1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Irak-Geiseln: Irak-Geiseln: Ein Leben mit der Angst

Irak-Geiseln Irak-Geiseln: Ein Leben mit der Angst

Von Marion van der Kraats 23.03.2006, 15:58
Fotos von René Bräunlich (l.) und Thomas Nitzschke auf der 15. Mahnwache für die im Irak entführten deutschen Ingenieure am Montag (20. März 2006) in Leipzig (Foto: dpa)
Fotos von René Bräunlich (l.) und Thomas Nitzschke auf der 15. Mahnwache für die im Irak entführten deutschen Ingenieure am Montag (20. März 2006) in Leipzig (Foto: dpa) dpa-Zentralbild

Leipzig/dpa. - Touristen haltenan diesem Platz inne und fühlen mit den Leipzigern. Gedenken der zweiIrak-Geiseln René Bräunlich (32) und Thomas Nitzschke (28), die andiesem Freitag seit zwei Monaten verschleppt sind. Am 24. Januarwurden die beiden Angestellten der Firma Cryotec aus Bennewitz in dernordirakischen Stadt Baidschi entführt. Hunderte Menschen erinnernmontags und donnerstags bei Mahnwachen an ihr Schicksal. «Das gibtKraft», sagt Ingeborg Bräunlich, Mutter der älteren Geisel.

Die zierliche Bankangestellte kommt jeden Donnerstag zur Mahnwachean die Nikolaikirche, montags macht es ihr die Arbeit unmöglich. «Ichmuss hierher kommen», sagt sie. «Es ist mir Bestätigung, dass dieMenschen hinter mir stehen.» Geduldig beantwortet sie Fragen vonJournalisten. «Danke, dass sie gekommen sind», sagt sie zu GiselaKlinger und drückt fest ihre Hand. Die 65-Jährige kommt regelmäßig.«Ich leide so sehr mit. Ich wünsche der Familie von ganzem Herzeneinen guten Ausgang», sagt sie mit Tränen in den Augen.

«Die Angehörigen erleben ein extremes Wechselbad der Emotionenzwischen Hoffen und Bangen. Für sie ist die Situation oftmalsschlimmer als für die Geiseln», sagt Traumaexperte Georg Pieper. «DieUngewissheit über diesen langen Zeitraum hinweg ist extrembelastend.» Der Psychologe aus dem hessischen Gladenbach betreut seitden 80er Jahren Opfer schwerer Katastrophen und hat deutsche Geisel-Opfer aus dem Libanon betreut. Bräunlichs Mutter macht es aus seinerSicht richtig: «Ich sage den Betroffenen immer: bewegt Euch,engagiert Euch, redet.»

Die Angehörigen von Thomas Nitzschke schotten sich weitgehend ab.«Dabei wollen wir zunächst auch bleiben», sagt Bruder Volker.Zwischenzeitlich hat sich auch Bräunlichs Lebensgefährtin, SindyBrost, mehr zurück gezogen. «Ich bin von den anderen darum gebetenworden und halte mich gerne daran», sagt die Friseurin. Zugleich giltes, den dreijährigen Sohn zu schützen. Er fragt immer öfter nach demVater. So lange wie diesmal war er noch nie weg.

Fast sechs Wochen liegt das letzte Lebenszeichen im arabischenNachrichtensender Al-Arabija in Form einer Videobotschaft vom 11.Februar zurück. Der Krisenstab des Auswärtigen Amtes bemüht sichintensiv um eine Freilassung der Männer, heißt es in Berlin. Detailswerden nicht genannt. Staatsminister Gernot Erler (SPD) deuteteDienstag jedoch an, dass die beiden noch am Leben sind. Es gebezumindest «keine Hinweise auf irgendeine Katastrophe».

In Leipzig gehen Freunde und Arbeitskollegen mit den Meldungeninzwischen vorsichtig um. «Ich will keine Euphorie aufkommen lassen»,sagte Bräunlichs Fußball-Trainer Michael Herrn. Unmittelbar nach derEntführung hatte die Mannschaft des SV Grün-Weiß Miltitz ein Spielabgesagt, inzwischen ist Alltag eingekehrt. «Ich passe auf, dass esnicht zu locker wird. Das würde mir nicht gefallen.»

Ähnlich halten es die Arbeitskollegen. «Die Arbeit steht wieder imVordergrund - aber wir nehmen uns jeden Tag eine halbe Stunde Zeitund setzen uns zusammen», sagt Prokuristin Karin Berndt. DieMahnwache bleibt Pflicht. «Das Schicksal der beiden darf nicht inVergessenheit geraten», sagt Berndt. Entsprechend groß ist die Freudeüber die Teilnahme von Unternehmen, Sportvereinen und Privatleuten ander Aktion mit den grünen Bändern, die Hoffnung symbolisieren soll.

Anlass dafür gibt es immer wieder: Nach der niederschmetterndenNachricht vor zwei Wochen über den Tod der amerikanischen Irak-GeiselTom Fox wurden am Donnerstag drei Geiseln im Irak befreit: Es sindFriedensaktivisten, die im November vergangenen Jahres zusammen mitFox verschleppt worden waren. Und so hoffen die Leipziger, dass dieGlocken der Nikolaikirche möglichst bald zum Dankgottesdienst läuten.«Dafür beten wir, darauf hoffen wir», sagt Pfarrer Christian Führer.