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70 Jahre Digedags Geliebt, gehasst, unsterblich: Die letzten Geheimnisse der Digedags

Vor 70 Jahren erfand der in Leipzig ausgebildete Zeichner Hannes Hegen die knollennasigen Digedags. Bis in die 70er Jahre erlebten Millionen Leser mit dem Trio unvergessliche Abenteuer.

Von Steffen Könau 17.05.2025, 09:00
Die drei Zeichentrickstars der DDR waren immer wieder Angriffen der Kulturüberwacher ausgesetzt.
Die drei Zeichentrickstars der DDR waren immer wieder Angriffen der Kulturüberwacher ausgesetzt. Foto: Mosaik/Hannes Hegen

Halle/MZ. - Seine Chancen stehen denkbar schlecht, das hatte sich der 29-jährige Hannes Hegen selbst ausrechnen können. In der DDR der 50er Jahre, kaum jemand weiß das besser als der gelernte technische Zeichner, der nach Kriegsende an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig studiert hatte. Hegen, als Sohn eines Glasgraveurs im Sudetenland geboren, arbeitet schon länger als Zeichner und Karikaturist für Zeitschriften wie „Das Magazin“ und den „Eulenspiegel“-Vorläufer „Frischer Wind“. Die Grenzen dessen, was in der DDR geht und was nicht, sind ihm geläufig.

Doch Hegen, bürgerlich eigentlich Johannes Hegenbarth, glaubt an die Überzeugungskraft der drei knollennasigen Gesellen, die er ein oder zwei Jahre zuvor erdacht und seitdem immer weiter ausgefeilt hat. Dig und Dag und der lang aufgeschossene Digedag sind Teil eines Pakets mit Skizzen, mit denen der Mann, der seine ersten Berufsjahre als Entwurfszeichner im Harz verbracht hat, beim Verlag „Neues Leben“ auftaucht. Der gehört zum Imperium des staatlichen Jugendverbandes Freie Deutsche Jugend. Und die ist im zweiten Jahr nach den Arbeiteraufständen vom 17. Juni 1953 auf der Suche nach populärem Stoff, der die Jugend der DDR auf unterhaltsame Weise für den Sozialismus begeistern könnte.

Hegen kommt gerade recht. Die Kinder der Revolution sollen keine westliche „Schund- und Schmutzliteratur“ lesen, wie es die staatlichen Kulturaufseher nennen. Sondern Bildergeschichten, die die Darstellungsform der bei Ranzenkontrollen in den DDR-Schulen regelmäßig beschlagnahmten Comics mit dem Erziehungsanspruch des sozialistischen Bildungswesens verbinden.

Auf Anhieb ein Hit am Kiosk

Für wie dringend nötig eine solche Zeitschrift von der DDR-Führung gehalten wird, zeigt die Eile, mit der das „Mosaik“ zu Welt kommt. Planwirtschaft hin, fehlende Redaktion und mangelnde Rohstoffe her − schon im Dezember 1955 liegt „Auf der Jagd nach dem Golde“ an den Kiosken des Arbeiter- und Bauernstaates. Die 100.000 Exemplare der Startauflage sind schneller weg als das „Sportecho“ und die Illustrierte NBI.

Daran ändert sich in den folgenden zwei Jahrzehnten nie etwas, obwohl die Auflage des „Mosaik“ bis auf 660.000 Hefte steigt. Wer eines der raren Abos ergattern kann, vererbt es. Alle anderen sind auf die Gnade von Kioskverkäuferinnen angewiesen, die die wenigen Exemplare für Stammkunden unter den Ladentisch legen.

Hannes Hegen ist ein Unikum in der volkseigenen DDR. Gemeinsam mit den Autoren Lothar Dräger und Wolfgang Altenburger, seiner Ehefrau Edith und einer Redaktion aus einem Dutzend Zeichnern etabliert Hegen sich als Unternehmer im Planstaat.

Die geheime Geschichte

In seinem Buch „Die geheime Geschichte der Digedags“ beschreibt der in Leipzig lebende Mosaikforscher Mark Lehmstedt, welch harte Kämpfe und taktische Pokerspiele die Herstellung des „Mosaik“ regelmäßig begleiteten. Anfangs alle drei Monate, später alle vier Wochen hatte Hegen ein neues Heft abzugeben. Problematisch aber wird das, wenn staatliche Stellen, die Partei oder die FDJ Versuche starten, direkten Einfluss auf Form und Inhalt zu nehmen.

