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Justiz  Justiz : Sühne ohne Gericht

Von Hendrik Kranert-Rydzy 08.04.2013, 21:48
Justitia ist die Personifikation der Gerechtigkeit. In der Neuzeit steht Justitia für strafende Gerechtigkeit oder das Rechtswesen.
Justitia ist die Personifikation der Gerechtigkeit. In der Neuzeit steht Justitia für strafende Gerechtigkeit oder das Rechtswesen. DPA/SYMBOL Lizenz

Magdeburg/MZ - Es gibt wenig, wo Sachsen-Anhalt bundesweit Spitze ist - die außergerichtliche Einigung in Strafverfahren, der Täter-Opfer-Ausgleich, gehört dazu: Sechs Prozent aller Strafverfahren werden nach Angaben des Landesverbandes der Straffälligen- und Bewährungshilfe auf diese Weise gelöst. Bundesweit sind es zwei Prozent.

Beim Täter-Opfer-Ausgleich treffen sich bei klarer Rechtslage die beteiligten Parteien außerhalb des Gerichtssaales vor einem neutralen Schlichter. Neben Staatsanwaltschaften und Gerichten können auch Opfer oder Täter einen Antrag stellen. Minimalkonsens des Verfahrens ist, dass der Täter Einsicht in sein Tun zeigt und sich zumindest beim Opfer entschuldigt. Das Verfahren ist außerordentlich erfolgreich - in fast 80 Prozent der Fälle des vergangenen Jahres kam es zu einer für beide Seiten akzeptablen Übereinkunft.

„Sozialpädagogische Spielwiese?“

Grund zur Zufriedenheit besteht nach Angaben der Projektleiterin des Täter-Opfer-Ausgleich in Sachsen-Anhalt, Delia Göttke, jedoch nicht. „Es gab in den Jahren 2009, 2010 und 2011 einen erheblichen Rückgang an Fällen, der uns einige Sorgen bereitete“, sagt Göttke der MZ. Die Zahl von durchschnittlich 1 300 Fällen pro Jahr, die seit der Jahrtausendwende stabil war, sank um gut ein Viertel und drohte 2010 erstmals seit langem wieder unter die 1 000er Marke zu rutschen. Erst 2012, so Göttke, habe sich die Situation wieder leicht verbessert: „Doch trotz der positiven Tendenz - der Täter-Opfer-Ausgleich ist immer noch viel zu wenig bekannt.“

Dabei besteht das Projekt in Sachsen-Anhalt inzwischen zwei Jahrzehnte. Göttke beklagt jedoch, dass die Methode sowohl von Staatsanwaltschaften als auch von Opferverbänden noch immer nicht ernst genommen und als „sozialpädagogische Spielwiese“ betrachtet werde. Etliche Staatsanwälte seien der Meinung, der Täter-Opfer-Ausgleich habe nicht die gleiche Wirkung wie ein Strafverfahren. Zudem habe es in 20 Jahren keinen einzigen Fall gegeben, in denen ein Opferverband einen Antrag gestellt habe. „Diese sind der Meinung, dass man dem Opfer nicht gerecht wird, wenn der Täter in die Aufarbeitung eines Falls einbezogen wird“, bedauert Göttke.

Reumütig zum ersten Gespräch

Zu Unrecht, wie sie meint. In keinem Bereich der Justiz folge die Sühne dem Vergehen so unmittelbar: „Wir sind so schnell wie kein anderes Verfahren.“ Die Bearbeitung eines Falls sei oft innerhalb eines Quartals beendet - ein Zeitraum, in dem in vielen vergleichbaren Strafverfahren nicht einmal Anklage erhoben worden sei. Doch nicht nur die vergleichsweise rasche Bearbeitung zeichne den Täter-Opfer-Ausgleich aus: Anders als vor Gericht sei ein direkter Austausch von Opfer und Täter möglich. Beide sitzen sich gegenüber. „Das ist für den Täter von ungeheurer Dramatik und erschüttert viele in ihren Grundfesten“, sagt Göttke. Eine solche Erfahrung sei oft sehr nachhaltig, viele würden bereits reumütig zum ersten Gespräch mit dem Opfer kommen. Dieses wiederum kann dem Täter direkte Forderungen stellen - das beginnt bei Arbeitsleistungen und geht bis zur Zahlung eines Schmerzensgeldes. Vor Gericht passiert dies nicht - hier muss das Opfer Schmerzensgeld erst in einem Zivilverfahren geltend machen.