Karte aus 16. Jahrhundert Karte aus 16. Jahrhundert: Mitarbeiter der Universität finden Kostbarkeit
Halle (Saale) - Am Anfang steht der Zufall: Martin Scheuplein sichtet zusammen mit Mitarbeitern alte Landkarten, um sie teilweise neu zu sortieren. Und dies ganz vorsichtig. Denn die Darstellungen aus der Zeit zwischen dem 16. Jahrhundert und der Mitte des 19. Jahrhunderts müssen sorgsam behandelt werden.
Es sind kleine Kostbarkeiten - insgesamt über 11.000 Blätter und Karten. Darunter befinden sich auch Zeichnungen aus der Bergbauregion im Mansfelder Land und historische Stadtpläne.
Und plötzlich stößt Scheuplein - er leitet die Kartensammlung der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt (ULB) - zufällig auf etwas, das ihn sofort elektrisiert. Es ist eine Darstellung des Heiligen Landes.
Zu sehen sind verschiedene Szenen und Orte aus der Bibel, illustriert mit vielen Bildern und beschrieben nicht etwa in Latein oder Deutsch, sondern in historischem Niederländisch. „Als ich das Kartenfragment sah, bin ich sofort neugierig geworden. Ich habe mich gefragt: ,Was ist das?’“, so Scheuplein. Sein Gefühl, auf einen einmaligen, weit über Halle hinaus bedeutsamen Fund gestoßen zu sein, sollte sich einige Zeit später bewahrheiten.
Hilfe aus Amsterdam
Die Neugierde ist bei Scheuplein jedenfalls geweckt. „Wir konnten das Fragment aber nicht zuordnen und wollten mehr über seinen Ursprung erfahren“, sagt der Geograf. Seine Recherche führt über die Staatsbibliothek in Berlin schließlich zu einem Experten für historische Karten in Amsterdam. Und dort ist das Erstaunen über das A3-Blatt große Kartenstück riesig. Handelt es sich doch um den Ausschnitt eines insgesamt zwölfteiligen Werks, das der niederländische Künstler Hermann van Borculo wahrscheinlich um das Jahr 1540 schuf.
Vor den zwölf Blättern, die zur „Karte des Heiligen Landes“ gehören, waren bis zu der Entdeckung in Halle nur zwei bekannt: Ein Fragment befindet sich im Besitz der British Library in London, ein anderes ist in privater Hand. Und jetzt also auch in Halle. „Das Kartenfragment ist eine richtige Kostbarkeit. Es ist eine der ältesten Darstellungen, die wir in unserem Bestand haben“, sagt Scheuplein.
Herman van Borculo war kein Geograf, sein Interesse galt den fiktiven Karten. Als gefragter Künstler lieferte er zahlreiche Vorlagen für Bücher und Landkarten. Er bediente damals etwas, was man heute wohl am ehesten mit dem Begriff Zeitgeist umschreiben kann. „Die Gläubigen kannten die Bibel gut und sind ins Heilige Land gepilgert, sofern sie sich das leisten konnten“, beschreibt die Abteilungsleiterin für historische Sammlungen in der ULB, Marita von Cieminski, das Leben damals.
Mit van Borculos Karten konnten sich die Pilger im Heiligen Land - das für die Gläubigen von Kappadokien im Südosten der heutigen Türkei bis nach Palästina reichte - nicht wirklich zurechtfinden. So stimmte die Entfernung zwischen den Orten nicht einmal annähernd. „Als Wegweiser kann man die Karte sicher nicht benutzen“, ist sich Scheuplein sicher. Aber als, wenn man so will, leicht zu nutzende Handreichung für den wissbegierigen Reisenden.
So wie Urlauber heute mit schick gestalteten Broschüren über die Vorzüge des Harzes, des Thüringer Waldes oder der Sächsischen Schweiz informiert werden, dienten damals die Karten des Niederländers als Ratgeber für die Pilger. Werden heute Fotos oder Grafiken als visuelle Hilfsmittel eingesetzt, waren es in van Borculos Karten unter anderem die Darstellungen von Menschen, Gebäuden oder Schiffen - ergänzt mit viel schriftlichen Informationen.
Auf der Karte werden, so fasst es Scheuplein zusammen, „wichtige Szenen und Orte der Bibel illustriert“. So erkennt der Betrachter ein Bild, in dem Jesus einen Taubstummen heilt oder den Sohn einer Witwe vom Tod aufweckt. An anderer Stelle wird die Legende des Heiligen Georgs nachgestellt, der einen Drachen tötet. Auf der Karte eingezeichnet ist auch die Region Kappadokien mit der „sehr mächtigen Stadt“ Asor, wie der Leser damals erfuhr. Die Karte weist zudem eine Besonderheit auf - aus heutiger Sicht. Sie ist nicht nach Norden ausgerichtet, „sondern nach Osten - zum Heiligen Land“, so Scheuplein.
Werbung in eigener Sache
Herman van Borculo verstand es vor rund 480 Jahren durchaus, die Werbetrommel für sein Werk zu rühren. Es werde, so teilte er dem „geliebten Leser“ in einem Vorwort mit, nun eine verbesserte Karte des Heiligen Landes gezeigt, „mit der Stadt Jerusalem und den vorzüglichsten Geschichten oder Geschehnissen des Alten und Neuen Testaments“. Und das alles diene „zur Aufklärung vieler einfacher Menschen“.
Die Universitätsbibliothek in Halle besitzt nun den südöstlichen Zipfel des Heiligen Landes - in Form eines Kartenfragments. Wie groß die Chancen sind, dass die noch fehlenden Teile des Puzzles gefunden werden, lässt sich nicht abschätzen. „Es war damals üblich, dass solche Karten hergestellt wurden. Sie hatten eine Auflage von maximal 200 Stück“, sagt ULB-Mitarbeiterin Marita von Cieminski. „Wir hoffen, dass weitere Teile der Karte auftauchen und irgendwann gemeinsam ausgestellt werden können“, gibt sich Geograf Scheuplein optimistisch.
Vielleicht hilft der Zufall dabei ja noch einmal. (mz)
