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Science Fiction in Sachsen-Anhalt Halle wird Haupstadt: Eine schöne neue Welt

Der Schriftsteller Ralph Hammerthaler entwirft in seinem Roman „Das automatische Reich“ eine Dystopie, in der die alte Hallorenstadt Halle eine ganz besondere Rolle spielt.

Von Steffen Könau 12.08.2025, 14:00
Ein KIi-Entwurf des Zukunftszentrums Deutsche Einheit: So ähnlich sieht Ralph Hammerthalers Vision von Halle als Hauptstadt des Tri-Staates aus.
Ein KIi-Entwurf des Zukunftszentrums Deutsche Einheit: So ähnlich sieht Ralph Hammerthalers Vision von Halle als Hauptstadt des Tri-Staates aus. IMAGO/Funke Foto Services

Halle/MZ. - Warum dann eigentlich nicht Halle? Es kommt doch sowieso nicht mehr darauf an. Wie genau die Entscheidungsprozesse liefen, die aus der eher unauffälligen Stadt an der Saale den Regierungssitz eines riesigen Staates machten, der die EU beerbt hat, ist schon ein bisschen vom Staub der Geschichte überzuckert, als der frühere Dresdner Stadtschreiber Ralph Hammerthaler seine Leser mitnimmt in „Das automatische Reich“. Doch so laufen die Dinge im Tri-Staat nun mal.

Mitten in der Mitte

Unglaube her, absurde Pointe hin. Nachdem die EU auseinandergefallen ist, bleiben nur noch Frankreich, Deutschland und Polen als Staatengemeinschaft übrig. Und schon ein kurzer Blick auf die Karte des Tri-Staates, den die drei Länder bilden, zeigt es: Halle hat nicht nur den Vorteil, nicht Paris, Berlin oder Warschau zu sein. Es ist auch klein und unbedeutend und es liegt genau in der Mitte. Ein unschlagbares Argument, das für die Saalestadt spricht, weil alle drei Teilstaaten gut mit einer Hauptstadt Halle leben können. Der Autor sowieso: Am Neuen Theater der Händelstadt war vor zehn Jahren Hammerthalers Stück „Alleinunterhalter“ uraufgeführt worden.

Hammerthalers automatisches Reich, eine Art Verwaltungsdiktatur, die Technologiegläubigkeit als Religionsersatz pflegt, ist eine beängstigende Fortsetzung der Gegenwart in eine nicht allzu fern liegende Zukunft. Das späte 21. Jahrhundert ist wie das frühe, nur noch beklemmender. Aus den marktwirtschaftlichen Demokratien sind Obrigkeitsstaaten geworden, die alles und jeden überwachen. Menschen wie Hammerthalers Erzähler Simon Loher leben unter menschengleichen Robotern, ihr „PersoBlaBla“, ein perfektionierter Smartphone-Nachfolger, ist Ausweis und Geldbörse und Ratgeber zugleich.

Die Megastädte sind durchtechnisiert, doch in kleinen Kommunen auf dem Land versuchen Andersdenkende, alternative Strukturen aufzubauen. Niemand muss mehr etwas wissen, denn in der „Bibliothek der Welt“ ist alles gespeichert und jederzeit abrufbar. Es gibt private Miniflugzeuge, mit denen die Wohlhabenden unterwegs sind. Und Engpässe bei der Stromversorgung, weil die staatliche Planung mit den eigenen Ansprüchen nicht mithalten kann. Das Wichtigste für den Tri-Staat ist die Kontrolle, denn Kontrolle bedeutet Sicherheit. Simon Loher, Sohn eines der großen Forscher der in sich zerstrittenen Dreifach-Nation, sorgt mit dafür: Unter dem Decknamen „Lohengrin“ gehört er zur verschwiegenen Gruppe der Spitzenspitzel, die die Kommunen unterwandern und die Abweichler im Blick behalten.

Aber bei allem süßen Leben, das ihm die Doppelrolle verschafft, zweifelt Loher. Ralph Hammerthaler hat seinen Helden als skrupulösen Schuft angelegt, der alle verrät, dabei aber immer ein schlechtes Gewissen hat. Loher hadert mit seinem Vater, einer Art Wernher von Braun des Tri-Staates, der nach seinem Tod in drei Roboterkörpern weiterlebt. Er verabscheut die anderen Spitzenspitzel, sich selbst aber noch mehr. Er liebt erst die Roboterin Eva, die zu seinem Entsetzen eines Tages ausfällt und nicht mehr repariert werden kann, weil sie als „ein veraltetes Modell“ gilt.

Danach lebt seine Liebe zu einer der Anführerinnen der Kommunen wieder auf, die er eigentlich ausspionieren soll. Die Bedenken der Kommunarden gegen die vom Tri-Staat für alle Bürger geplante Zwangsimplantation eines Chips namens „Trixi 03“, der das schwerfällige „PersoBlaBla“ ersetzen soll, teilt Simon Loher. Aber auch die Euphorie darüber, dass es ein Raumschiff des Drei-Staaten-Reiches ist, das als erster Abgesandter der Menschheit triumphal auf dem Mars landet.

Ralph Hammerthaler, der in Wasserburg am Inn geboren wurde, unter anderem in Jena studiert hat und später Stadtschreiber in Dresden war, entwirft keine plumpe Zukunftsvision. Wie seine Hauptperson ist seine Extrapolation der Gegenwart voller Widersprüche. Aktuelle gesellschaftliche und technologische Entwicklungen werden in seiner Version von Aldous Huxleys Klassiker „Schöne neue Welt“ fortgeschrieben, aber auch variiert.

Party in der Zone Null

Hammerthalers „automatisches Reich“ ist zweifellos totalitär. Doch wer sich mit Kritik zurückhält und die Verhältnisse akzeptiert, kommt gut zurecht. Zum Partymachen geht es in die wilden „Null-Zonen“ der Städte, in denen die Aussortierten ein Leben unterhalb der Aufmerksamkeit der Staatsorgane führen. Unlösbare Konflikte innerhalb der Eliten werden, verbotenerweise, auf handfeste Art durch Blasterduelle gelöst. Die alternativen Kommunen finden ihr wirtschaftliches Auskommen in der heißer gewordenen Welt dadurch, dass sie mit ihren Wind- und Solaranlagen helfen, den gigantischen Energiebedarf der beängstigend gewöhnlichen Staatsmaschine zu befriedigen.

Alles könnte in Ewigkeit so weitergehen, wäre da nicht das urplötzliche Verlangen des Tri-Staates, mit den Kommunen den letzten gefährlichen Gegenentwurf zur Allmacht von Regierung, Geheimdiensten und Polizei zu beseitigen. Hammerthaler lässt Simon Loher plaudernd und humorvoll von seiner Reise auf die andere Seite der Macht erzählen. Zuerst hört der Spitzenspitzel auf, seine Berichte zu schreiben. Dann, nachdem seine Geliebte Yuna verhaftet und verschleppt worden ist, organisiert er eine Befreiungsmission, die seine bizarre Truppe aus Freiheitskämpfern zurück nach Halle führt. Der Showdown findet auf der Burg Giebichenstein statt, in düsteren Verliesen, die es dort nicht gibt.

Vielleicht auch nur noch nicht.

Ralph Hammerthaler, Das automatische Reich, Quintus-Verlag, 440 Seiten, 25 Eu