Interview zu Hochschulprotesten Interview zu Hochschulprotesten: "Ganze Körperteile werden amputiert"

Halle (Saale)/MZ - Das neue Hochschulkonzept ist nach den Protesten im vorigen Jahr ein Kompromiss. Warum ist er Ihnen nicht gut genug?
Wagner: Wir sind nach wie vor kritisch. Das Konzept beginnt erstaunlich positiv, da, wo die Bedeutung der Hochschulen für das Land und die Wirtschaft gepriesen wird. Da machen auch wir einen Haken dran. Aber im hinteren Teil wird die Hochschullandschaft dann abgewickelt. Nach wie vor stehen da tiefgreifende Einschnitte drin, die nicht wissenschaftlich-fachlich, sondern rein finanziell begründet sind.
Das klingt, als hätten die Proteste nur wenig bewirkt.
Wagner: Wir haben Einiges erreicht, aber das Entscheidende, die Kürzungssumme, ist nicht zurückgenommen, sondern nur auf spätere Jahre verschoben worden. Auch die 1,5 Prozent des Bernburger Friedens klingen nach wenig. Die Uni Halle hat einen Haushalt von über 130 Millionen Euro. 1,5 Prozent sind also eine ganze Menge. Hinzu kommt die Unterfinanzierung der Hochschulen. Die hat sich über Jahre aufgestaut. Sie müssen die Tarifsteigerungen aus eigenen Mitteln aufbringen. Das Rektorat in Halle geht von einem Volumen von 25 Millionen Euro aus, das bis 2019 fehlt. In Magdeburg sieht es ähnlich aus.
Was bedeuten diese Summen konkret?
Wagner: Wir reden hier von ganzen Körperteilen, die amputiert werden müssten, um die Kürzungen zu realisieren. In Halle stehen fünf Institute akut zur Disposition, bis 2019 könnten es zweieinhalb Fakultäten sein. In Magdeburg sollen die gesamten Humanwissenschaften geschlossen werden. Nochmal: Diese Disziplinen stehen allein aus Finanzgründen auf der Kippe. Fachliche Gründe gibt es dafür nicht. In der Psychologie in Halle hatten wir zum Beispiel 2010 eine Auslastung von 1000 Prozent.
Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) hatte Ihnen vor einem Jahr versprochen, Sie an den Strukturplanungen zu beteiligen. Wie war die Einbindung?
Wagner: Seitdem hat es kein Gespräch mit dem Ministerpräsidenten gegeben. Es gab eine Einladung, aber die ist im Zuge des Hochwassers über Bord gegangen. Er hat an vielen Orten sehr viel versprochen. Vieles war offensichtlich nicht so ernst gemeint. Zum Möllring-Konzept sollten wir jetzt binnen 14 Tagen eine Stellungnahme abgeben. Es war uns aber gar nicht zugestellt worden. Von einer seriösen Einbindung kann nicht die Rede sein.
Werden Sie an die Proteste , die im vergangenen Jahr stattfanden, anknüpfen können?
Wagner: Wir werden nicht jedes Jahr die größte Demonstration in Sachsen-Anhalt seit der Wende wiederholen können, aber es gibt immer noch sehr viele Betroffene. Wir hoffen wieder auf mehrere Tausend Teilnehmer. Dieses Jahr sind wir außerdem Teil bundesweiter Proteste, die sich für die Verlängerung des Hochschulpakts und die Abschaffung des Kooperationsverbots aussprechen.