Justiz Justiz: Panne des Star-Ermittlers
Magdeburg/MZ. - Aus der an Prominenten armen deutschen Justiz ragt Peter Vogt heraus. Der hallesche Oberstaatsanwalt hat so hartnäckig wie erfolgreich jahrelang Kinderschänder gejagt. Sein größter Erfolg: Die Operation "Marcy". Ausgehend von einem Magdeburger Pädophilen ermittelte Vogt mit seinem Team fast 27 000 Verdächtige in 166 Ländern. Peter Vogt, Vater zweier Töchter und 1957 im Sauerland geboren, hat einige solcher Justiz-Meilensteine gesetzt. Doch beim Graubrot seines Arbeitsalltags ist nun eine Panne passiert: Obwohl die Ermittlungen gegen den mutmaßlichen Pädophilen Kurt B. aus Magdeburg abgeschlossen waren, hat Vogt ihn nicht angeklagt. Er hat den Fall liegen lassen, fast 14 Monate lang. Und B. soll in dieser Zeit erneut Kinder missbraucht haben.
Eigenen Enkel missbraucht
Das Landes-Justizministerium hat den Vorgang vom Generalstaatsanwalt in Naumburg prüfen lassen. Demnach hat die Justiz im Juli 2009 B.s Wohnung durchsucht und unter anderem seinen Computer wegen des Verdachts auf Kinderpornographie beschlagnahmt. In der Wohnung war auch B.s damals zehnjähriger Enkel - wie sich später herausstellte, war er von seinem Opa missbraucht worden. Der damals 60-jährige Rentner sollte nach seiner Vernehmung - bei der er geständig war - dem Haftrichter vorgeführt werden, damit dieser über eine Untersuchungshaft entscheiden kann. "Die Staatsanwaltschaft hat den Haftantrag aufgehoben, weil ein Facharzt für Gerichtsmedizin festgestellt hat, dass der Beschuldigte haftunfähig war", sagte die Sprecherin des Justizministeriums, Ute Albersmann.
B. hatte kurz zuvor einen Bypass bekommen. Albersmann verteidigte die Entscheidung, auf die Haft zu verzichten. Es hätten keine Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr bestanden. "Einer etwaigen Wiederholungsgefahr wurde begegnet, indem der Enkel dem Zugriff des Beschuldigten entzogen wurde." Der Junge wurde bei anderen Verwandten untergebracht. Die Auswertung der Beweise dauerte acht Monate, bis April 2010. Im Juli waren die Ermittlungen laut Albersmann abgeschlossen. Dann geschieht 14 Monate lang - nichts. "Es kam zu erheblichen Verzögerungen in der Sachbearbeitung. Dafür können wir uns nur entschuldigen", so Albersmann. Für die Arbeitsabläufe der Staatsanwaltschaft sei aber die Behördenleitung zuständig, nicht das Ministerium. "Das ist ein Fall von Schlechtleistung, aber nichts für eine disziplinarrechtliche Bewertung."
"Komplizierte Situation"
Dass jetzt überhaupt etwas passiert, liegt am Anwalt der Nebenklage: Er hat eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht. Jetzt sitzt B. trotz Bypass in Haft und wird dort ärztlich betreut - und es wurde bekannt, dass er erneut Kinder missbraucht haben soll. Die neuen Fälle verfolgt die Staatsanwaltschaft Magdeburg - die alten will die Behörde in Halle nun endlich zur Anklage bringen.
Vogt war am Donnerstag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Andreas Schieweck, Sprecher der Staatsanwaltschaft Halle, wollte nicht konkret sagen, warum der Fall so lange liegenblieb. Er sprach nur von einer "komplizierten äußeren Situation des Oberstaatsanwalts". Ein Verstoß gegen Vorschriften liege nicht vor, auch wenn der Fall "liegen geblieben ist, obwohl er verfahrensreif war".
Im August und September dieses Jahres verging sich B. dann erneut an Kindern. In fünf Fällen ermittelt die Staatsanwaltschaft Magdeburg wegen sexuellen Missbrauchs. Der Magdeburger Rentner hatte nach der Genesung offenbar wieder seine sexuellen Neigungen ausleben wollen. Warum Vogt nicht einen erneuten Haftantrag stellte, vermocht die Sprecherin der Magdeburger Staatsanwaltschaft, Silvia Niemann, nicht zu sagen. "Er hätte natürlich einen weiteren Termin machen können."
Im Landtag wird die Justiz-Panne ein Nachspiel haben. Auf Antrag der Linken-Politikerin Eva von Angern wird sich der Rechtsausschuss in einer Sondersitzung in der kommenden Woche mit dem Fall beschäftigen. Sie hält es für fatal, wie sich Justizministerin Angela Kolb (SPD) aus der Affäre ziehen will: "Kolb ist die Dienstherrin der Staatsanwaltschaften, sie muss sich ihrer Verantwortung stellen." Ähnlich äußerte sich Sören Herbst (Grüne): "Das ist ein riesiges Unding und gehört aufgearbeitet." Auch Ronald Brachmann (SPD) forderte, dass "die Justizministerin umgehend für Aufklärung sorgen muss". Siegfried Borgwardt (CDU) fordert "Handlungsanweisungen", um solche Pannen zu vermeiden. Dass Vogt für den Fehler verantwortlich ist, sei vor dem Hintergrund seiner Verdienste "fast tragisch".