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Jerichower Land Jerichower Land: Rätsel um Todesschüsse

Von KATRIN LÖWE 04.03.2011, 19:21

HÜTTERMÜHLE/MZ. - Zwei kleine Straßen, ein Autohaus, ein Imbissstand, ein geschlossenes Ferienhotel - nein, dass sich in Hüttermühle (Jerichower Land) links und rechts der B 107 üblicherweise viel tut, kann man nicht behaupten. Auf einem Aushang in der Dorfstraße wird das Sommerfest für den 2. Juli angekündigt - mit der Bemerkung, dass die Salate im vergangenen Jahr gut schmeckten. So sehen die Höhepunkte im Dorf aus.

Doch an diesem Freitag ist alles anders in dem kleinen Ortsteil von Genthin. Und so schnell, wie sich der dichte Nebel am Vormittag verzieht, geht das Entsetzen nicht: Auf dem Schießplatz keine 500 Meter hinter dem Ortsausgang sind am Donnerstag drei Menschen erschossen worden. "Da schlackern einem schon die Knie, wenn man das hört", sagt der Betreiber des Imbissstandes, während er Gulasch an Fernfahrer und Dorfbewohner verteilt. Auf Schüsse, erzählt er, achtet man hier nicht mehr - zu normal sind sie, zu oft vom Schießplatz her zu hören.

Es ist 22.45 Uhr am Vorabend, als bei der Polizei der Notruf vom Schießplatz eingeht. Da lägen drei leblose Menschen, sagt der Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes, der dort auf Routinerundgang war. Wenig später wimmelt es nur so von Polizei: Die Tatortgruppe des Landeskriminalamts ist da, ein Hubschrauber wird angefordert, Fährtenhunde sind im Einsatz, verlieren auf dem Weg in Richtung Ort aber die Spur. Schnell steht fest: Die zwei Männer und die Frau, deren Leichen auf dem hinteren Teil des Schießplatzes liegen, sind erschossen worden. Noch in der Nacht gibt es erste Befragungen - und Hinweise auf den 28-jährigen Alexander B. Die Polizei löst eine Großfahndung nach ihm und seinem Citroën mit Jerichower Kennzeichen aus, ortet sein Handy nahe Hütten bei Haldensleben (Börde).

Während die Tatortgruppe am Vormittag auf dem mehrere Fußballfelder großen Schießplatz hinter drei Meter hohen Wällen weiter nach Spuren sucht, durchkämmen Beamte Waldstücke bei Hütten und in der Colbitz Letzlinger Heide - rund 80 Kilometer vom Tatort entfernt. Mehr als 300 Polizisten sind im Einsatz. Am Ende ist es ein Passant, der bei Bülstringen am Ortsausgang Richtung Calvörde einen Toten drei Meter neben einem Auto findet. Nach ersten Erkenntnissen der Polizei ist es Alexander B. Eine Ärztin, die ihn untersucht hat, redet von einer Kopfverletzung, der 28-Jährige hat sich offenbar selbst erschossen. "Es spricht einiges für einen Suizid", sagt der Stendaler Staatsanwalt Thomas Kramer. Bei dem Toten wird eine Pistole gefunden - ob sie auch die Tatwaffe von Hüttermühle ist, "müssen ballistische Gutachten in der kommenden Woche klären", so Kramer. Alexander B. fuhr mit einem Mietwagen nach Bülstringen - seinen Citroën finden die Ermittler später in Burg. Wann und wo der Mietwagen mit Heidelberger Kennzeichen geordert wurde, wird noch ermittelt.

Zwei Opfer aus Brandenburg

Völlig rätselhaft sind den Ermittlern auch die Hintergründe der Bluttat. Am Nachmittag teilen sie mit, dass es sich bei den Toten um den 62-jährigen Schießwart des Platzes sowie eine 44-jährige Frau und deren 25-jährigen Sohn aus Brandenburg handelt. Letztere hätten häufiger auf dem der Jägerschaft gehörenden Gelände - zu DDR-Zeiten ein Platz der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) - trainiert. Schon vorher war gemunkelt worden, zwei der Opfer würden aus dem Landkreis Potsdam Mittelmark stammen.

Ob und wenn ja in welcher Beziehung mutmaßlicher Täter und Opfer standen, ist nach offiziellen Angaben noch unklar. Laut Kramer könnten zumindest der Schießwart und Alexander B. sich gekannt haben. Der 28-Jährige soll eine Zeit lang im Raum Genthin gewohnt haben, war einige Jahre im Schützenverein Genthin. "Ein ruhiger, zurückhaltender Mensch", sagt dessen Vorsitzender Peter Tietz, "aber bei uns nie richtig aktiv." B. sei beruflich viel außerhalb unterwegs gewesen und Ende 2010 letztlich aus dem Verein ausgetreten. Was ihn zu einer Tat getrieben haben könnte, derer er jetzt verdächtigt wird? "Das hätte ich auch gern gewusst", sagt Tietz. Polizeilich aufgefallen ist er der Staatsanwaltschaft zufolge bislang nur "wegen einer Kleinigkeit, nicht wegen Gewalttaten". Ob auf ihn legal eine Waffe zugelassen war, lassen die Behörden zunächst offen.

Todeszeitpunkt unklar

In Hüttermühle steckt das Geschehen den Menschen deutlich in den Knochen. Gebrannt hat es vor Jahren mal in dem Hotel, das damals einem mittlerweile in Haft sitzenden Mann gehört haben soll, heißt es im Ort. Das war es aber schon an Aufregung. Und jetzt das. "Man hört so viel von Amokläufern, aber du denkst doch nicht, dass es bei dir vor der Haustür passiert", sagt Heidi Nagel (72). Täglich ist die Seniorin in der Umgebung mit dem Fahrrad unterwegs, oft auch entlang des Schießplatzes. Als sie realisiert, was dort passiert ist, kommt sie ins Grübeln. "Gestern", sagt Nagel, "habe ich mich noch gewundert, als ich früh so gegen acht, halb neun Schüsse gehört habe. Die sind aber heute früh unterwegs, habe ich mir gedacht." Jetzt verschafft ihr der Gedanke an den Schießplatz Gänsehaut. Und sie rätselt, ob es die entscheidenden Schüsse gewesen sein können.

Laut Staatsanwaltschaft ist das unwahrscheinlich - sie geht davon aus, dass die Tat erst am Abend passiert ist. Offiziell geschlossen wird der Schießplatz um 19 Uhr, steht auf Schildern am Eingang. Wann genau die Opfer gestorben sind, "wird vielleicht die Obduktion klären", sagt Kramer. Mit Ergebnissen sei nicht vor Montag zu rechnen.

Gegenüber des Schießstandes grasen an diesem Freitag zehn Pferde auf einer Wiese. Es ist eine Idylle, die trügt.