1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Kohleausstieg: Kohleausstieg: Strukturwandel steht still - wie es nun weitergeht

Kohleausstieg Kohleausstieg: Strukturwandel steht still - wie es nun weitergeht

Von Steffen Höhne 28.12.2019, 09:00
Arvid Friebe sitzt in seinem Büro  vor einer großen Karte des Chemie- und Industrieparks Zeitz, der auf Investitionen hofft.
Arvid Friebe sitzt in seinem Büro  vor einer großen Karte des Chemie- und Industrieparks Zeitz, der auf Investitionen hofft. René Weimer

Zeitz - Auf dem Schreibtisch von Arvid Friebe stapeln sich Akten. Auf einem kleinen Konferenztisch hat er eine Karte des Mitteldeutschen Kohlereviers und des Chemieparks Zeitz ausgerollt. Mit dem Stift fährt er über das Papier. „Hier könnte eine Straße durch den jetzigen Tagebau gebaut werden, dort eine Ansiedlung im Industriepark vorgenommen werden“, sagt Friebe. Im Hauptberuf führt er die Infrastruktur-Gesellschaft des Chemieparks Zeitz.

Der 49-Jährige ist aber auch der Beauftragte des Kernreviers Burgenlandkreis, der in der Region den Kohleausstieg koordinieren soll. Ein Jahr Arbeit liegt nun hinter ihm. „Es war anstrengend“, sagt er.

Das Ergebnis bezeichnet er als „durchwachsen“. Denn die ersten Millionen aus dem sogenannten „Sofort-Programm“ zum Strukturwandel fließen im Burgenlandkreis nicht ins Kernrevier. Mit den Mitteln wird der Naumburger Dom saniert und eine Ortsumfahrung für Bad Kösen gebaut. „Verrückt“, nennt Friebe es, dass das Weltkulturerbe und eine Umgehungsstraße zuerst Geld aus dem Kohletopf erhalten. Doch schiebt er nach: „Das waren fertig geplante Projekte, die die Gemeinden im Kernrevier nicht in der Schublade hatten.“

Christian Growitsch hat im vergangenen Jahr an den Verhandlungen zum Kohleausstieg teilgenommen. „Als Sherpa“, wie er sagt. Sherpas nennt man eigentlich Lastträger bei Expeditionen im Himalaya.

Growitsch war der „Zuarbeiter“ für seinen damaligen Chef Ralf B. Wehrspohn vom Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen in Halle. Die letzte Sitzung der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ am 26. Januar 2019 dauerte 21 Stunden, die Einigung zwischen Bund, Ländern, Energieindustrie und Umweltverbänden wurde als historisch bezeichnet.

„Der wichtigste Punkt am Ende war natürlich das Ausstiegsdatum“, blickt Growitsch zurück. Man einigte sich auf 2038. Lediglich mündlich verständigte man sich, dass zuerst die alten Kraftwerke in Westdeutschland abgeschaltet werden und erst nach 2030 die Anlagen in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt.

Nach einem Jahr sieht der Fraunhofer-Wissenschaftler Growitsch es positiv, dass „alle Verhandlungsteilnehmer zum Kompromiss stehen“. Doch der ausgehandelte Fahrplan sei gefährdet.

„Das Thema Versorgungssicherheit bekommt in der aktuellen Diskussion und auch im Gesetzentwurf nicht den notwendigen Raum“, bemängelt Growitsch. Unklar sei auch, was passiere, wenn die Ziele im Strukturwandel und bei der Versorgungssicherheit nicht erreicht würden.

Ein Jahr nach dem Kohle-Kompromiss ist das Kohleausstiegsgesetz noch nicht im Bundeskabinett verabschiedet. „Damit wird auch unsere Arbeit ein Stück weit blockiert“, sagt Friebe. Im Burgenlandkreis soll ein Projektbüro eingerichtet werden, das die Vorhaben ausarbeitet und bei der Umsetzung hilft. „Wir bekommen dafür aber erst Fördermittel, wenn das Gesetz verabschiedet ist“, berichtet Friebe.

„Unsere Kommunen haben keine großen Verwaltungen wie Halle oder Leipzig, die Infrastrukturprojekte allein stemmen können.“ Die Wünsche aus dem Kernrevier klingen eher bescheiden: Die Stadt Zeitz soll ans S-Bahn-Netz nach Leipzig angeschlossen und die Bundesstraße 2 verlegt werden, um Ortsdurchfahrten zu vermeiden. Eine neue Straße soll Profen mit Hohenmölsen verbinden, drei kleinere Industrieparks erweitert werden.