Meist vergeblich, und das aus ganz prosaischen Gründen. Johannes Hegenbarth hat sich die Urheberrechte an den drei knollennasigen Helden gesichert. Ohne ihn kein „Mosaik“. Die FDJ aber hätte mit einer Einstellung hohe Einnahmen verloren.

Zudem zeigt sich der öffentlichkeitsscheue Vater der Digedags durchaus kompromissbereit, wenn es darum geht, sein Baby zu schützen. Matthias Friske, hauptberuflich Pfarrer in Salzwedel, erzählt in seiner „Geschichte des Mosaik von Hannes Hegen“, wie schon das Heft Nummer 7 mit dem Titel „Die große Explosion“ eine erste ernste Krise heraufbeschwor. Irgendwo hatten die Digedags nebenbei erwähnt, wie sich Schwarzpulver herstellen lässt. Kurze Zeit später verletzen sich drei Kinder im thüringischen Wasungen bei einer Explosion schwer. Angeblich, weil sie das Mosaik-Rezept hatten ausprobieren wollen.

Den nächsten Ärger gibt es Fricke zufolge mit der Nummer 18, die im Mai 1958 erscheint. Der als Oberaufseher für die Produktion neu ernannte Chefredakteur Ernst Dornhof erkennt in den adlerförmigen Fallschirmen, mit denen die Zeichner römische Legionäre auf der Titelseite vom Himmel schweben lassen, den Bundesadler der verhassten „westdeutschen Ultras“, wie die Bonner Republik in der DDR heißt. Hannes Hegen verweist vergeblich darauf, dass der Adler das Wappentier Roms gewesen sei. Die Fallschirme müssen ihre Köpfe hergeben, damit „Der Angriff aus der Luft“ erscheinen darf.

Die jungen Leser bekommen vom Gerangel hinter den Kulissen nichts mit. Doch die Tage von Tauwetter und vorsichtiger kultureller Öffnung sind vorbei. Nur weil meist schon fünf bis sechs Hefte in unterschiedlichen Produktionsphasen ihrer Fertigstellung entgegensehen, darf die beliebte Römerserie überhaupt noch ein wenig weiterlaufen.

Ein Angriff aus Halle

Intern hat Hegen dem Druck schon nachgegeben, sich künftig mit „mehr fortschrittlichen Themen“ zu beschäftigen. Das soll Hundertprozentige wie Marie-Luise Günther von der „Zentralstelle Kinder- und Jugendliteratur“ in Halle besänftigen. Unaufgefordert hatte die Leiterin der Kinderbuchabteilung der Bezirksbibliothek in der Chemiearbeiterstadt Halle dem Kulturministerium der DDR zuvor ihr vernichtendes Urteil über Hegens Schaffe mitgeteilt: Das „Mosaik“ sei „eine Verunglimpfung dessen, was wir mit der sozialistischen Erziehung erreichen wollen“. Der Geschmack der Kinder werde durch „greuliche Zeichnungen verbildet“ und das „Sprachgefühl verdorben“. Günther lässt keinen Zweifel daran, dass die Zentralstelle die Strategie, westlichen Comicschund mit einem eigenen Comic-Heft zu attackieren, für gescheitert hält: „Dreck ist nicht durch Dreck zu bekämpfen.“

Flucht ins Weltall

Die Digedags flüchten ins Weltall. 65 Hefte lang verschlägt es sie auf den Planeten Neos, auf dem die Republikanische Union und das Großneonische Reich um die Vorherrschaft kämpfen wie auf Erden die sozialistische Staatengemeinschaft und der westliche Imperialismus.

Ihren Bildungsauftrag erledigen die Macher, indem sie die Evolution erklären und die Digedags große Forscher besuchen lassen. Mosaik-Autor Lothar Dräger hat Matthias Friske später über die Umstände ins Bild gesetzt: „Wir waren damals nur um das Überleben der Zeitschrift bemüht, denn der Feinde gab es so viele.“

Zum Glück gelingt es der verschworenen Truppe, das „Mosaik“ vor dem Aus zu bewahren. Ab 1960 erscheint die beliebteste Comiczeitschrift der DDR im Verlag „Junge Welt“, und mit „Das Turnier zu Venedig“ beginnt im Mai 1964 schließlich die beste Zeit des Magazins. Die Digedags sind zuerst mit dem Kreuzritter Runkel unterwegs. Danach verschlägt es sie ins Amerika zwischen Goldrausch und Bürgerkrieg. Der Wilde Westen, für eine ganze Generation von DDR-Kindern fängt er gleich hinterm Bahnhofskiosk an – in Stendal, Magdeburg, Wolfen und Zeitz.