Kinderbetreuung in Randzeiten Kinderbetreuung in Randzeiten : Hallesche Kita macht es vor

Halle (Saale) - Bei den „Raben“ gibt es an diesem Montag Eintopf mit Würstchen. Zwei Erzieherinnen der Gruppe kümmern sich kurz nach 11 Uhr um die 16 Mädchen und Jungen. Einige möchten einen Nachschlag, andere löffeln gleich die Schale mit dem Nachtisch aus. „Haben wir heute Kinder, die mittags abgeholt werden“, fragt eine der Erzieherinnen in die Runde. Heute nicht. Also zieht sie die Matratzen aus dem Regal und bereitet alles für die Mittagszeit vor. Denn ab 12 Uhr sollen die Kinder ruhen.
Betreuung in Randzeiten
Alles hat den Anschein, dass es sich bei der Kita Medikids um eine ganz gewöhnliche Einrichtung handelt, wie es sie tausendfach in Deutschland gibt. Doch der erste Eindruck täuscht. Die Betreuungseinrichtung, die seit 2006 besteht, ist eine der ganz wenigen, die auch eine Betreuung in den sogenannten Randzeiten anbietet, also ganz früh am Morgen und am Abend. Und damit entspricht die Kita, in der Kinder von Ärzten, Pflegekräften und weiteren Mitarbeitern der Uniklinik Halle betreut werden, genau dem Modell, das Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) ab 2016 drei Jahre mit je 100 Millionen Euro fördern will.
„Für Menschen, die im Schichtdienst arbeiten - im Krankenhaus, oder in der Pflege, als Polizisten oder im Einzelhandel - ist es wichtig, dass es auch in sogenannten Randzeiten eine Möglichkeit gibt, die Kinder gut betreut zu wissen“, erklärte die Ministerin am vergangenen Wochenende ihre Vorstellungen. Und denen kommen die Medikids bereits heute recht nahe.
75 Kinder in vier Gruppen
Geöffnet hat die Kindertagesstätte von 5.30 Uhr bis um 20.30 Uhr. „Gleich morgens früh sind 15 bis 20 Kinder da, die zunächst in zwei Gruppen betreut werden“, erzählt Trägervertreterin Susanne Rost. Beim Frühstück um 7.30 Uhr werden die 75 Kinder in vier Gruppen aufgeteilt. Doch bereits vorher gibt es Obst und Getränke, es bleibt also kein Frühaufsteher hungrig oder durstig. Ein Großteil der Kinder wird um 15 Uhr abgeholt - und das aus einem ganz einfachen praktischen Grund.
„Um 14.30 Uhr ist im Uniklinikum die Frühschicht in der Pflege und in vielen medizinischen Einrichtungen vorbei“, sagt Susanne Rost. Das sei eines der Hauptmotive für die Gründung der Kita gewesen. „Viele Mitarbeiter in der Klinik konnten Schichtdienste nicht oder nur schwer wahrnehmen.“ Eine Umfrage habe damals großen Bedarf für ein solches Angebot ergeben. Doch geht es auch um zeitliche Flexibilität, etwa bei Notfällen. „Das OP-Personal kann ja nicht einfach vom Tisch abtreten.“
Mutter in Halle, Vater in Leipzig
Das betrifft auch Julia Bolz, Chirurgin in der Klinik. Sie ist froh, für ihre 18 Monate alte Tochter Greta und ihren fünf Jahre alten Sohn Anton Plätze bekommen zu haben. Jeden Monat hat sie mindestens sechs 24-Stunden-Dienste. Hinzu kommen Operationen, deren Dauer nicht genau planbar ist. „Ich kann ja nicht das Skalpell fallen lassen.“ Die längere Betreuungszeit kommt ihr daher entgegen, zumal ihr Partner und Vater der Kinder als Wirtschaftsinformatiker in Leipzig arbeitet. „Das Betreuungsangebot ist für mich bei meiner Arbeit daher sehr beruhigend.“
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Für die Einrichtung bedeutet das aber mehr Aufwand. Neun Erzieherinnen, zwei pädagogische Hilfskräfte und eine Servicekraft arbeiten in zwei Schichten. Auch wenn sich die Kita im Laufe des Nachmittages etwas leert, bleibt der Anspruch hoch. „Wir bieten all unsere Bildungsangebote den ganzen Tag über an“, bekräftigt Susanne Rost. Also auch am Abend, wenn meist nur noch eine Handvoll Kinder da ist. Doch das hat seinen Preis, und das in doppelter Hinsicht.
