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Sebastian Knauer verabschiedet sich in Dessau als „Artist in Residence“ Ein leises Servus

Zum Abschluss des Kurt-Weill-Festes präsentiert der Pianist Sebastian Knauer sein „Songbook“ in der Dessauer Marienkirche.

Von Roland H. Dippel 15.03.2023, 10:15
Pianist Sebastian Knauer spielt in der Marienkirche: griffig und sirenenhaft, kantig und verwegen.
Pianist Sebastian Knauer spielt in der Marienkirche: griffig und sirenenhaft, kantig und verwegen. (Foto: Thomas Ruttke)

DESSAU-ROSSLAU/MZ - Er sagt zum Abschied leise „Servus“ und, dass er für eine weitere Begegnung mit dem Kurt-Weill-Fest und Dessau bereit wäre. Das stattliche Plakat am Anhaltischen Theater lasse er abnehmen und werde es daheim in Hamburg aufhängen, ergänzt der Artist in Residence des Kurt-Weill-Festes 2023 seine Schlussworte. Denn noch nie gab es von ihm, der unter anderem für seine Mozart- und Beethoven-Interpretationen berühmt wurde, ein so großes Konterfei.

Wenige Momente vorher hatte Sebastian Knauer (51) in der Dessauer Marienkirche noch genial „rhapsodiert“. George Gershwins „Rhapsody in Blue“ spielt er schon lange auf seinem Instrument, dem Konzertflügel. Musikalisches Protzen ist seine Sache auch bei diesem Bravour-Stück indes nicht. In diesem gipfelt Knauers einziger Solo-Abend beim Kurt-Weill-Fest, das am Sonntag zu Ende gegangen ist.

Mit Weill und Gershwin

Vorausgegangen waren seit Ende Februar Knauer-Programme mit Klaus Maria Brandauer, die Podiumskonfrontation „Revolverheld trifft Tastenlöwe“ mit Johannes Strate und das Eröffnungskonzert von vier hochkarätigen Pianisten – neben Knauer Martin Tingvall, Joja Wendt und Axel Zwingenberger.

Knauers allerletzter Beitrag zu seinem Weill-Finale ist ein schon sphärisch anmutendes „Summertime“ aus Gershwins „Porgy und Bess“ und darauf „Die Ballade von Mackie Messer“ als verklingendes Gespinst. Neben den vertraut-rotzig-trotzigen Weill-Gangarten sind das fürwahr kontrastierende Signaturen – passend zum Motto des diesjährigen Festivals: „Im Zeichen des Umbruchs“.

Man hatte die Qual der Wahl am Freitagabend: Ilja Richter präsentierte auf dem Theaterschiff MS Goldberg seine „Lieblingslieder“ und die Europäische Filmphilharmonie lud mit der Anhaltischen Philharmonie zum Stummfilm-Abend mit Fritz Langs „Metropolis“. Wer sich stattdessen für Sebastian Knauer in der Marienkirche entschied, wählte ein eher filigranes Ereignis.

„Brothers on Broadway“ hatte Knauer sein „Songbook“ untertitelt. Nur die „Four Piano Blues“ des – wie Weill – im Jahr 1900 geborenen Aaron Copland gerieten in die sonst so gerecht wie möglich auf Weill und George Gershwin verteilte Musikfolge. Dazu wurden die Säulen der Marienkirche in violettes Licht getaucht. Diese Farbe und Knauers sinnlich-zärtliche Weill-Annäherungen holten ganz neue Aspekte aus dem Werk des in Dessau geborenen Komponisten der legendären „Dreigroschenoper“.

Wie aus feinster Seide

Dabei hatte sich Weill nie besonders für das Klavier als Soloinstrument interessiert. Dessen einziges Klavier-Solostück „Intermezzo“ setzte Knauer gleich an den Beginn. Zum Zeitpunkt von dessen Entstehung war Weill gerade 17 Jahre alt. Da blitzen Erinnerungsmomente an Klavierwerke der Großen des 19. Jahrhunderts auf, die damals ganz frisch auf das Klassiker-Podest gehoben wurden. Und man hört aus Weills „Intermezzo“ schon Ansätze von Flirts mit der Unterhaltungsmusik heraus, obwohl die erste große Jazz-Welle erst einige Jahre nach der Komposition und dem Ende des Ersten Weltkriegs über Deutschland rollte.

Knauer ließ eine Reihe von Arrangements aus Schlagern und Gesangsszenen von Weill und Gershwin folgen. Da zeigte er seine Fähigkeit, den Steinway-Flügel singen zu lassen. Beider Melodien erhalten von Knauer immer wieder andere klangliche Umhüllungen: oft wie aus feinster Seide und Glanzfolie gemacht, generell nicht aus Pergament oder Schmirgelpapier.

Plötzlich ganz still

Bei Knauer klingt Weill nie rau, gefährlich oder ordinär. Ganz im Gegenteil: Das geht noch hinaus über Salonmusik und raffinierte Operettenfarben, übt sich in zärtlichen Lockrufen und wird zur musikalischen Schmuck-Boutique. Ganz still wird es bei Knauers Veredelungsmethoden. Es unterbleibt sogar das am Beginn der großen Weill-Hits international übliche Erkennungsraunen aus dem Publikum.

Die Tastenpranken zeigt Knauer später – nach der Demonstration seiner Sensibilität eine Weill-Verehrung der ungewöhnlichen Art. Das ist immer auch eine Haltungs- und Geschmacksfrage. Wer trifft die „Rhapsody in Blue“ stimmiger – der kernige Louis Armstrong oder die samtweichen Berliner Philharmoniker unter Herbert von Karajan?

Knauer setzt beim einleitenden Motivruf entschieden rein und klar an. Er schärft die Kontraste zwischen Hoch und Tief, Nah- und Fernrufen, griffigen Akkordfolgen und sirenenartigen Echos. In der zweiten „Rhapsody“-Hälfte wird Knauer kantiger und verwegener. Dann endet er mit einer lustvoll lauten Steigerung. Auch das kann Knauer und setzt mit seinen Zugaben doch lieber Zeichen des stillen Verklingens und Bewunderns. Solche querdenkenden Stilistiken machen das Weill-Fest reich.

Nicht nur Knauer ist glücklich darüber, dass es nach der Pandemie endlich wieder Konzertkontakte zwischen Künstlern und Publikum gibt. Auch für dieses Statement gab es Jubel.