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Expressionismus-Schau in H alle Das ferne Vorbild

Halles Kunstmuseum Moritzburg zeigt expressionistische und nicht-europäische Kunst ausder Sammlung Horn – und auch Objekte mit kolonialer Herkunft aus dem eigenen Bestand.

Von Kai Agthe 18.03.2024, 11:56
Max Pechstein: „Zwiesprache“ (Ausschnitt, Farbholzschnitt, 1920)
Max Pechstein: „Zwiesprache“ (Ausschnitt, Farbholzschnitt, 1920) (Foto: Stiftung Rolf Horn)

Halle/MZ. - Bevor man sich über die Hintergründe der neuen Ausstellung im Kunstmuseum Moritzburg informiert, sollte man zuerst einmal staunen angesichts der Fülle an Meisterwerken, die mit der Sammlung Horn in Halle zu sehen sind. Die Kollektion von Rolf (1912-1995) und Bettina Horn (Jahrgang 1939), die heute in Schloss Gottorf in Schleswig-Holstein ihre Heimstatt hat, umfasst rund 450 Werke des deutschen Expressionismus und Objekte nicht-europäischer Herkunft. Eine Auswahl von 116 expressionistischen Gemälden, Zeichnungen, Grafiken und Plastiken sowie von neun Werken aus Afrika und Ozeanien kann jetzt in der Moritzburg betrachtet, ja bestaunt werden.

Die Möglichkeit, diese exquisite Sammlung in Sachsen-Anhalt zu präsentieren, nahm das hallesche Kunstmuseum zum Anlass, auch die eigenen Bestände in den Blick zu nehmen, die kolonialen Ursprungs sind. Und so werden mit der Sammlung Riebeck und der Sammlung Hellwig zwei – heute so nicht mehr existierende – hallesche Kollektionen rekonstruiert, die in einer Zeit zusammengetragen wurden, als Deutschland Länder und Regionen in Afrika und Ozeanien kolonisierte.

Ästhetik vorformuliert

Den deutschen Expressionismus und den deutschen Kolonialismus zusammenzudenken, folgt der Erkenntnis, dass die nicht-europäische Kunst, die bis in das späte 20. Jahrhundert wenig wertschätzend als primitive Kunst bezeichnet wurde, vorbildhaft für das Schaffen jener Expressionisten war, deren Werke auch den Kern der Kollektion Horn bilden: Ludwig Kirchner und Otto Mueller etwa, aber auch Erich Heckel und Christian Rohlfs waren fasziniert von der Kunst ferner Völker, die im Zuge kolonialer Eroberungen auch in deutsche Museen fand. Emil Nolde und Max Pechstein hatten sogar Gelegenheit, in als exotisch geltende Weltgegenden zu reisen: Nolde hielt sich im heutigen Papua-Neuguinea auf und Pechstein im Inselreich Palau.

In der nicht-europäischen Kunst sahen die Expressionisten ihre eigene Ästhetik vorformuliert: „Die Form- und Farbvereinfachung der nicht-europäischen Kunst war vorbildhaft für sie“, so Anke Dornbach, die die Ausstellung gemeinsam mit Ulf Dräger und Thomas Bauer-Friedrich kuratierte. In der Sammlung Horn manifestiert sich das etwa in der Aquarell-Serie „Südsee-Insulaner“ (1914) von Emil Nolde und im Grafikzyklus „Reisebilder Südsee“ (1913-1919) von Max Pechstein.

Emil Nolde: „Südsee-Insulaner“
Emil Nolde: „Südsee-Insulaner“
(Foto: Stiftung Rolf Horn/Landesmuseen Schleswig-Holstein)

Beide Serien müssten sich indes den Vorwurf gefallen lassen, dass Menschen hier „klischeehaft und stereotyp“ dargestellt werden und, wie im Fall Pechsteins, Ozeanien als ein Paradies präsentiert werde, das es auch durch die europäische Kolonialisierung nicht mehr war, so Kuratorin Dornbach. Ein Umstand, der etwa Nolde bewusst gewesen sei, ohne dass er ihn in seiner Kunst thematisierte.

Die Zahl der Gebrauchs-, Kunst- und spirituell genutzten Objekte, die einst aus den deutschen Kolonien ins Kaiserreich fanden, lässt sich kaum beziffern. Gewiss ist indes, dass die Moritzburg einstmals 697 Stücke aus jener Sammlung nicht-europäischer Kunst besaß, die der Hallenser Emil Riebeck (1853-1885) in ganz Asien zusammentrug. Der war der Sohn des Industriellen Carl Adolph Riebeck und ein „exzessiver Sammler“, so Kurator Ulf Dräger. Von den 40 in der Moritzburg verbliebenen Stücken seiner Kollektion – von der sich die Stadt Halle 1921 mittels Versteigerung wieder trennte – werden einige erlesene Stücke aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gezeigt: so etwa ein prachtvolles Sommergewand, wie man es am Hof des chinesischen Kaisers trug, und ein reich verzierter japanischer Hochzeitskimono.

Das Beispiel Hellwig

Auch ein eher unscheinbarer Ballen chinesischer Seide gehört zur Riebeck-Sammlung. Der ist interessant, da an diesem ein Zettel befestigt ist, der zeigt, bei welchem Händler Riebeck einst den edlen Stoff erwarb. Dank seiner finanziellen Möglichkeiten konnte Emil Riebeck kaufen, was ihm gefiel.

Solches Geschäftsgebaren besaß der ebenfalls aus Halle stammende Kaufmann Franz Emil Hellwig (1854-1929) nicht. Wie die Kuratoren berichten, bezahlte Hellwig die Schöpfer von Kunst- und Kunsthandwerksobjekten in Ozeanien nicht selten in Naturalien: Für einen Teppich etwa gab er ein paar Perlen und zwei Kämme. Auf diese Weise trug Hellwig, der als Plantagenbetreiber tätig war, mehr als 1.700 Objekte zusammen. Die wurden 1899 von der Stadt Halle erworben, mussten aber von der Moritzburg 1953 im Zuge der „Museumsprofilierung“ in der DDR etwa nach Leipzig und Dresden abgegeben werden. Über den Verbleib von 1.300 Werken liegen indes keine Informationen vor.

Auch dieser Fall zeigt, dass die Geschichte von Expressionismus, Museum und Kolonialismus noch lange nicht auserzählt ist – aber in der Ausstellung, die am Sonntag für das Publikum öffnet, für Halles Moritzburg vorbildlich und spannend aufbereitet wird.

„Expressionismus, Museum, Kolonialismus: Die Sammlung Horn in Halle“: Die Ausstellung öffnet an diesem Sonntag im Kunstmuseum Moritzburg Halle, Friedemann-Bach-Platz 5, und ist bis zum 23. Juni, Do-Di 10-18 Uhr, zu sehen. Der Katalog kostet im Museum 29,95 Euro.