„Wir konzipieren hier keine Luftschlösser“, sagt Friebe. In Kleinstädten wie Lützen und Hohenmölsen gebe es dennoch die Befürchtung, am Ende kaum berücksichtigt zu werden, obwohl die Bürger dort unmittelbar betroffen seien.

Zwei Großprojekte hat sich Sachsen-Anhalt in diesem Jahr bereits gesichert. In Bad Lauchstädt und Leuna (beide Saalekreis) sollen neue Energiespeicher im industriellen Maßstab erprobt werden. Der Leipziger Gaskonzern VNG will in Bad Lauchstädt den von zehn Windrädern erzeugten Strom zunächst in Wasserstoff umwandeln, welcher anschließend in 1 000 Meter tiefen Kavernen gespeichert wird. Bisher wird in den unterirdischen Hohlräumen Erdgas gelagert.

Auch in Leuna wollen die Industrie-Konzerne Linde und Siemens durch die weltgrößte Elektrolyse-Anlage grünen Wasserstoff erzeugen. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sagte zuletzt: „Wasserstoff als Energieträger wird mit dem Ausstieg aus der Kohleverstromung immer wichtiger.“

Das Fraunhofer-Institut in Halle unterstützt die Wasserstoff-Projekte fachlich. Nach Ansicht von Vize-Institutsleiter Growitsch wird der in Deutschland erzeugte Ökostrom jedoch die entstehenden Versorgungslücken nicht füllen können. „Deutschland hat einen End-Energiebedarf von 2 500 Terrawattstunden im Jahr, aktuell decken wir 430 Terrawattstunden durch Erneuerbare Energien“, so Growitsch.

Die Bundesrepublik sei schon immer ein Energieimporteur gewesen, das werde sich auch nach dem Abschied von Kohle, Gas und Öl nicht ändern. Growitsch nennt zwei Wege: „Wir benötigen Importe Erneuerbarer Energie aus sonne- und windreichen Ländern: aus Südeuropa und als ,grünen Wasserstoff’ aus Afrika und Australien.“ Nationen wie China oder Japan und Korea hätten das erkannt und würden weltweit ihre Reviere abstecken.

In Deutschland wird noch darüber gestritten, wann welches Kraftwerk vom Netz geht. Sachsen-Anhalt steht dabei im Mittelpunkt und droht sogar, den Kohle-Kompromiss aufzukündigen. Das Problem: Der Energieversorger Uniper möchte noch das neu gebaute Steinkohle-Kraftwerk Datteln in Nordrhein-Westfalen ans Netz bringen, dafür soll das Braunkohle-Kraftwerk Schkopau (Saalekreis) bereits 2026/27 weichen.

Haseloff läuft gegen die Pläne Sturm. Erst Strukturwandel, dann Kohleausstieg, das sei fest verabredet gewesen, so Haseloff, der auch von „Wortbruch“ spricht. Gegen den Willen der ostdeutschen Länder wird es für Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) schwer, das Ausstiegsgesetz durchzubringen.

Einerseits. Andererseits sind Grüne und Umweltverbände durch die Auswirkungen des Klimawandels und die Bewegung „Fridays for Future“ so erstarkt, dass womöglich alle Kohlekraftwerke früher vom Netz gehen - falls das technisch geht.

Im Kohlerevier verfolgt man die Diskussion mit Sorge. „Für uns wäre es eine Katastrophe, wenn die Vereinbarungen kippen“, sagt Friebe. „Der Zeitplan bis 2038 ist ohnehin straff.“ Noch entscheidender für den Manager ist, dass die Bevölkerung im Revier in der Mehrheit hinter dem Projekt stehen muss.

„Bei der letzten Kommunalwahl sind die AfD und auch die NPD in viele Gemeinderäte gewählt worden“, berichtet Friebe. „Wenn jetzt die Verabredungen gebrochen werden, verlieren die Parteien der Mitte noch mehr Vertrauen.“ (mz)

Blick in den Tagebau bei Profen vom Aussichtspunkt.
Blick in den Tagebau bei Profen vom Aussichtspunkt.
Hartmut Krimmer