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Streit um DDR-Wandbild im Dessauer Ratssaal Es ist wieder da

Vier Maler gestalteten 1951 ein wandhohes Bild für den Dessauer Ratssaal. Der soll neu gestaltet werden. Steht die Frage: Was geschieht mit dem Fresko?

Von Christian Eger 03.04.2023, 14:47
Frohe Zukunft auf 75 Quadratmetern: „Aufbau der Stadt“ heißt das 1951 gemalte, seit 1952 vor allem verhüllte  Wandbild im Dessauer Ratssaal.
Frohe Zukunft auf 75 Quadratmetern: „Aufbau der Stadt“ heißt das 1951 gemalte, seit 1952 vor allem verhüllte Wandbild im Dessauer Ratssaal. (Foto: dpa)

DESSAU-ROSSLAU/MZ - „Die unbesiegliche Inschrift“, so heißt ein Gedicht von Bertolt Brecht. In diesem Gedicht rückt ein Maler an, um den störenden Schriftzug „Hoch Lenin!“ in einer Gefängniszelle zu entfernen: Buchstabe für Buchstabe. Mit dem Effekt, dass das, was verschwinden soll, immer aufs Neue kenntlich wird.

In Dessau-Roßlau erweist sich kein Schriftzug, sondern ein Wandbild als unbesieglich. Bereits ein Jahr nachdem das unter dem Motto „Aufbau der Stadt“ gefertigte Großfresko auf die Stirnwand des Ratssaales aufgetragen wurde, war es dem Stadtrat ein Ärgernis. Seit 1952 wurde das Bild verdeckt. Zuletzt mit einem goldfarbenen Stoff. Weil nun der Saal bis 2025 neu gestaltet werden soll, fiel vor zwei Wochen das Tuch. Und siehe: Es ist wieder da.

Seitdem ist kunstpolitischer Murmeltiertag in der Bauhaus-Stadt. Zwar ist gefühlt alle zehn Jahre alles gesagt worden über das 75 Quadratmeter große Bild, aber trotzdem fängt das Informationen und Gedanken sammeln wieder bei Null an. Immerhin nimmt nicht nur die Informationsdichte, sondern auch die parteipolitische Leidenschaft ab.

Vernagelt und zugehängt

Die Zeiten wechseln – und mit ihr die Menschen, die auf das Wandbild blicken. „Es polarisiert nicht mehr“, sagt Ralf Schönemann (Linke), Vorsitzender des Dessauer Kulturausschusses. Aber das Bild beschäftigt doch. Auch die Gesellschaft, in der die „Ostmoderne“ hoch im Kurs steht. Wenngleich das Bild mehr einer Ost-Vormoderne zuzurechnen wäre. Nicht mehr: Kann das weg?, ist die Frage, sagt Schönemann. Sondern: Zeigen oder nicht? Denn dass das Bild, das Denkmalwert besitzt, bleiben soll, dazu hat sich 2022 der Hauptausschuss bekannt. Bleiben, aber wie?

Auch wenn das Fresko mehr ein Bild- als ein Kunstwerk ist, ist es doch ein Zeitzeugnis. Das Kontroverse ist der steifen Szenerie, die im Vordergrund einen Jung-Pionier zeigt, eingepreist. Keine Herrschaft war glücklich damit, nicht vor, nicht nach 1989.

Vier Künstler malten 1951 im Kollektiv: Erich Schmidt-Uphoff, Paul Schwerdtner, Karl Radack und Carl Marx, letzterer ein Bauhaus-Schüler und später ein wirklich genialer Maler. 8.000 Mark betrug das Honorar. Die Stadt verlangte flatternde Fahnen, geballte Fäuste. Die Maler stellten sich quer. Die DDR war noch jung, ihr Heilsversprechen auch. Nach harter Debatte akzeptierte die Stadt.

Dessau, die zu 86 Prozent zerstörte Stadt, war neu aufzubauen. Die Künstler malten 16 Menschen aus allen Teilen der Bevölkerung. Marx malte die sechs Personen links, Schmidt-Uphoff die fünf in der Mitte, Schwerdtner füllte den rechten Rand. Radack gestaltete das Gipsmodell der neuen Stadt im Vordergrund. Das ist interessant: Die kriegszerstörte Schlosskirche zeigt eine neue Renaissance-Haube, der Gründerzeitturm des Rathauses hingegen wurde gekappt.

Fußballgroße Löcher

Schon 1952 war die Zeit der Kompromisse vorbei. Das Bild galt als zu wenig klassenkämpferisch. Rotes Tuch wurde vorgespannt, Pappembleme wurden brutal aufgenagelt. Ende der 1970er Jahre wurde das Bild mit Sperrholz verdeckt. Als das Holz 1986 abgenommen wurde, zeigte das Bild fußballgroße Löcher. Die Stadt entschied sich für die Restaurierung. 1991 geschah die nächste Wende. Der Stadtrat beschloss: Das Bild ist zu verhängen.