Ohne Zuschuss der Uniklinik undenkbar
„Der Betreuungsschlüssel hat als Bezugsgröße die Zahl der Kinder und nicht die tatsächlichen Betreuungszeiten“, erklärt die 50-Jährige. Bei den Medikids bleiben aber einige Kinder bis zu zwölf Stunden, der Anspruch auf einen Ganztagesplatz umfasst jedoch nur bis zu zehn Stunden. Das heißt, die längeren Öffnungszeiten und die dafür erforderlichen Erzieherinnen wären ohne Zuschuss der Uniklinik nicht denkbar. Doch auch mit der reinen Arbeitszeit ist es nicht getan. Vor- und Nachbereitungen sowie das Englisch-Angebot, mit dem die Kinder spielerisch an die Sprache herangeführt werden, leisten die Erzieherinnen oft zu Hause. „All die Betreuungsangebote fallen ja nicht vom Himmel“, betont Rost.
Wunsch und Wirklichkeit
Die Vorstellung einer 24-Stunden-Kita sieht sie daher mit gemischten Gefühlen. Zunächst sollte aus ihrer Sicht die Abendbetreuung vernünftig ausgebaut werden. Das bedeutet vor allem, sie muss finanziert werden. „Zu oft klaffen Wunsch und Wirklichkeit in der politischen Debatte noch auseinander.“ Bedarf für einen Ausdehnung der Betreuungszeiten sieht Rost dennoch. Einige Mitarbeiter würden dann möglicherweise von zwei auf drei Schichten umsteigen. „Das ist ja für manch einen auch eine finanzielle Frage.“ Hinzu kommen die Erfordernisse der Uniklinik. „Irgendwer muss da ja nachts arbeiten.“ Letztlich, betont Rost, gehe es aber um eine Entscheidung der Eltern.
In Schwerin gibt es bereits zwei Kitas, die rund um die Uhr geöffnet haben. Sie sind gedacht für die Familien von Schichtarbeitern und bieten Platz für 133 Babys, Klein- und Vorschulkinder. Eine dritte Einrichtung wird derzeit geplant.
Von den Plänen einer 24-Stunden-Betreuung abgerückt ist das Lokale Bündnis für Familien im Saalekreis. In einer Kita in Milzau soll es aber künftig eine Betreuung über 18 Uhr hinaus geben. Das erforderliche Geld sollen unter anderem Firmen bereitstellen, die im Gegenzug feste Plätze bekommen.
Dieses Modell wird auch in Dessau-Roßlau verfolgt. Dort sollen die Betreuungszeiten in der Kita Rasselbande ausgedehnt werden. Ein Unternehmen hat bereits seine Unterstützung zugesichert. Das Projekt sieht aber auch frei verfügbare Plätze vor.
Chirurgin Bolz hat die schon getroffen. 24 Stunden sollen Greta und Anton nicht ohne Mama und Papa bleiben. „Das möchte ich den Kindern nicht zumuten.“ Schließlich blieben die Eltern die wichtigsten Bezugspersonen. Über die zusätzliche Flexibilität, die sie durch die Kita hat, ist sie dennoch froh.
Und sind die Medikids nun eine Vorzeigeeinrichtung? Rost zögert. Dann sagt sie: „Ja, wir sind wohl eine Vorzeigeeinrichtung, sollten es aber heutzutage eigentlich nicht mehr sein.“ (mz)