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Justiz Justiz: Richter im Dauerstress

Von SILVIA ZÖLLER 22.11.2011, 20:09

Halle (Saale)/MZ. - Nach wie vor platzen die Sozialgerichte in Sachsen-Anhalt aus allen Nähten: Rund 34 000 Akten aus den Vorjahren warten auf die Bearbeitung - neben mehr als 22 000 neu eingehenden Fällen pro Jahr. Obwohl in den vergangenen Jahren neue Richter eingestellt und Kollegen aus anderen Gerichten abgeordnet wurden, ist keine Besserung in Sicht: "Es wird Jahre dauern, bis alle Fälle abgearbeitet sind", hebt Carsten Schäfer, Pressesprecher des Landessozialgerichts in Halle, die Hände.

Mehr Fälle als üblich

Während es in jedem anderen Job normal ist, dass es auch einmal entspannte Arbeitsphasen gibt, können die Sozialrichter in Halle, Dessau, und Magdeburg nur davon träumen: Sie bearbeiten im Schnitt 523 Fälle im Jahr. Üblich sind rund 350. Ob das Justizministerium mit Neueinstellungen mehr Entlastung bringen kann, beantwortet Justizministerin Angela Kolb (SPD) weder mit Ja noch mit Nein: "Wir werden ausgehend von der Entwicklung auch weiterhin neu einstellen." Allerdings sei dies nur in den Grenzen des "engen Einstellungskorridors der Landesregierung" möglich. Wie viele neue Richter ab wann die Kollegen unterstützen, stehe zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht fest.

2006 waren 62 Richter an den Sozialgerichten des Landes tätig - aktuell sind es 99 nach Angaben des Justizministeriums. Zusätzlich werden ab Januar 2012 fünf Staatsanwälte die Arbeit der Sozialrichter verstärken.

Nach wie vor sind es die Probleme rund um Hartz IV, die fast 70 Prozent aller Verfahren an den Sozialgerichten ausmachen. Probleme wie das einer 43-Jährigen aus Weißenfels, die nach einer Kürzung der Sozialleistungen klagte: Denn dass auch sie weniger Geld erhalten sollte, weil ihr Sohn während der Ausbildung vom Arbeitsamt eine Berufsausbildungsbeihilfe von rund 200 Euro im Monat bekam, das wollte die Frau nicht hinnehmen. Doch die Richter entschieden anders: Der Sohn sei nicht mehr bedürftig, weil er neben Unterhaltszahlungen eben diese Beihilfe erhalte - deswegen sei es richtig, das Kindergeld auf das Einkommen der Mutter anzurechnen und ihre Sozialleistungen deswegen zu kürzen.

"Dauerbrenner sind auch Klagen zu Kosten für die Wohnung oder die Heizung oder wegen Rückforderungen; ebenso die Frage, ob die Kläger nun in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft zusammenleben oder nicht", zählt Schäfer auf. Und die meisten dieser Klagen sind erfolgreich: Während 52 Prozent aller Hartz-IV-Fälle ganz oder teilweise für den Betroffenen entschieden werden, sind es nur 40 Prozent bei allen anderen Verfahren. Dazu gehören Rechtsstreitigkeiten um Rentenversicherungsfragen, Unfallversicherungen oder zum Behindertenrecht.

Nebeneffekt des riesigen Altaktenbestandes aus den Vorjahren: Dauerte 2007 ein Verfahren im Schnitt 12,8 Monate, so sind es heute 15,4 Monate. Wer in Berufung gegen ein Urteil geht, muss einen noch längeren Atem haben. Derzeit verhandelt das Landessozialgericht, das ebenfalls in Halle sitzt, vor allem Fälle aus dem Jahr 2006.

Räumliche Enge

Aber auch räumlich stößt das größte Sozialgericht des Landes in Halle, das im Justizzentrum untergebracht ist, in der Zwischenzeit an seine Grenzen. Die fünf Staatsanwälte zur Unterstützung, so teilt das Justizministerium mit, werden nun im Erdgeschoss untergebracht - drei Etagen entfernt von den anderen Sozialrichtern, mit denen gerade in der ersten Zeit eine enge Zusammenarbeit nötig sein wird. "Die Einarbeitungsphase wird ein halbes bis ein Jahr betragen", erläutert Carsten Schäfer. Doch auch mit den fünf neuen Kollegen ist die Sozialjustiz im Lande seiner Meinung nach noch nicht auf dem nötigen Stand - mindestens zehn Richter und auch Kräfte in der Verwaltung fehlten.

Zwar hält das Magdeburger Justizministerium die Personaldecke rein zahlenmäßig für ausreichend - allerdings stünden nicht alle Richter und Richterinnen jederzeit zur Verfügung: Mutterschutz, Elternzeit oder Teilzeit seien die Gründe dafür. "Darum sind auch weiter Einstellungen geplant, denn auch in Zukunft wird es Richterinnen und Richter geben, die für eine gewisse Zeit für die Familie aus dem Beruf aussteigen", erklärt Ute Albersmann, Pressesprecherin des Justizministeriums.

Außerdem würden derzeit 65 Rechtspfleger ausgebildet, die ab dem kommenden Jahr in den Justizdienst übernommen werden sollen, wenn sie die Prüfungen erfolgreich absolvieren.