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Kommunen Kommunen: Die Schilderdiebe von Sachsen-Anhalt

Von Torsten Landsberg 27.07.2007, 10:53
Ein Tempo-50-Schild steht an einer Straße in Lochau bei Halle (Saale) vor dem leeren Rahmen eines Ortseingangsschildes. Ortsschilder helfen bei der Orientierung. Auch ihr emotionaler Wert ist nicht zu unterschätzen. (Foto: ddp)
Ein Tempo-50-Schild steht an einer Straße in Lochau bei Halle (Saale) vor dem leeren Rahmen eines Ortseingangsschildes. Ortsschilder helfen bei der Orientierung. Auch ihr emotionaler Wert ist nicht zu unterschätzen. (Foto: ddp) ddp

Magdeburg/ddp. - Esmarkiert ihre Heimat, oft auch ihre Herkunft. Veränderungen werdenungern akzeptiert und wenn doch eine naht, kann ein Erinnerungsstückdie Umgewöhnung erleichtern. Bei einigen Sachsen-Anhaltern geht derLokalpatriotismus so weit, dass sie die Ortsschilder ihrer altenLandkreise erbeuten. Tradition verpflichtet.

Alles begann am 6. Oktober 2005 mit einem Beschluss des Landtags.Eine Kreisgebietsreform sollte die Zahl der Landkreise von 21 auf 11reduzieren. Fusionen bedürfen neuer Namen - keine gute Basis fürTraditionen. Erst recht in Sachsen-Anhalt, wo es seit 1948 bereitsdrei Kreisreformen gegeben hat. Zuletzt waren 1994 die 37 Landkreisezu 21 zusammengeschlossen worden. Das nahende Inkrafttreten derneuesten Reform, der 1. Juli 2007, rief nun Schilderdiebe auf denPlan. Die alten Schilder wurden vielerorts kurzerhand undeigenmächtig abgeschraubt.

Das Objekt der Begierde ist die genormte Ortstafel des Typs«Zeichen 310 der StVO: Ortseingang». Die gelben Schilder führen unterdem Ortsnamen auch den jeweiligen Landkreis auf. «Es zeichnet sichab, dass sich einige Bürger die Schilder vereinnahmen», sagt JochenDietsch, Leiter der Verwaltungsgemeinschaft Raguhn, zu der sechsGemeinden und zwei Städte zählen. Sein ehemaliger LandkreisBitterfeld gehört nun zu Anhalt-Bitterfeld. Knapp ein Viertel derSchilder in seiner Zuständigkeit sind «Verluste», wie es Dietschnennt.

Weitaus drastischer fällt die Sammelwut im neuen Landkreis Harzaus. Dort wurden bislang knapp 50 Prozent aller Schilder geklaut, imehemaligen Landkreis Wernigerode gar 60 von 88. «Bei einemhistorischen Wert steigt die Sammelleidenschaft», sagt PeterMennicke, Sprecher im Verkehrsministerium. Auch bei der Gebietsreform1994 seien Schilder abhanden gekommen.

Die außergewöhnlichen Memorabilien sind heiß begehrt. Die erstenSchilder seien schon zu Jahresbeginn abhanden gekommen. «Vielleichthaben einige befürchtet, dass später keine Schilder mehr da sind»,mutmaßt ein Polizeisprecher. Der Schilderklau löst derweil eineeigenwillige Kettenreaktion aus: Selbst in Kreisen, die nichtfusionieren, greift die Begierde um sich. Im Landkreis Stendal wurdenvier Schilder gestohlen.

Sobald alle Landkreise endgültig über ihre Namensgebung befundenhaben, haben die alten Schilder, sachlich betrachtet, ausgedient.Vereinzelt sind sie für regionale Museen und Stadtverwaltungenvorgesehen. Der Rest wird gelagert. «Wir hätten die Schilder sowiesoausgetauscht», sagt der Mitarbeiter eines Bauamts im südlichenSachsen-Anhalt. Die freche Selbstbedienung sei also nicht dramatisch.Im Gegenteil, sie habe sogar Arbeit gespart.

Trotz des ohnehin notwendigen Austauschs handelt es sich umSammlerobjekte der nicht ganz legalen Art. Neben dem Straftatbestanddes Diebstahls wird in vielen Fällen auch wegen Sachbeschädigungermittelt. Lassen sich Schilder nicht einfach abschrauben, greifendie Schildräuber oft zu härteren Mitteln: Abgesägte oder verbogenePfähle sind das Ergebnis. Aussicht auf Erfolg haben die Ermittlungenhingegen kaum, sie alle laufen gegen Unbekannt.

Jens Küchler, Leiter der Straßenmeisterei aus Köthen, vermutethinter der Dieberei niedere Beweggründe: «Die erhoffen sich einenWiederverkaufswert davon.» Küchler trägt es mit Fassung. Er ist denSchilderklau gewohnt, «bei lustigen Namen». Er verweist auf den OrtKneipe im benachbarten Saalekreis. Dessen Schilder würden regelmäßiggeklaut - auch ganz ohne Reformen.