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Kontrolleur bei Streetspotr Kontrolleur bei Streetspotr: Die Smartphone-Armee

Von Jessica Quick 04.07.2015, 14:49
Handy-Kontrolleur Michael Neundorf erfüllt für einen Auftrag von Streetspotr den ersten Punkt: Mache bitte ein Foto der Filiale von außen.
Handy-Kontrolleur Michael Neundorf erfüllt für einen Auftrag von Streetspotr den ersten Punkt: Mache bitte ein Foto der Filiale von außen. Andreas Stedtler Lizenz

Halle (Saale) - Magdeburg, Hasselbachplatz, 12.10 Uhr. Gerade einmal zwei Minuten braucht der routinierte Straßendetektiv aus Magdeburg für seinen Job: „Zweitplatzierungen von Feinkostsoßen und Ketchup im Edeka überprüfen“, so der Auftrag. Ein schneller Klick aufs Handy, Außenaufnahme vom Edeka, Aufsteller gesucht, nichts gefunden, Foto vom Ketchup-Regal, fertig - und upload. Michael Neundorf lässt sein Handy wieder in der Hosentasche verschwinden. „Das war einfach“, sagt er, der diesen „Mistery-Spot“ mal schnell in der Mittagspause erledigt hat. Verdienst: ein Euro.

„Mistery-Spot“ - so werden bei der Plattform „Streetspotr“ (deutsch: Straßendetektiv) die Mikro-Aufträge genannt, bei denen der Smartphone-Kontrolleur inkognito unterwegs ist. „Für den Fall, dass Mitarbeiter Fragen stellen, sollte man immer eine Ausrede parat haben wie ,Ich wollte für einen Freund nur das Angebot fotografieren’“, erklärt Neundorf.

Seit einem Jahr ist der 30-Jährige dabei. Ein Power-User, der beste derzeit in Sachsen-Anhalt: 45.000 Streetpoints, Platz 20 der Rangliste. Und das will was heißen. Immerhin gibt es mehr als 300.000 Streetspotr europaweit, in Sachsen-Anhalt sind es mehr als 9.500, 1.000 in Magdeburg, 950 in Halle. Ein kaum überschaubares Heer von Handy-Aufpassern, das im Auftrag von Firmen wie Red Bull oder Cinemaxx deren Präsentation an den einzelnen Standorten prüft. Rechtlich ist das einwandfrei, denn in den betreffenden Verträgen gibt es eine Klausel, nach der die Platzierung von Produkten kontrolliert werden darf. „Trotzdem weisen wir unsere Nutzer an, sich an das Hausrecht der Filialen zu halten“, erklärt Streetspotr-Mitbegründerin Dorothea Utzt.

Marktforschung per Crowdsourcing, ein Erfolgsmodell? Immerhin: 400 Millionen Euro geben Konsumgüterhersteller laut einer Studie in Deutschland für Werbung in den Geschäften aus. Die Umsetzung der Investition will überprüft werden. „Aus dem Bereich Konsumgüterherstellung und Handel kommen 90 Prozent unserer Kunden“, sagt Utzt. „Was vielleicht ein Grund dafür sein könnte, dass sich unter der Liste der Top-100-Unternehmen in Sachsen-Anhalt kein einziger Kunde von Streetspotr findet.“

Dennoch: Aufträge für die User gibt es auch in Sachsen-Anhalt genügend. Mehr als 40 sind es derzeit in Magdeburg, ähnlich viel gibt es in Halle zu erledigen. Dazu 75 Jobs, die ortsungebunden sind: ein Vogelhaus aus Eisstielen basteln oder die eigenen Füße auf dem Sofa einer bestimmten Marke fotografieren. „Solche Aufgaben sind natürlich nichts für die Mittagspause“, sagt Neundorf, der hauptberuflich als Drucker im Landtag arbeitet - gleich um die Ecke vom Allee-Center, wo sich Filialen von Rewe, Media-Markt oder DM befinden. „Hier gibt es eigentlich immer etwas Kleines zu erledigen“, erklärt der Streetspotr.

Am liebsten aber seien ihm die „Stufenspots“, bei denen man für wheelmap.org die Barrierefreiheit der gesuchten Orte testet und fotografiert. Mulmig ob der Kontrolle fremder Arbeit ist Neundorf schon lange nicht mehr. Im Gegenteil: Ganz routiniert und ohne Herzklopfen erledigt er seine Jobs. Nur einmal hätte er einen Auftrag beinahe abgebrochen: „Für einen dieser Stufenspots musste ich in Leipzig den Eingang zu einem Stripclub fotografieren. Während ich das tat, kamen zwei muskelbepackte Türsteher heraus und fragten mich grimmig, was ich da mache. Ich bekam es natürlich mit der Angst zu tun und versuchte, mich zu erklären.

Aber anscheinend fanden sie meine Arbeit sinnvoll, denn danach sagten sie ganz freundlich, dass sie bisher jeden Rollstuhlfahrer in das Etablissement gehoben hätten.“ Und auch in Magdeburg standen bei einem Stufenspot vor der Kneipe etliche gefährlich aussehende Typen. Ein Foto zu machen, war Neundorf dann doch zu heikel. „Also bin ich mit meinem Rad einfach weiter gefahren.“

Im Durchschnitt sind es fünf Euro, die man bei einem Streetspotr-Auftrag verdient. „Kürzlich gab es sogar mal 40 Euro“, sagt Managerin Dorothea Utzt. „Dabei ging es um das Feedback zum Service und der Qualität der Produkte einer Fastfoodkette.“ Aber nicht das Taschengeld sei für die meisten Spotr ausschlaggebend, sondern der Spaßfaktor. Sogenannte „Street-points“ (Erfahrungspunkte) und „Badges“ (Auszeichnungen), die es nach einer bestimmten Anzahl ehrenamtlicher Jobs gibt, machen den Reiz der App aus, erklärt auch Neundorf. „Männer sind ja Jäger und Sammler“, lacht der Magdeburger, der schon 34 von 44 erreichbaren Medaillen ergattern konnte.

Diesen Spieltrieb auszunutzen, ist für die Firma Streetspotr der Dreh- und Angelpunkt. Um die Anreize richtig zu setzen, arbeitet Managerin Utzt derzeit mit Wissenschaftlern der Universität Nürnberg-Erlangen zusammen. Wichtig sei aber schon jetzt: Der Auftrag sollte nicht länger als zehn Minuten dauern, das heißt maximal zehn Fragen beinhalten, und es sollte regelmäßig - wie aus sozialistischen Zeiten bekannt - Ehrenabzeichen für gute Leistungen geben: etwa den „Social Hero“ für 20 erledigte Spots, den „Globe Trotter“ für fünf Spots in fünf verschiedenen Städten oder das Veteranen-Abzeichen für hundert absolvierte Aufträge . . .

Neundorf indes hat die App noch viel mehr gebracht: „Über die Spots habe ich Magdeburg und die nähere Umgebung erst richtig kennen gelernt“, sagt der gebürtige Leipziger. Denn auch Sehenswürdigkeiten zu fotografieren gehört zum Aufgaben-Repertoire. Eine Radtour ins Grüne oder einen Ausflug mit seinem Oldtimer Porsche 356 Speedster (Nachbau), verbindet der junge Handy-Aufpasser gern mit der virtuellen Schnitzeljagd. „Meine Partnerin findet es super und begleitet mich oft beim Spotn. Ich lade sie dann mit dem verdienten Geld zum Essen ein.“ (mz)

Mit einer App wird die Detektiv-Arbeit unterstützt.
Mit einer App wird die Detektiv-Arbeit unterstützt.
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