Runder Tisch in Dessau 1990: Von 1986 an war das Fresko zu sehen. 1991 beschloss die Stadt, das Wandbild zu verhängen.
Runder Tisch in Dessau 1990: Von 1986 an war das Fresko zu sehen. 1991 beschloss die Stadt, das Wandbild zu verhängen.
(Foto: Helbig/Stadtarchiv Dessau-Rosslau)

Und heute? Die Stadtgesellschaft ringt um eine Haltung. Neu zu klären ist: Was zeigt, was sagt das Bild? Ein Anruf in Berlin bei Andreas Butter, promovierter Kunst- und Bauhistoriker und ein tiefer Kenner der Dessauer Architekturgeschichte, Sohn des Dessauer Malers Benno Butter.

Herr Butter, es ist wieder da! Sofort ist der am Leibniz Institut angestellte Wissenschaftler im Bilde. Erst einmal grundsätzlich: Es sei ja so, sagt der 1963 geborene Historiker, dass sich in allen bildlichen Gestaltungen der Geist einer Zeit ausdrücke – ästhetisch, politisch, auch ideologisch. Übrigens auch in der abstrakten Malerei. Dann wird er konkret: „Dieses Bild ist ein Zeitdokument. Wir haben Abstand dazu. Wir sind nicht dieselben Adressaten wie 1951. Das heißt, wir können es neu einordnen.“ Aber wie? Für Butter ist das Bild ein „wertvolles“ Zeugnis einer Zeit, in der sich Dessau nach dem Kriegsende als Stadt „neu erfunden“ hat. Eine Zeit, in der baulich die Zukunft gestaltet werden sollte, „so schrecklich auch der Stalinismus war“.

Das Bild, sagt Andreas Butter, biete eine „dialektische Erfahrung“. Erstens: „Man sieht, was gezeigt werden soll, die Arbeiter. Man sieht aber auch, was nicht gezeigt werden soll, die Macht der SED. Das, wogegen die Arbeiter zwei Jahre später auf die Straße gehen werden.“ Auch das mache das Bild interessant, das er ein „Artefakt“ nennt.

Schiebetüren aus Glas

Zweitens: „Zu sehen sind die arbeitenden Menschen in dieser Zeit, jene, die Dessau wieder aufgebaut haben.“ Dabei habe man durchaus Wert auf Qualität gelegt. Einiges Historisches, das als Ruine noch vorhanden war, hob man für den Wiederaufbau auf. Der Kurswechsel erfolgte Anfang der 1960er Jahre. Die Stadt riss ab: unter anderem 1963 das Palais Reina, erster Sitz der Anhaltischen Gemäldegalerie. Man solle, sagt Butter, mit „kritischer Distanz“ auf dieses Bild schauen – und gegenüber der Aufbau-Generation, die die Trümmer beseitigte, „mit Dankbarkeit“.

Die Stadt hat ein kunst- und bauhistorisches Gutachten bestellt. Muss man darauf gespannt sein? Die einzige Frage, die steht, ist diese: Zeigen oder nicht?

Wie es aussieht: beides. So wie man in alten Vitrinenschränken Scheiben hin- und herschieben konnte, soll man künftig im Ratssaal von links und rechts her das Bild verblenden oder zeigen können – mit wandhohen Glasscheiben, die in transparenten Porträts Dessauer Persönlichkeiten zeigen. Das sei eine pragmatische Lösung, sagt Ralf Schönemann, die von allen akzeptiert werde. „Ich bin ja einer, der den Ball flach hält.“

KOMMENTAR

Freier Blick auf Dessauer Geschichte

CHRISTIAN EGER lehnt das Verdecken des DDR-Wandbildes im Rathaus ab.

Seit 1951 vier Künstler unter dem Motto „Aufbau der Stadt“ das wandfüllende Fresko für den Dessauer Ratssaal fertiggestellt hatten, war dieses ein politisches Ärgernis. Der SED war zu wenig SED drin. Den Wende-Politikern gefiel die ganze Sache nicht. Vernagelt und verhängt wurde das Bild vor und nach 1989.

Im Zuge des Umbaus des Ratssaales steht die Frage neu: Zeigen oder nicht? Zeigen, was denn sonst!, muss die Antwort lauten.

Auch wenn das Bild keine Schönheit ist, vergegenwärtigt es ein kontroverses Stück Stadt- und Deutschlandgeschichte. Ein Bild, das den Saal aufwertet, indem es ihn sehenswert macht. Freilich muss man Interesse zeigen. Und etwas soziale Empathie für die Generationen, die 1945 einen Neuanfang versuchten.

Geschichte ist eine Funktion der Gegenwart, sie wird immer vom Heute aus verstanden – und geschrieben. Durchstreichen sollte man sie nicht. Auch nicht verblenden. Vitaler wirkte der Ratssaal stets mit und nicht ohne Bild. Und wahrscheinlich auch ohne Vorschiebetüren aus Glas.

Andere Städte würden hier etwas wagen. Eine Ausstellung etwa, die die Geschichte des Bildes diskutiert. Und die seiner Künstler, zu denen mit Carl Marx ein namhafter Bauhaus-Schüler gehörte. Was für ein Pfund, wenn man damit zu wuchern wüsste. Kultur

Den Autor erreichen Sie unter:[email protected]