Italiener in Deutschland Italiener in Deutschland: Der Luca Toni von Zörbig
Zörbig/MZ. - An der Pinnwand in seinem Büro hängt der Schal von Inter Mailand. Inter-Fan ist er schon ewig. "Seit der Geburt", sagt Virgilio Spera auf eine Art, dass jeder weiß: Achtung, wichtig! Es gab nie eine andere Option. Als Inter-Fan, erzählt der 38-Jährige, ist er natürlich auch mit deutschen Fußballern groß geworden. Matthäus, Klinsmann, Brehme, vorher Rummenigge. Und jetzt? Ist er Anhänger von Philipp Lahm, seit der bei der Weltmeisterschaft 2006 das deutsche Sommermärchen mit dem ersten Tor eröffnete. Deutschen Fußball findet er schön anzusehen. Und hinter den Spaniern - "die sind mit ihrem modernen Fußball zwei Stufen über den anderen" - steht die schwarz-rot-goldene Elf für ihn auf Platz zwei der EM-Favoritenliste. Noch vor Italien.
Okay, die ersten Sympathiepunkte hat der Italiener damit schon gesammelt. So allein unter Deutschen in diesen fußballeuphorischen Tagen. Seit 2009 leitet Spera das Werk des Südtiroler Konfitüren-Herstellers Zuegg in Zörbig (Kreis Anhalt-Bitterfeld). Er kam damals, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, hat einen Drei-Monats-Kurs gemacht, ein Jahr später auf der Geburtstagsfeier eines Zörbiger Fußball-Kumpels seine Freundin kennengelernt. Seitdem ist die Sprache für ihn auch privat Alltag.
Fängt Nachtschicht später an?
Deutsch ist also längst kein Problem mehr, wenn es um die schönste Nebensache der Welt geht. Um die geht es zweifellos auch in der Firma, in der von 64 Mitarbeitern rund die Hälfte Männer sind. Ein Dortmund-Fan ist dabei, einer seiner Schichtleiter ist erklärter Bayern-Anhänger. Und jetzt, vor dem deutsch-italienischen Halbfinale, "haben wir richtig Spaß", sagt Spera. Könnte gut sein, dass bis Donnerstagbend noch Wetten abgeschlossen werden. Oder er am Freitag eine Frühstücksrunde gibt, damit seine Freude über einen Italien-Sieg für die Kollegen erträglicher wird.
Bammel, kurzzeitig der unbeliebteste Chef Deutschlands zu sein? Keine Spur. 2010 hat Spera schließlich auch den Inter-Sieg im Champions-League-Finale gegen Bayern München allein in deutscher Runde ohne Spätfolgen überlebt. Und auf jeden Fall - man registriere: neue Sympathiepunkte! - erweist sich der 38-Jährige auch als potenziell guter Verlierer, bevor seine Mannschaft überhaupt von Lahm und Co. niedergerungen ist: Falls Deutschland am Sonntag im Finale steht, fängt die Nachtschicht nicht um 22, sondern erst um Null Uhr an, hat er verkündet. "Ich habe aber auch gesagt: Keine Angst, das passiert nicht", sagt Spera und grinst schelmisch. Tja, und einmal rausgekitzelt, gibt der Spitzbube in ihm dem Äffchen Zucker. Da erzählt Spera von kleinen Videos, die er einem befreundeten deutschen Controller im Zuegg-Werk Werneuchen (Brandenburg) schon länger in wohldosierten Abständen schickt: von italienischen Siegen. Stimmt, da war was, in jedem großen Turnier gegen Deutschland bislang. Ein "Wie gemein ist das denn?" lächelt Spera aber so charmant weg, dass von Empörung keine Rede sein kann. In dieser Woche übrigens hat sein Kollege Urlaub. "Eigentlich wollte ich ihm seit Montag jeden Tag ein Video schicken", sagt Spera. Der Schalk im Nacken ist dabei so unübersehbar wie der Inter-Schal an der Wand.
Spaß gehört für ihn definitiv dazu - auch wenn er ab und an zu spüren bekam, wie tief das deutsche Fußballherz, vor allem nach der Niederlage im WM-Halbfinale 2006, getroffen war. Spera spielt hier selbst, zuletzt bei den Alten Herren in Sandersdorf. So manches Foul an ihm sei wohl auch seiner Nationalität geschuldet gewesen, sagt er augenzwinkernd. Sieh an, nachtragende Fans.
Drei Jahre Profi
Fußball war für den Manager der beste Weg, um in Deutschland Anschluss und neue Freunde zu finden. Schon als Sechsjähriger hat er gekickt, als 17-Jähriger wurde er für drei Jahre Profi in einem Viertliga-Verein nahe Neapel. Als er die ersten Male für den Zörbiger FC auflief, hatte Spera seinen Spitznamen schnell weg: Er war der Mann, den alle nur noch Luca Toni nannten. Immerhin, als Stürmer hat er es in seiner italienischen Zeit bis auf 25 Tore in einer Saison gebracht. Also ein Vergleich zum einstigen Weltklasse-Stürmer Toni? "Ich bin ein bisschen besser", sagt Spera grinsend. Um dann zuzugeben: Sein Name war den neuen Freunden zu kompliziert. Und Luca Toni wohl doch eher der erste, der den Zörbigern in den Sinn kam. Immerhin spielte der damals gerade bei Bayern München.
Das Halbfinale wird der Konfitüren-Chef am Donnerstag bei Freundin, Schwiegereltern und Freunden der Familie sehen. Nur in abgewandelter Kleiderordnung. Bisher wurden deutsche Spiele beim Schwiegervater geschaut, im schwarz-rot-goldenen Trikot - auch für Spera. Umgedreht trug Schwiegerpapa die Farbe der Squadra Azzurra, wenn die auflief und es bei Spera italienisches Essen gab. Keine Frage: In ein deutsches Trikot wird ihn am Donnerstag niemand kriegen. Und natürlich: "Ich hoffe auf einen Sieg von Italien." In einem Spiel, in dem er gut organisierte Deutsche gegen taktisch flexible Italiener sieht. Das letzte Quäntchen Motivation, glaubt er, dürfte entscheidend sein. Bei Jogis Jungs, die ein Trauma zu überwinden haben. Oder den Italienern, die auf den Punkt da sind, wenn sie nicht gerade wie zur WM 2010 in der Vorrunde rausfliegen. In einem ist er sicher: "Es wird kein Elfmeterschießen geben."
Okay, dann Klartext, Herr Spera. Ihr Tipp für Donnerstag? Kurzes Zögern, gaaanz tiefes Durchatmen, dann kommt's: 2:1 für Deutschland.
Na bitte, geht doch!