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„Titus“ in Bernburg Eine Händel-Oper, die es eigentlich gar nicht gibt

Beziehungs-Stress am Kaiserhof: Die Händelfestspiele präsentieren im Theater Bernburg mit „Titus l’Empéreur“ eine Händeloper, die es eigentlich gar nicht gibt.

Von Joachim Lange 04.06.2024, 15:55
Wer bekommt Berenice? Elenor Bowers-Jolley (Berenice), Francis Gush (Titus) und Ciara Hendrick (Antioco, von links)
Wer bekommt Berenice? Elenor Bowers-Jolley (Berenice), Francis Gush (Titus) und Ciara Hendrick (Antioco, von links) (Foto: Knötzsch)

Bernburg/MZ. - Bei Festspielen gehört es auf die Agenda, Bekanntes zu hinterfragen, Vergessenes wiederzuentdecken, Entlegenes aufzuspüren und auch mal zu experimentieren. Etwa eine Konfrontation der vorhandenen Musik mit neu komponierter, aber auch die Komplettierung von nur in Ansätzen Überliefertem zu riskieren. Im pragmatischen Umgang mit solchen kompositorischen Bruchstücken und deren kreativer Neukombination war Händel auf der Höhe seiner Zeit. Er war ein wahrer Meister des Pasticcio.

So ist auch die Idee von Clemens Birnbaum nachvollziehbar, aus dem überlieferten Fragment für eine „Titus“-Oper, sozusagen mit ungefragter, aber sicher nicht verweigerter Hilfe des Meisters, ein mögliches Ganzes zu rekonstruieren.

Wer bekommt die Königin?

Es gibt nur drei Szenen eines ersten Aktes, die Händel dann, pragmatisch wie er war, für seinen „Ezio“ verwertet hat. Für den jetzt präsentierten „Titus“ haben Patrick Boyde und Gerd Amelung die Textauswahl und -dramaturgie besorgt, der Opera-Settecento-Leiter (und Dirigent der Aufführung) Leo Duarte die Musikdramaturgie. Pierre-Antoine Renioult hat die Rezitative neu komponiert. Gesungen wird in der italienischen Übersetzung von Piero Boitani. Ein ambitioniertes Experiment mit Teilnehmern aus verschiedenen Epochen. Der in diesem Sinne mit einem direkten Rückgriff auf Jean Racines Tragödie Bérénice „fertiggestellte“ Titus umfasst eine Ouvertüre und 27 Nummern.

Deren szenische Aufführung im Carl-Maria-von-Weber-Theater Bernburg hat es jetzt auf knappe drei Bruttostunden gebracht. Dabei kommen die Protagonisten 21 Mal solistisch zu Wort, der Rest sind Duette, zwei Ensemble- und zwei instrumentale Nummern. Bei den originalen Händel-Arien wurden vor allem solche aufgespürt und verwendet, die Händel selbst beiseite gelegt oder nur vorgesehen, aber nicht in seine Opern eingefügt hatte. Damit wird ein gewisser Neuigkeitseffekt auch in der Wiederverwertung garantiert, wie Leo Duarte im Programmheft im Einzelnen erläutert.

Im Zentrum steht ein entschlussschwacher römischer Kaiser Titus. Seine Geliebte Berenice (Elenor Bower-Jolley) ist zwar Königin (von Palästina), wird ihm aber vom Senat verweigert, weil sie Ausländerin ist. Sie wird ihrerseits vom König von Cammagene, Antioco, (mit überzeugender Präsenz: Clara Hendrick) begehrt, der so zum Rivalen von Titus wird. Mit Paulino (Nicholas Scott), Dalinda (Gabriella Liandu) und Arsete (Tom Lilburn) ist jedem eine Vertrauensperson an die Seite komponiert. Fabian Tindale Geere komplettiert als Oldauro das Ensemble.

Am Ende: Gift für alle

Die Pointe nach einem sich hinziehenden Hin und Her zwischen Pflicht und Neigung, das den ganzen Staat lähmt und Potenzial hat, den Zuhörer zu nerven, ergreift das Personal der zweiten Reihe die Initiative, serviert am Ende jedem einen Becher mit Gift und verdeckt das Triumphirat von Zauderern mit Tüchern, als wären es alte Möbelstücke.

Regisseurin Klara Kofen hat sich dafür als ihre eigene Ausstatterin einen passenden szenischen Rahmen geschaffen. Auf einem Podest sind drei Sessel für die beziehungsgestressten Protagonisten – in der Mitte der Kaiser, links Berenice und rechts Antioco. Wenn sie nicht dran sind, machen sie dort einfach ein szenisches Schläfchen. Das weiße Gewand des Kaiser kommt einem Nachthemd nah, Berenice hatte offenbar nicht die richtigen Informationen über das Wetter in Rom und ist mit ihrem Steppmantel unvorteilhaft aber für jedes Schlechtwetter gekleidet. Bei Antiocos Aufzug war ein hübsches Quantum Phantasie im Spiel. Den Hintergrund liefern drei Videowände – mit brennendem Hochhaus und nächtlichem Wald samt rotierendem Himmelsglobus. Die Vertrauten haben alle einen schlichten Look mit Ketten-Accsessoires.

Abgesehen davon, dass das zeitübliche lieto fine – das glückliche Ende – immer unwahrscheinlicher wird und ja auch tatsächlich ausbleibt, überzeugen vor allem die Musiker von Opera Settecento, die pointiert und mit Verve musizieren. Dem als Titus eingesprungenen Francis Gush kommt eine gewisse Bühnenpraxis zu gute, um seine gut sitzende Counterstimme zu präsentieren. Es gehört auch zu einem Festival, jungen Talenten – in diesem Fall den Finalisten der Handel Singing Competition London – eine Chance zu geben, Bühnenerfahrungen zu sammeln und daran zu wachsen. Genau das war in Bernburg der Fall und wurde vom Publikum angemessen gewürdigt. Das Festspiel-Programm: www.haendelhaus.de