – ein Gegensatz?

Aber das Ganze war doch ein Innehalten im Streit, auch wenn die eigentlichen Gegner fehlten: Vertreter von Icomos und der Staatskanzlei. Ein Umstand, der dem von Thomas Bille launig, aber nie anbiedernd moderierten Geschehen von vornherein einiges an Würze nahm.

Warum fehlte Icomos? Die MZ hatte vorab gefragt. Der Sprecher der Monitoring Gruppe von Icomos Deutschland, Frank Pieter Hesse, wies darauf hin, dass die Domstifter nicht vor, sondern erst nach der Beauftragung von Michael Triegel die Beratung gesucht hätten. „Wir sehen keinen Sinn darin, dieses den Durchführungsrichtlinien zur Welterbekonvention widersprechende Vorgehen“ durch eine „Teilnahme am Kolloquium zu unterstützen“. Und: „Ein solches Kolloquium hätte sinnvollerweise im Vorfeld des Projektes stattfinden müssen.“ Das Kulturministerium antwortete, dass „fachlich zuständige Kollegen der zur Neutralität verpflichteten Verwaltung“ sich „vor Abschluss der Prüfung nicht an einem Kongress beteiligen“.

Dass am Abend vor dem Kolloquium der als Icomos-Gutachter tätige Regensburger Denkmalpfleger Achim Hubel in einem MDR-Interview gesagt hatte, dass der Welterbetitel „nicht aberkannt“ werden solle, hatte unter den Domstiftern für Erleichterung gesorgt. Eigens wurde das TV-Interview auf großer Leinwand präsentiert, bei dem allerdings nicht klar ist, ob Hubel wirklich meinte, was er sagte. Welche politische Relevanz also seinen Worten beizumessen ist, die er da im schnellen Wechsel fallen ließ.

Indizien, keine Beweise

Neun Vorträge in sieben Stunden. Darunter Referate, die so expertenhaft dicht gefügt waren, dass sie eigene Konferenzen hätten füllen können. Man kann die vorgetragenen bauhistorischen Befunde zum Westchor zusammenfassen: Es gibt in den Archiv-Quellen Indizien für einiges, aber letztgültige Beweise gibt es eben nicht. Wo im Chor stand denn der Cranach-Altar tatsächlich? Was zeigte er im Mittelteil? Wenn von einem frühen Marien-„Imago“ im Westchor die Rede ist, könne es laut Bredekamp beides sein: Bild oder Skulptur. Die bauliche Situation im Chor war seit dem 13. Jahrhundert vielfach verändert worden, auch der steinerne Altarblock wanderte, zuletzt wurde er in den 1960er Jahren völlig neu zusammengefügt, wie die Vorträge der Dombaumeisterin Regine Hartkopf und des Historikers Markus Hörsch zeigten.

Aber sind diese kunst-archäologischen Hinweise in der Streitsache wichtig? Die Unesco hatte den Westchor in seinem spezifischen Zusammenspiel von Stifterfiguren, Kirchenfenstern und Architektur im Zustand des 13. Jahrhunderts zum Welterbe erklärt und damit ein sozusagen historisches Standfoto geadelt, das jetzt verändert wurde, in dem ein raumgreifendes Kunstwerk hineingestellt wurde. Aus Sicht der Kirchengemeinde, die das ausdrücklich befürwortet hatte, kein Problem, ganz im Gegenteil, wie der Domherr und Regionalbischof Johannes Schneider in seinem Vortrag erklärte. Aber es geht hier nicht um ein Gemeinde-, sondern um ein Weltkulturerbe.

Von einem „überwältigenden Ergebnis“ sprach Horst Bredekamp im Blick auf den Triegel-Altar, er lobte, dass die Farbigkeit des Kunstwerkes die Farbigkeit der Kirchenfenster aufnehme und dem Raum damit eine innere Bindung gebe. Aber andererseits sprach er auch von einer „massiven Veränderung“, einem Eingriff in das subtile „Beziehungstheater“ der Stifterfiguren, der „nicht kleingeredet“ werden dürfe. Vor die Entweder-Oder-Frage gestellt, sei er selbst zu 51 Prozent für die dauerhafte Aufstellung des Altars im Westchor. Aber die übrigen 49 Prozent seien ein Problem.

Bredekamps Vorschlag: Den Altar jeweils nur für etwa ein halbes Jahr im Westchor, dann eventuell in der zum Dom gehörenden Marienkirche zu zeigen, um beide Raumerlebnisse zu ermöglichen. Heute hier, morgen dort: Wird der Triegel- zum Trage-Altar? Zu prüfen wäre für Bredekamp auch, ob der Maler um eine kleinere  Fassung des Altars gebeten werden könnte, der die Sichtbeziehungen zu den Stifterfiguren nicht stört.

Wie nun weiter? Kampf oder Kommunikation? Eduard Beaucamp, der große alte Mann der westdeutschen Kunstkritik, rief in der Schlussrunde auf die Barrikaden: Der Welterbe-Titel sei ein „Fetisch“, man dürfe weder vor Icomos noch der Unesco einknicken, forderte der vormalige Tübke-Förderer. Aber die Mehrheit der Referenten setzte – wie am Ende die Domstifter – auf das Moderieren und Lösungen suchen.

Auf Icomos zugehen?

Man selbst habe Icomos eine Tagung zum eigenen Weltkulturerbe im westfälischen Kloster Corvey veranstalten lassen, sagte Christoph Stiegemann, vormals Direktor des Erzbischöflichen Diözesanmuseums Paderborn. Wäre das ein Weg für Naumburg?

Jedenfalls ist es der Weg, den erst einmal der Cranach-Triegel-Altar nimmt, der nach seinem Abbau im Westchor am 5. Dezember für etwa ein halbes Jahr im Paderborner Museum ausgestellt werden soll. Zeit für die Domstifter, um eine Konfliktlösung zu finden.

Aber Vorsicht, scherzte Stiegemann: Wenn ein Altar erst einmal in Paderborn ist, solle man nicht so sicher sein, dass dieser auch wieder zurückkehre! Für diesen Fall hätte Naumburg zwar den Welterbetitel, aber keinen Triegel mehr.